cash.ch: Herr Weinberg, im Zuge einer starken Nachfrageerholung erreichte der Ölpreis zuletzt ein Mehrjahres-Hoch. Ist das eine gesunde Erholung oder droht der Ölmarkt heiss zu laufen?

Eugen Weinberg: Es ist schon erstaunlich: Noch vor einem Jahr war der Ölpreis kurzzeitig negativ und man ging von einstelligen Preisen für eine längere Zeit aus. Jetzt stehen wir bei über 70 Dollar, obgleich die Nachfrage noch nicht auf Vorkrisenniveau ist. 

Wie kann das sein? 

Zum einen kam die Nachfrage viel schneller zurück, als man gedacht hatte. Vor wenigen Monaten glaubte man noch nicht, dass die Nachfrage nicht nur im Güter-, sondern auch im Personenverkehr so schnell zurückkommen wird. Auch der Luftverkehr erholt sich schnell, wenn gleich wir hier noch lange nicht auf dem alten Niveau sind. Doch es ist nicht allein die Nachfrage, die sich preissteigernd auswirkt, zumal die spekulative Nachfrage ohnehin stark zurückgegangen ist. 

Was ist es noch? 

Man hätte nicht damit rechnen können, dass sich die Opec-Länder in den vergangenen zwölf Monaten derart diszipliniert verhalten würden. Es ist tatsächlich auf Teile der Produktion verzichtet worden. Das hat den Markt künstlich verknappt und war mitentscheidend für den steilen Preisanstieg. 

Und wie geht es weiter mit dem Ölpreis? 

Sicher scheint mir, dass sich die Produktion erholen wird. Doch es gibt zwei Faktoren, die in der aktuellen Diskussion ein wenig untergehen. Wir sehen zum Beispiel eine sehr langsame Reaktion der Nicht-Opec-Länder, allen voran bei der Schieferölproduktion in den USA. Man hätte ja eigentlich davon ausgehen können, dass die Ölproduktion in den USA wieder angetrieben wird, wenn der Ölpreis derart steigt. Das passiert aber nicht. Grund ist vor allem, dass einige Unternehmen schlicht pleite gegangen sind. Das Geschäft war selbst bei einem Ölpreis über 100 Dollar nicht profitabel. Die Produktion wird zwar auch in den USA wieder steigen, aber nicht in dem gewohnten Tempo. 

Und der zweite Faktor? 

Gerade in den letzten Wochen kam das Thema Umweltschutz ja besonders hoch. Vielen Akteuren in der Ölindustrie war lange Zeit nicht bewusst gewesen, wie stark dieses Thema bereits in der Öffentlichkeit, in der Politik und bei anderen Unternehmen angekommen ist. Wir stehen im Ölsektor vor einer Zeitenwende. Das musste zuletzt der niederländische Ölriese Shell erfahren, der von einem Gericht dazu verdonnert wurde, seine Emissionen deutlich schneller zu reduzieren. Shell wird seine Ölproduktion daher deutlich weniger ausbauen. Zudem gab es weitreichende Entscheidungen bei BP, Chevron und Total Energies, die auf eine geringere Produktion und weniger Investitionen in die Ölförderung hindeuten. Also weg vom Öl, hin zu erneuerbaren Energien. Man könnte sagen, das Ende des Ölzeitalters ist eingeleitet. 

Für den Ölpreis dürfte dies aber, zumindest kurzfristig, erst mal weiter steigende Kurse bedeuten, oder? 

Eventuell sogar langfristig. Wenn tatsächlich weniger investiert wird, wird weniger gefördert, was die Produktion tendenziell zurückgehen lassen wird. Sogar China denkt mittlerweile über Umweltschutz nach. Klar wird es langfristig auch einen immer stärker werdenden Nachfragerückgang geben. Doch welcher Effekt grösser sein wird, ist momentan noch schwer zu sagen. Der Nachfragerückgang im Westen dürfte sehr wahrscheinlich noch eine Weile von den Schwellenländern kompensiert werden. Kurzfristig ist ein höherer Ölpreis sehr wahrscheinlich, weil die Angebotsseite schneller reagieren wird als die Nachfrageseite. 

Neben Öl ist auch Gold zuletzt wieder angezogen auf 1900 Dollar. Ihre Bank setzt ein Kursziel von 2000 Dollar. Sie steht damit im Analysten-Konsensus aber ziemlich allein. Wieso haben die anderen Unrecht? 

Ich würde nicht sagen, sie haben Unrecht. Ich hoffe sehr, dass sie recht haben werden und Gold nicht weiter steigen wird. 

Warum? 

Ich befürchte, dass die weiterhin ultralockere Geldpolitik der Notenbanken dazu führen wird, dass das Niveau der Leitzinsen weiter unter dem der Inflation bleibt. Die Sparer haben zuletzt immer an Kaufkraft verloren, vor allem gegenüber den Vermögenswerten. Wenn Aktien oder Immobilien teurer werden, ist das auch eine Art der Verarmung. Für mich ist eine Vermögenspreisinflation nicht weniger gefährlich als eine Konsumpreisinflation, die natürlich auch ein Thema ist. Daher sollte man sich Gedanken machen über den Werterhalt. Und das geht am besten mit Vermögenswerten - oder aber mit Gold. Das Edelmetall ist seit eh und je gegenüber anderen Vermögenswerten, aber auch Waren, stabil. 

Also sollte man Gold jetzt kaufen? 

Ein Einstieg bei Gold lohnt sich trotz des zuletzt gestiegenen Kurses. Die negativen Realzinsen werden weiterhin bestehen, was Sachwerte attraktiver macht. Und im Vergleich zu den anderen Sachwerten wie Aktien oder Immobilien hat sich Gold weniger stark im Preis entwickelt. 

Zuletzt sind ja eine ganze Reihe von Rohstoffen im Preis gestiegen. Wo geht es weiter nach oben? 

Bei den Agrarrohstoffen wie Weizen oder Fleisch glaube ich, dass sich die Preise abkühlen werden. Bei den Metallpreisen, also etwa Kupfer, Nickel oder Aluminium, gehe ich von einem dauerhaften Anstieg aus. Vor allem Nickel prophezeie ich nach jetzigem Stand und mit Blick auf die Elektromobilität eine glänzende Zukunft. Das Metall wird zu einem immer grösseren Teil in der Elektroauto-Batterie verbaut, vor allem als Ersatz zu Kobalt. Diese Metall ist vergleichsweise teuer und weniger nachhaltig. Viele sehen aktuell vor allem Kupfer bei den Metallen ganz vorne, ich sehe eher an Nickel. Doch eine Sache habe ich jetzt noch gar nicht erwähnt, die aber sehr wichtig ist. 

Und zwar? 

Die marode Infrastruktur in den USA wird dazu führen, dass kurzfristig Massnahmen ergriffen werden in Form von Billionen-Investitionen für den Strassenbau, für die Gebäudedämmung, für den Brückenbau und für andere Bereiche. Dadurch werden Baustoffe- und metalle wie die eben erwähnten im Wert steigen. 

Was hat das die ganze Entwicklung für Auswirkungen für die Konsumentenpreise? 

Bis jetzt ist der Effekt bei den Konsumentenpreisen weniger stark, als man hätte erwarten können. Die Produzentenpreise, ob jetzt in China, USA oder Europa, sind deutlich stärker gestiegen als die Konsumentenpreise. Es wird darauf ankommen, ob es den Unternehmen gelingen wird, die Kostensteigerungen an die Kunden weiterzugeben. Ich denke, sie haben diesbezüglich gute Chancen. Weltweit sitzen die Konsumenten auf hunderten von Milliarden Dollar, die sie während der Pandemie angehäuft haben. Allein in Deutschland sind es nach unseren Schätzungen über 175 Milliarden Euro. Diese Geld wird in den kommenden Jahren verkonsumiert. 

Was hat das für konkrete Folgen? 

Ein stärkerer Konsum kann durchaus zu steigenden Preisen führen. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Inflation langfristig anhalten wird. Das wird davon abhängen, wie sich die Konjunktur entwickelt. In den USA gibt es zwar viele Arbeitslose, aber gleichzeitig auch viele offene Stellen. Dadurch kann sich eine Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen, die inflationär wirkt. Ich gehe davon aus, dass die Inflation so hoch ausfallen wird wie lange nicht mehr - und höher als viele derzeit glauben. 

Eugen Weinberg ist Leiter Rohstoffanalyse bei der Commerzbank. Der gelernte Dipl.-Wirtschaftsmathematiker beschäftigt sich seit 20 Jahren mit dem Thema. Vor seiner Tätigkeit bei der Commerzbank arbeitete er als Fondsmanager und Rohstoffanalyst bei der BW-Bank sowie als Rohstoffexperte bei der DZ Bank.