Volle Säle und Hallen statt des einsamen Blicks in die Kamera: Immerhin ein Dutzend der 40 Vorstände und Aufsichtsräte von Dax-Konzernen stellt sich in diesem Jahr den Aktionären wieder in einer Präsenz-Hauptversammlung. War Telekom-Chef Tim Höttges 2022 noch der einzige Vorstandschef, der die Aktionäre wieder persönlich in Bonn begrüsste, greifen nach dem Ende der Corona-Pandemie mehr Manager trotz der höheren Kosten auf das traditionelle Format zurück. Wichtigen deutschen Investoren ist das noch zu wenig: "Wir wollen keine Distanz-Hauptversammlung, sondern vor dem gesamten Vorstand und Aufsichtsrat sprechen können", sagt Vanda Rothacker, Expertin für Corporate Governance bei der Frankfurter Fondsgesellschaft Union Investment, der Nachrichtenagentur Reuters.

Die Deutsche Telekom machte auch in diesem Jahr den Anfang. Zum Präsenz-Format zurückkehren wollen Henkel (24. April in Düsseldorf), BASF (27. April in Mannheim), Adidas (4. Mai in Fürth), Deutsche Post (4. Mai in Bonn), Symrise (10. Mai in Holzminden), HeidelbergCement (11. Mai in Heidelberg), SAP (11. Mai in Mannheim) und Volkswagen (17. Mai in Berlin). Auch die VW-Tochter Porsche dürfte ihre erste Hauptversammlung nach dem Börsengang am 28. Juni mit den Aktionären im Saal abhalten. Dazu kommen Airbus und Qiagen, die ihren Sitz in den Niederlanden haben und auch in der Pandemie Präsenzversammlungen abhielten.

25 Dax-Konzerne wollen das virtuelle Format zumindest 2023 beibehalten, das während der Pandemie zum Schutz vor Ansteckung eingeführt wurde. Dafür sprächen die Kosten - sowohl für die Veranstaltung selbst als auch für die Anreise der Aktionäre, Umweltaspekte und die einfachere Möglichkeit die Anteilseigner aus dem Ausland, die Hauptversammlung mitzuverfolgen. Und nach dem neuen Gesetz, das Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) im vergangenen Jahr durch das Parlament brachte, könnten die Aktionäre auf der Hauptversammlung auch live reden und Fragen stellen - was im "Corona-Format" nur wenige Firmen einrichten wollten. Der Energiekonzern E.ON verlangt allerdings auch künftig, die Fragen einige Tage vorher einzureichen.

Invstoren wollen hybride Generalversammlungen

Damit börsennotierte Unternehmen über 2023 hinaus virtuelle Hauptversammlungen abhalten können, müssen die Aktionäre zustimmen. Dann kann der Vorstand Jahr für Jahr über das Format entscheiden. Laut Gesetz muss die Genehmigung nur alle fünf Jahre erneuert werden - doch dagegen hatten einflussreiche Stimmrechtsberater wie ISS Widerstand angekündigt. Man wolle erst einmal Erfahrungen sammeln. Daher beschränken sich die meisten Unternehmen zunächst auf eine Genehmigung für zwei Jahre. Infineon musste im Nachhinein zurückrudern, um einer Niederlage zu entgehen.

"Wir finden es nicht richtig, dass der Vorstand über das Format entscheidet", sagt Union-Investment-Expertin Rothacker. Sie schlägt vor, im Corporate-Governance-Kodex zumindest ein hybrides Format vorzuschreiben, bei dem die Aktionäre die Wahl haben - auch wenn das teurer ist als das reine Präsenz-Format. "Die hybride Hauptversammlung verbindet das Beste aus beiden Welten. Die Aktionäre können dann selbst entscheiden, ob sie den persönlichen Austausch vor Ort bevorzugen oder nur am Bildschirm teilnehmen wollen."

Siemens Healthineers hat mit den Stimmen des Mehrheitseigentümers Siemens eine Erlaubnis für virtuelle Hauptversammlungen für fünf Jahre durchgedrückt. Continental will drei Jahre und baut dabei auf die Stimmen des Grossaktionärsfamilie Schaeffler. Und auch der VW-Vorstand will für fünf Jahre freie Hand - obwohl er sich für 2023 für eine Präsenz-HV im Berliner Kongresszentrum mit voraussichtlich Tausenden Aktionären entschieden hat. Nur bei Symrise fehlt der Antrag auf eine virtuelle Hauptversammlung ganz auf der Tagesordnung. Das Aktionärstreffen in Holzminden dürfte aber ohnehin nicht zum Massenauflauf werden.

(Reuters)