"SPC5744PFK1AMLQ9, 300 pc, 21+. Brauchen Sie was?" So lautet eine der Nachrichten in der übervollen Inbox der Chipmaklerin Wang, als sie eines Morgens in ihrer Zweizimmerwohnung am Rande der chinesischen Technologie-Metropole Shenzhen erwacht.

Innerhalb weniger Minuten sitzt die 32-Jährige an ihrem Computer im Wohnzimmer, räumt eilig leere Packungen Instantnudeln weg und ruft eine Tabellenkalkulation auf. Der Code bezieht sich auf einen von NXP Semiconductors hergestellten Chip, der in der Mikrocontroller-Einheit von Autos verwendet wird. Der Absender versucht, einen Abnehmer für 300 Stück zu finden, die nicht vor 2021 hergestellt wurden und in seinen Besitz gelangt sind. Wie, das steht da nicht.

Weder Wang, die nur mit ihrem Nachnamen genannt werden will, noch ihr sechsköpfiges Team sind seriöse Chiphändler. Freiberufliche Makler wie sie waren am chinesischen Halbleitermarkt früher nur kleine Akteure. Seit Ende 2020 werden sie jedoch immer wichtiger, da globale Chip-Engpässe begannen, bei der Produktion von Smartphones und Fahrzeugen die Lieferketten zu stören.

Mittlerweile haben Wohnzimmer-Zwischenhändler wie Wang einen riesigen, undurchsichtigen grauen Markt gebildet, auf dem Hunderte Mittelsmänner gebrauchte oder veraltete Chips dealen. Die Preise können hier durchaus das 500-fache des Listenpreises betragen.

Am akutesten ist die Situation bei Chips für Autos, die immer mehr zu Computern auf Rädern werden. Die jüngsten US-Exportbeschränkungen für Chips werden die Engpässe noch verschärfen, wie der Chef des grössten chinesischen Auto-Branchenverbands warnt. 

Die Händler im Untergrund dürften Nutzniesser des Mangels sein. 

US-Sanktionen sorgen für Panik am Markt

"Die jüngsten US-Sanktionen haben am Markt eine weitere Panik ausgelöst", sagte der Generalsekretär der China Passenger Car Association, Cui Dongshu, vergangene Woche. "Die Vertriebskanäle und die Preise für Chips sind durcheinander geraten." Dies gelte sowohl für Chips im Basissegment als auch für besonders moderne Halbleiterkomponenten. 

Der in China für seinen SUV Li One bekannte Hersteller Li Auto hat informierten Kreisen zufolge einem Makler mehr als 500 Dollar für einen Bremschip gezahlt, der vor der Pandemie rund einen Dollar kostete. Das Unternehmen dementierte diesen Betrag, lehnte es aber ab, weitere Stellungnahmen abzugeben.

China ist der mit Abstand grösste Automarkt der Welt, wobei E-Autos auf dem Vormarsch sind. Mangelnde Regulierung und die rasant steigende Nachfrage sorgen dafür, dass Chip-Deals am Graumarkt im Reich der Mitte weit verbreitet sind.

Nach Angaben vieler Makler, die Bloomberg News für diesen Bericht interviewt hat, sind minderwertige Chips so weit in die Lieferkette eingedrungen, dass die Qualität der Fahrzeuge und - schlimmer noch - die Sicherheit gefährdet ist. Sollte beispielsweise ein minderwertiger Chip im ABS-Bremsmodul versagen, könnte dies lebensbedrohliche Folgen haben.

Die Robert Bosch GmbH erhielt informierten Kreisen zufolge mehrere Anfragen chinesischer Automobilhersteller, in Fahrzeugkomponenten Chips zu verbauen, die von den Unternehmen selbst auf dem grauen Markt beschafft wurden. Ein Hersteller forderte Bosch etwa auf, mit Graumarkt-Halbleitern zu arbeiten, deren Preis während der Corona-Krise in die Höhe geschnellt war, weil der malaysische Bosch-Zulieferer die Produktion der Komponenten für das elektronische Stabilitätsprogramm (ESP) einstellen musste. Bosch lehnte das informierten Kreisen zufolge ab, weil man um die Integrität des Produktes fürchtete. 

Ein Bosch-Vertreter verwies auf ein Interview des Executive Vice President von Bosch China aus dem September. Darin hatte Xu Daquan erklärt, der Chipmangel werde voraussichtlich auch im nächsten Jahr nicht behoben sein. Eine darüber hinaus gehende Stellungnahmen lehnte Bosch ab. 

Herkunft von Chips schwer zu beurteilen

Zwischenhändler wie Wang betreiben registrierte Unternehmen und zahlen Steuern. Die Herkunft von Chips, die auf dem grauen Markt gekauft und verkauft werden, ist allerdings schwer zu beurteilen. 

Chips können aus fragwürdigen Kanälen stammen, von autorisierten Vertretern, die absichtlich oder aus anderen Gründen zu grosse Bestellungen bei einem Hersteller aufgegeben haben. Sie können von an sich legitimen Unternehmen kommen, die überschüssige Chips gewinnbringend verkaufen, auch wenn das gegen Vereinbarungen mit den Herstellern der Halbleiter verstösst. Einige Makler setzen auch auf Gewinne durch Horten und Preistreiberei - eine Geschäftspraxis, die gegen chinesische Gesetze verstösst und gegen die lokale Behörden durchgreifen wollen.

"Das herkömmliche System, bei dem die Autozulieferer eine Bestellung über einen autorisierten Vertreter aufgeben und auf die Auslieferung durch einen Original-Chiphersteller warten, funktioniert nicht mehr", ist die Chipmaklerin Wang überzeugt.

Angesichts der Chipengpässe haben Toyota Motor und Volkswagen ihre Produktion gedrosselt, während etwa Tesla das Problem mit neuer Software umging, die es dem E-Auto-Pionier erlaubten, andere Halbleiter zu verwenden.

Die drei grossen, in den USA börsennotierten chinesischen Elektroautohersteller - Nio, Xpeng und Li Auto - haben dem Vernehmen nach allesamt versucht, Chips von Zwischenhändlern zu kaufen, die nicht von den Herstellern der Halbleiter autorisiert wurden. Wie zu hören ist, war fast jeder Autoproduzent aus der Volksrepublik darauf aus, auf diesem Wege Chips zu beschaffen. Die Ausnahme ist die BYD Chinas grösster Hersteller von Elektroautos produziert seine Chips selbst. 

Graumarkthandel findet online statt

Der Graumarkthandel findet hauptsächlich online, in WeChat-Gruppen und per E-Mail statt, aber auch auf Marktplätzen wie dem Saige (SEG) Electronics Market Plaza Huaqiangbei in Shenzhen wird gehandelt. Dort bringen Makler Chipmuster in Rucksäcken mit, um Aufträge einzuwerben. Das ist auch den Behörden der Volksrepublik nicht entgangen. 

Im August letzten Jahres leitete die Regierung eine Untersuchung wegen möglicher Preismanipulationen ein und verhängte gegen drei Makler Geldstrafen in Höhe von insgesamt 2,5 Millionen Yuan (354 Millionen Euro), weil diese Auto-Chips "mit einem erheblichen Aufschlag" verkauft hatten. Aber auf einem Markt, auf dem die verzweifelten Autohersteller ein Vielfaches des Listenpreises zahlen, ist diese Art von Strafe nicht sehr abschreckend.

Branchenriesen wie Toyota und General Motors sehen zwar Zeichen der Entspannung auf dem Chipmarkt, doch einige Experten sehen wegen der Halbleiterknappheit, Wartezeiten beim Transport und den andauernden Lockdowns in China Probleme bis weit ins nächste Jahr.

Daher wird Frau Wang wohl erstmal noch gut im Geschäft bleiben. Derzeit hat sie soviel zu tun, dass sie kaum in ihr 30 Minuten U-Bahn-Fahrt entferntes Büro geht, sondern ihrem Geschäft am Laptop auf dem Esstisch oder per WeChat vom Schlafzimmer aus nachgeht.

"Wir sind die Anlaufstelle für Notfälle geworden", meint sie. "Wir halten die Produktion unserer Kunden aufrecht."

(Bloomberg)