Für die langfristige Entwicklung von Aktienkursen sind nur zwei Faktoren verantwortlich: der Gewinn pro Aktie und die Bewertung. Die Bewertung wiederum wird durch das Gewinnwachstum beeinflusst: Je höher das Wachstum, desto höher die Bewertung - theoretisch zumindest.

Nach einem Rückschlag Anfang April, bei dem die Börsen um fast 20 Prozent gefallen waren, haben sich die wichtigsten Aktienmärkte der Welt inzwischen grösstenteils erholt. Der europäische Leitindex Stoxx 600 notiert sogar nur knapp unter dem Allzeithoch. Bei der Schweizer Börse fehlt noch etwas dazu. 

Eine kurzfristige Prognose, wie es weiter geht, ist schwierig. Längerfristig können jedoch die Erwartungen zum Gewinnwachstum eine Orientierung bieten. cash.ch hat alle Aktien im Swiss Performance Index (SPI) ausgewertet, die mindestens vier Gewinnschätzungen von Analysten für das Geschäftsjahr 2027 haben.

Gewinnverdoppelungen

Das höchste Gewinnwachstum am Schweizer Markt sehen Unternehmensanalysten beim österreichisch-deutschen Chip- und Sensorenhersteller ams-Osram - nämlich knapp 660 Prozent bis 2027. Doch nicht nur bei diesem Turnaround-Kandidaten sind die Experten optimistisch. Bei acht von zehn Unternehmen wird mindestens eine Verdoppelung der Gewinne pro Aktie erwartet, wie folgende Tabelle zeigt.

Unternehmen Gewinnwachstum (2027) KGV (2027) KGV (Durchschnitt)
ams-Osram 658 Prozent 7.9 13,6
Zehnder 579 Prozent 13.8 16
Montana Aerospace 327 Prozent 12.4 38,3
Lem 259 Prozent 17.9 22,4
CPH Group 217 Prozent 11 15,1
Comet 168 Prozent 21 21,8
Stadler Rail 138 Prozent 11.8 18,8
Galderma 118 Prozent 28.6 37,3
Ypsomed 96 Prozent 27.5 41,8
Dormakaba 93 Prozent 22.1 16,8

Quelle: LSEG, KGV = Kurs-Gewinn-Verhältnis

Ebenfalls positiv schätzen Experten den Gewinnverlauf beim Klimaspezialisten Zehnder und beim Luftfahrtzulieferer Montana Aerospace ein: Das Wachstum des Gewinns pro Aktie soll bei 580 Prozent respektive knapp 330 Prozent liegen. Montana Aerospace gilt als klassische Wachstumsgeschichte; bei Zehnder dürften sich nach einer kurzen Verschnaufpause Wachstum und Margenausbau fortsetzen.

Trotz hoher Wachstumsraten empfehlen Experten nicht alle diese Unternehmen zum Kauf. Bei ams, Stadler Rail und Dormakaba veranschlagen die Analysten im Schnitt bloss ein Halten. Weshalb?

ams befindet sich in einem Restrukturierungsprozess. Seit vier Jahren sinken Umsatz, operative Marge und der Reingewinn. Letzterer brach um 82 Prozent ein. Laut den Experten der UBS geht es zwar in die richtige Richtung, doch die zyklische Erholung des Automobilsektors (52 Prozent des Umsatzes) und die Restrukturierung, inklusive Abspaltungen von Unternehmensbereichen, stecken erst in den Kinderschuhen.

Kursverlauf von ams, Stadler Rail und Dormakaba in Franken.

Stadler Rail wiederum stagniert seit Jahren. Seit dem Geschäftsjahr 2021 sind die Umsätze der Thurgauer nahezu unverändert. Produktionsunterbrüche durch Naturkatastrophen trugen dazu bei. «Die massiven Folgen der Naturkatastrophen erlauben es Stadler aktuell nicht, einen detaillierten Ausblick zum laufenden Geschäftsjahr 2025 zu geben», schrieb der Konzern bei der Publikation der jüngsten Ergebnisse. 

Ab 2026 rechnen Gesellschaft sowie Analysten mit starkem Umsatzwachstum und einem Anstieg der operativen Marge. Mit Verweis auf die aktuellen Unsicherheiten halten die Experten der Zürcher Kantonalbank (ZKB) den Ausblick dennoch für «wenig inspirierend». Der Aktienkurs befindet sich nahe einem Allzeittief.

Bei Dormakaba hat sich der Aktienkurs nach Ankündigung einer umfassenden Strukturierung vor zwei Jahren deutlich erholt. Vom Mehrjahrestief im Oktober 2022 bei 300 Franken avancierten die Papiere auf knapp 750 Franken. Derzeit befinden sie sich bei gut 700 Franken.

Die Restrukturierung mit Fokus auf eine Vereinfachung der Unternehmensstruktur und dem Ziel, die operativen Margen zu verbessern, läuft zwar nach Plan, jedoch befinden sich die Margen weiterhin unter dem Niveau vor 2019. Aufgrund der schleppenden Erholung diverser Immobilienmärkte und den erheblichen Restrukturierungskosten dürften diese Ziele vorerst ausser Reichweite bleiben. Laut den Analysten der Bank Vontobel ist ein Grossteil der erwarteten Normalisierung bereits im Kurs eingepreist.

Effiziente Märkte - aber nicht immer

Wie bei Dormakaba scheint der Markt das Wachstum bei der Hälfte der cash-Aktienauswahl effizient einzupreisen. Vergleicht man die aktuellen Kurse mit den durchschnittlichen Zwölf-Monats-Kurszielen, liegt bei fünf der zehn Aktien nur noch geringes Potenzial vor - der faire Wert scheint erreicht worden zu sein: ams, Montana Aerospace, Zehnder, Dormakaba und Galderma zählen dazu. Die Kursziele weichen höchstens 5 Prozent nach oben oder unten vom aktuellen Kurs ab.

Demgegenüber stehen Lem (33 Prozent Aufwärtspotenzial gegenüber den Durchschnittskurszielen), CPH (35 Prozent), Comet (31 Prozent), Stadler Rail (11 Prozent) und Ypsomed (12 Prozent). Hier besteht teils erhebliches Aufwärtspotenzial.

Besonders Lem, CPH und Comet fallen auf. Gemäss Analysten handelt es sich bei Lem um ein klassisches Turnaround-Investment. Nach rückläufigen Umsätzen und stark gesunkenen Margen - von 23 Prozent im Jahr 2022 auf unter 13 Prozent 2025 - sehen UBS-Analysten nun erste positive Signale. Fundamentale Verbesserungen im Automationsbereich und eine damit verbundene Erholung wird erst ab 2026/2027 erwartet.

Kursverlauf von Lem, CPH und Comet in Franken.

CPH gehört zu den eher kleineren Werten an der Börse. Gut 400 Millionen Franken Marktkapitalisierung bringt der Chemie- und Verpackungsdienstleister auf die Waage. In einer Restrukturierung hat das Unternehmen im vergangenen Jahr die weniger lukrativen Geschäftsdivisionen Verpackung und Immobilien abgespaltet.

Der Fokus auf das Kerngeschäft und höhere Margen sollen eine Neubewertung ermöglichen. Die relativ niedrige Bewertung ist laut ZKB-Analysten teils auf die tiefe Titelliquidität zurückzuführen. Das Handelsvolumen betrug an den meisten Tagen dieses Jahres weniger als 1000 Aktien - also nur 70’000 bis 80’000 Franken pro Tag.

Bei Comet war eine Bewertungskorrektur für die Kursverluste seit letztem Sommer verantwortlich. Die Aktien fielen um über 52 Prozent. Die Intensivierung des Konflikts zwischen China und den USA haben die Unsicherheiten trotz sonst positiver Aussichten aufgrund von KI, High-Performance-Computing- und Edge-Computing-Trends erhöht.

Anfang Juni hoben UBS-Analysten jedoch ihre Schätzungen für die Auftragseingänge in der Halbleiterbranche an. Besonders die starke Inlandsnachfrage in China überraschte, womit die Wachstumsraten für den Sektor nun höher ausfallen. Als Marktführer für Vakuumkondensatoren dürfte Comet laut UBS direkt von diesem höheren Wachstum profitieren.

Nur wenige mit tiefer Bewertung

Mit Blick auf die 2027er-Ergebnisse scheinen die Unternehmen günstig bewertet zu sein. Doch die ambitionierten Wachstumsziele müssen erst erreicht werden - andernfalls sind die aktuellen Kurse teuer. Das hohe Wachstum führt rein rechnerisch zu tiefen KGV.

Zieht man für die Beurteilung der Bewertungshöhe ohne Einfluss des Wachstums die letztjährigen Ergebnisse bei, liegen sieben der zehn Aktien auf oder über ihrem historischen Durchschnitt. Nur CPH, Stadler Rail und Ypsomed sind sowohl rückblickend als auch auf Sicht der nächsten Jahre günstig bewertet.

Die niedrige Bewertung von Ypsomed überrascht: Das Unternehmen wächst in Eiltempo, der Umsatz hat sich in den vergangenen fünf Jahren nahezu verdoppelt. Der Gewinn pro Aktie ist siebenmal höher. 

Diese Entwicklung hat sich positiv in der Bewertung niedergeschlagen. Seit Mai 2024 sitzt der Aktienkurs bei etwa 400 Franken fest (mit enormen Schwankungen und einem kurzen Taucher auf 300 Franken). In der gleichen Zeit hat sich der Gewinn pro Aktie derart verbessert, dass sich das KGV von 60 auf nun 30 gefallen ist. 

Die US-Investmentbank Stifel nennt den Ypsomed-Investment-Case klar und überzeugend. «Ypsomed wächst rasant, verfügt über einen hohen Marktanteil, profitiert von einem Marktwachstum im hohen einstelligen Prozentbereich und weist aufgrund seiner Reputation und den hohen Eintrittsbarrieren eine starke Wettbewerbsposition auf.»

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