cash.ch: Herr Koerl, der Sportdaten-Anbieter Sportradar ist seit Dienstagnachmittag an der US-Technologiebörse Nasdaq kotiert. Ist die Schweizer Börse nicht attraktiv genug? 

Die Schweiz ist super attraktiv, nicht umsonst ist hier unser Hauptsitz. Andererseits habe ich schon als Kind immer angefangen zu träumen, wenn ich auf die Nasdaq geschaut habe. Das ist für Technologiefirmen einfach der 'Place to be'. Jetzt sitze ich hier an der Nasdaq und sehe Bilder an der Wand von Google, Amazon oder Facebook. Das ist als Technologiefirma einfach der grösste Traum. Der zweite Grund hat natürlich mit Marketing zu tun. 

Sie sehen durch einen IPO an der Nasdaq also bessere Chancen für Marktwachstum?

Wir wachsen momentan am stärksten in den USA. Getrieben durch Sportwetten-Regulierung entsteht hier ein Markt, der von einer Milliarde Dollar 2019 in den nächsten zehn Jahren auf bis zu 35 bis 40 Milliarden Dollar wachsen wird. Davon gehören uns fast 30 Prozent. Bei einem Markt, der so explosiv wächst, ist es natürlich hilfreich, auch dort an die Börse zu gehen. Zudem macht sich auch im sogenannten 'Race for Talent' so ein IPO an der Nasdaq gut. Wir alle kämpfen um die besten Data-Scientists und die besten Ingenieure. Wir schätzen die Schweiz mit einer fantastischen Infrastruktur, und wollen hier investieren. Wir wollen viel mit 'Machine Learning' und Künstliche Intelligenz machen. Google hat toll vorgemacht, was man in Zürich alles auf die Beine stellen kann. 

Sie gehen mit einer Bewertung von rund 8 Milliarden Dollar an die Börse. Das erscheint auf dem ersten Blick nicht gerade wenig. Die Bewertungskennzahlen befinden sich auf dem Level von stark wachsenden Unternehmen. Ist Sportradar eine Wachstumsaktie?

Wir sind von 2015 bis 2019 jedes Jahr durchschnittlich um 30 Prozent gewachsen. Letztes Jahr befanden wir uns eigentlich in einer Krise. Schliesslich gab es kein Rohmaterial und keine Live-Daten von Sportereignissen, weil bekanntermassen drei bis vier Monate nicht gespielt wurde. Trotzdem hatten wir ein Umsatzwachstum von 6,5 Prozent. Und zwar hochprofitabel mit über 20 Prozent EBITDA-Marge und einer Cash Conversion (Verhältnis zwischen Cashflow und Nettogewinn; Anm. d. Red.) von ungefähr 80 Prozent. Dieses Jahr wachsen wir im ersten Halbjahr im Umsatz um 42 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Unser EBITDA legt sogar um 47 Prozent gegenüber Vorjahr zu. Wir haben also eine grosse Wachstumsstory. 

Was erwarten Sie für das Gesamtjahr 2021?

Wir haben im ersten Halbjahr mit den genannten Daten schon recht beeindruckende Zahlen geliefert, wie ich finde. Wir werden das halten, und unsere Erwartungen übertreffen. Mehr kann ich derzeit leider nicht sagen. 

Die Bewertung von Sportradar ist also angemessen? 

Es ist natürlich schwierig einzustufen, wie eine solche Aktie zu bewerten ist. Das überlassen wir ganz dem Markt. Ich habe viele Meinungen gehört, dass wir zu günstig bewertet seien. Es ist schwierig zu bewerten, genau deshalb machen wir ja ein Listing. 

Sie sind Sport-Datenanbieter für viele Sportligen weltweit, aber auch für Wettanbieter. Welches Geschäft wird künftig der Wachstumstreiber sein? 

Es sind ganz klar die Daten, und was wir aus diesen Daten machen. Machine Learning und Künstliche Intelligenz sind hier die Buzzwords. Wie kann das in zukünftige Produkte einfliessen? Sportdaten sind ja nur die Basis für unsere Produkte. Wir machen Wahrscheinlichkeitsberechnungen für Sportwetten, wir traden Risiko, wir haben komplette Plattform-Services. Zu unseren Kundengruppen gehören sowohl Sportligen, einzelne Teams sowie Sportwettenanbieter. Zudem wollen wir im OTT-Solutions-Bereich wachsen (Übermittlung von Video- und Audioinhalten; Anm. d. Red.). Hier haben wir auch Medienunternehmen wie Apple, Amazon, Google oder Facebook als Kunden. 

Wie gross sind die Wachstumschancen? 

Der Medienmarkt ist riesig, im weitesten Sinn ist er auf 200 Milliarden Dollar beziffert. Der Sportwettenmarkt liegt etwa bei 80 Milliarden Dollar. Natürlich bekommen wir nicht alles, aber wir kommen da schon auf hohe Prozentanteile. Das gibt uns gewisse Wachstumsmöglichkeiten. 

Ist die Auszahlung einer Dividende ein Thema? 

Ich habe in den letzten 30 Jahren mit Firmen, die ich gestaltet habe, noch nie eine Dividenden ausgeschüttet. Eine Wachstumsfirma sollte immer investieren. Auch bei Sportradar haben wir in den 20 Jahren keine Dividende gezahlt, weil wir in Wachstums investieren. Solange ich Investitionsmöglichkeiten sehe, möchte ich keine Dividenden ausschütten. Ich denke, ich wäre der falsche CEO, wenn ich das jemals machen müsste. Denn dann kämen wir in eine Stagnation von Wachstum, worin ich schlecht bin. Ich bin besser darin, Wachstum zu treiben und neue Märkte zu sehen. Dinge zu verwalten und Kosten zu optimieren, ist nicht mein Ding. 

Die Firma Sportradar gibt es seit 20 Jahren. Warum ausgerechnet jetzt der IPO? 

Wir sind aktuell an einem Inflection point, also einem Wendepunkt. Ich als Unternehmer habe noch nie so eine Situation erlebt, in der die Bedingungen, in Wachstum zu investieren, so gut waren wie jetzt. Wir haben uns im letzten Jahr transformiert, viele virtuelle Produkte kreiert. Wir wollen jetzt ganz klar einen schnelleren Investitionszyklus starten. 

Zuerst planten Sie den Börsengang über einen SPAC-Börsenmantel. Warum klappte das nicht? Sind Sie im nachhinein froh, einen gewöhnlichen IPO hinter sich gebracht zu haben? 

Wir hatten von Anfang an einen Dual Process aufgesetzt. Das heisst, wir gingen parallel auf einen SPAC und auf ein IPO. Irgendwann kam ich zu einem Punkt, wo ich entscheiden musste, was das Beste für die Firma, für die Shareholder und für die Mitarbeiter ist. Ich entschied schliesslich, dass ein IPO der richtige Weg ist. Wo wir jetzt stehen, zeigt ja, dass es eine gute Entscheidung war. Der SPAC, mit dem wir sehr weitgehende Verhandlungen hatten, wird geführt von Todd Boehly, Multimilliardär und Lakers-Investor. Er ist jetzt einer unserer grössten Investoren via Privatplatzierung. Das zeigt, dass wir beste Verhältnisse haben. 

Zuletzt haben wir bei IPO häufig gesehen, dass die Aktie in den Tagen nach dem Börsengang nach oben schiesst, anschliessend aber wieder stärker korrigiert. Befürchten Sie das auch bei Sportradar? 

Ich sehe das sehr entspannt. Für uns ist es eine langfristige Geschichte. Was sich jetzt im Tagesgeschäft an der Börse tut, ist interessant anzuschauen. Doch langfristig wird es immer darauf ankommen, wie die Firma performt und ob wir unsere Versprechen einlösen können. Bei der Aktienentwicklung interessieren mich die nächsten fünf bis zehn Jahre.