Die hochschiessende Inflation lastete in den letzten Wochen auf den Technologie-Aktien und hat die Renditen der US-Staatsanleihen auf knapp 1,6 Prozent hochgetrieben. Der wohl bekannteste Technologieindex Nasdaq 100 hat im letzten Monat vier Prozent verloren. Bekannte Titel wie Facebook, Adobe, NXP Semiconductors oder MercadoLibre brachen um mehr als 10 Prozent ein. 

In den USA hat sich der Anstieg der Konsumentenpreise im September zudem wieder verstärkt. Die Jahresinflationsrate legte von 5,3 Prozent im Vormonat auf 5,4 Prozent zu. Die US-Notenbank strebt lediglich eine Rate von zwei Prozent an. Die US-Notenbank Fed steuert deshalb auf eine baldige Reduzierung der Anleihekäufe zur Stützung der Wirtschaft zu. Die Einschränkung des Kaufprogramms könnte Mitte November oder Mitte Dezember beginnen.

Die Nervosität über steigende Anleiherenditen und das Drama um den chinesischen Immobilienkonzern Evergrande zog auch den europäischen Stoxx 600 Technology Index im letzten Monat 6 Prozent in die Tiefe. Der breite Stoxx Europe 600 Index verlor in der gleichen Zeitperiode hingegen nur knapp 1 Prozent.

Doch für einige Technologietitel könnte sich die Inflation als Segen herausstellen. So stiegen die Aktien des Softwareriesen SAP am Mittwoch um 3,9 Prozent, nachdem das Unternehmen seine Umsatzprognose für das Gesamtjahr angehoben hatte. Dieser Schritt deutet darauf hin, dass SAP die höheren Kosten an die Kunden durch höhere Preise weitergeben kann.

"Angesichts einer Welt mit massiven Lieferunterbrüchen und Logistik-Herausforderungen waren ihre Lösungen noch nie so wichtig," sagt Neil Campling, Leiter Forschung bei Mirabaud Securities, über SAP. "Und es ist eine potenzielle Wachstumsaktie, ohne dass dies schon eingepreist ist."

Die Aktien von SAP werden mit dem 21-fachen des zukünftigen Gewinns gehandelt, was im Vergleich Aufwärtspotenzial birgt. Der europäische Technologiesektor wird mit dem 29-fachen der zukünftigen Gewinne gehandelt. Beim Nasdaq 100 beträgt die Kenngrösse 26. Die europäischen Bewertungen haben sich in der jüngsten Korrektur wieder der amerikanischen angenähert.

Mirabaud Securities ist mit ihrer positiven Einschätzung betreffend des deutschen ERP-Champion (Enterprise-Resource-Planning) SAP nicht allein. Von den von Bloomberg befragten Analysten empfehlen 23 von 36 Analysten den Kauf der Aktie. Das durchschnittliche Kursziel beträgt 135 Euro, was einem Aufwärtspotenzial von 10 Prozent entspricht.

Auch Chiphersteller profitieren

Chiphersteller sind ebenfalls gut aufgestellt, um steigenden Kosten standzuhalten. Laut Analysten der Bank of America gilt dies insbesondere für führende Unternehmen wie ASML, Soitec, Infineon und ASM International. Die Fähigkeit, die Preise vor der Inflation zu erhöhen, werde der Bruttomarge zugutekommen. Das Drittquartalsergebnis von ASML am nächsten Mittwoch wird darüber Aufschluss geben.

Insbesondere die Aktien des Halbleiterherstellers Infineon sehen nach der jüngsten Korrektur attraktiv aus. Diese werden mit dem 33-fachen des zukünftigen Gewinns gehandelt. Das Unternehmen gehört zu den zehn grössten Chipherstellern der Welt und profitiert mit seinen Halbleitern für das Batteriemanagement am stark wachsenden Elektroautomarkt. Doch auch im Bereich der 5G-Technologie oder der Digitalisierung industrieller Prozesse ist der Halbleiterhersteller mit seinen Chips stark vertreten.

Die von Bloomberg befragten Analysten empfehlen in der absoluten Mehrheit den Kauf der Infineon-Aktien und sehen im Durchschnitt ein Aufwärtspotenzial von 15 Prozent.

TitelKursrendite seit JahresbeginnKurs-Gewinn-Verhältnis 2022
ASM International+83 Prozent36
ASML+66 Prozent49
Infineon+16 Prozent33
Soitec+15 Prozent50

(Daten: cash.ch)

Auch der diesjährige Börsenüberflieger ASM International verfügt über eine im Vergleich attraktive Bewertung - die Aktien werden mit dem 36-fachen des zukünftigen Gewinns gehandelt. Das niederländische Maschinenbauunternehmen produziert Produktionsanlagen für die Halbleiterindustrie. ASM International kann wegen des grossen Investitionsbedarfs in der Branche bis über 2022 hinaus mit einer guten Auslastung rechnen. Obwohl der Titel dieses Jahr bereits 83 Prozent angestiegen ist, sehen die von Bloomberg befragten Analysten im Durchschnitt ein weiteres Aufwärtspotenzial von 17 Prozent.

Kristina Hooper, globale Chefstrategin bei Invesco, erwartet auch, dass der Tech-Sektor steigende Kosten verkraften wird. "Unternehmen, die
am wenigsten betroffen sein sollten, sind diejenigen mit grossen Gewinnspannen, begrenzten Rohstoffkosten und kleinen Belegschaften", schreibt sie. "Dazu sollten Wachstumsbranchen wie Technologie und Gesundheit gehören."

Preissetzungsmacht entscheidend

Bei Technologieunternehmen, denen es an Preissetzungsmacht mangelt, wird es wahrscheinlich hart auf hart kommen. Und um viele Aktien, die während den Pandemie-Lockdowns profitiert haben, steht es bereits dieses Jahr schlecht. Die steigenden Anleiherenditen setzen die hohen Bewertungen unter Druck. Beispielhaft hierfür sind die Aktien des Online-Lebensmittellieferanten Just Eat Takeaway. Das Jahresminus beläuft sich bereits auf knapp 30 Prozent. Die enttäuschenden Bestellzahlen zum dritten Quartal lassen auch keine Hoffnung auf eine Trendumkehr aufkommen.

Kursverlauf der Just-Eat-Takaway-Aktien seit Jahresbeginn (Quelle: cash.ch).

Für Lewis Grant, Portfoliomanager bei Federated Hermes, ändern sich zudem die Gewohnheiten von Konsumenten und Arbeitnehmern "nicht so stark, wie dies an den Märkten eingepreist ist". "In Zeiten steigender Zinsen sind diese Bewertungen viel weniger nachhaltig." 

Der Markt sieht es gleich: Die Aktien des Online-Lieferdiensts Delivery Hero stehen dieses Jahr 13 Prozent tiefer. Der "Kochboxen"-Verteiler HelloFresh ist die Ausnahme von der Regel. Seit Jahresanfang stehen dessen Aktie um 24 Prozent höher. Doch in den letzten vier Wochen hat der Titel um mehr als 10 Prozent korrigiert.

Mit Material der Nachrichtenagentur Bloomberg.

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