Die automobile Weltbühne betrat Mate Rimac vor knapp zehn Jahren auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt. Auf den Fotos von 2011 sieht man einen 23-Jährigen im dunkelblauen Hemd, Flanellhose, dünnem Ledergürtel und billigen, hellgrauen Lederschuhen. Der junge Mann steht neben dem Prototypen seines selbst konstruierten Sportwagens. Dabei verbreitet er eher den Charme eines Vertreters für Scheibenwischer als die Aura des genialer Innovators, der er damals schon war.
Doch der Rimac Concept One war eine Sensation. Der erste vollelektrische Sportwagen enthielt die 24 patentierte Innovationen. Er wurde als das erste elektrische Superauto der Welt bezeichnet: 1088 PS, 3800 Newtonmeter Drehmoment, von 0 auf 100 km/h in 2,8 Sekunden. Und der Top-Speed sollte laut Rimac bei 305 Stundenkilometern elektronisch abgeriegelt werden.
Sportwagen mit bis zu 2000 PS
Das Auto gelangte ein paar Jahre später zu Youtube-Berühmtheit, als die Macher der Sendung "Top Gear" eins von acht gebauten Fahrzeugen bei dem Hemberger Bergrennen crashten und der Wagen komplett ausbrannte. Das Video des Unfalls wurde bereits über drei Millionen Mal angeklickt.
Inzwischen trägt Rimac Vollbart und Sneakers unter den Chinos und wäre von anderen Startup-Gründern in Kalifornien oder Tel Aviv nicht zu unterscheiden. Seine Firma Rimac Automobili entwickelt und fertigt Supersportwagen mit bis zu 2000 PS und einer Spitzengeschwindigkeit über 400 Stundenkilometern. Zudem liefert Rimac Technologien und Systeme für mehrere namhafte Hersteller von Elektroautos.
In seinem Unternehmen, fünfzehn Autominuten westlich der kroatischen Hauptstadt Zagreb angesiedelt, beschäftigt er inzwischen rund 1000 Angestellte. Das neue futuristische Hauptquatier für bis zu 2500 Mitarbeitende ist im Bau und soll 2023 fertiggestellt werden.
Porsche an Bord
Rimac erhält Aufträge von Hyundai, Aston Martin oder Pininfarina, Sportwagen-Ikone Porsche hat gerade ihren Anteil an Rimacs Firma von 15 auf 24 Prozent erhöht und dafür 70 Millionen Euro gezahlt. Danach wäre sein Unternehmen rund 780 Millionen Euro wert. Zum Vergleich: Tesla wird mit rund 500 Milliarden Euro bewertet, Ferrari auf der anderen Seite mit gut 30 Milliarden.
Von Porsche-Manager Lutz Meschke bekommt er nicht nur das Geld, sondern auch den Ritterschlag: "Rimac ist bei prototypischen Lösungen und Kleinserien hervorragend aufgestellt", sagt der Finanz- und IT-Vorstand von Porsche: "Mit Mate Rimac und seinem Team haben wir einen wichtigen Partner an unserer Seite, der uns insbesondere bei der Entwicklung von Komponenten unterstützt."
Und die Aufstockung der Porsche-Beteiligung scheint nur das letzte Highlight von Rimacs Karriere zu sein. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass Porsche-Mutter Volkswagen dem Kroaten die chronische defizitäre Marke Bugatti abtreten will. Man traut Mate Rimac zu, aus dem schnellsten Serienauto der Welt eine elektrische Erfolgsgeschichte zu basteln.
"Es ist spannend zu sehen, was er alles geleistet hat", sagt Ferdinand Dudenhöffer, Autoexperte und Direktor des Center Automotive Research in Duisburg: Rimac brenne für Technik und betreibe ein Tech-Startup, von denen man in Europa mehr gebrauchen könnten.
Auch die Herkunft des Startups von Rimac lobt Dudenhöffer: "Im Gegenzug zum deutschen, wenig erfolgreichen e.Go und Firmengründer Günther Schuh, der zwar viele Schlagzeilen gemacht hat, aber mit Einfachst-Technik und Autos wenig erfolgreich war."
In der Schule schon ein Star
Wenn Mate Rimac heute im Kapuzenpulli mit VW-Chef Diess über Bugatti verhandelt, tut er das in hervorragendem Deutsch. Als er drei Jahre alt war, flüchtete seine Familie vor dem jugoslawischen Bürgerkrieg aus Bosnien nach Frankfurt. Dort blieben sie bis zum Jahr 2000, anschliessend zogen die Rimacs nach Samobor in Kroatien, wo der Vater ein Immobilienunternehmen gründete.
Als Schüler in Kroatien hatte Rimac zunächst Schwierigkeiten, sich in die neue Umgebung einzufinden, wegen seines bosnischen Akzents wurde er gehänselt. So verbrachte er viel Zeit in der Garage seines Vaters und tüftelte an kleinen Projekten. Als ihn ein Lehrer überredete, an einem Elektronikwettbewerb teilzunehmen, gewann er den ersten Preis sowie auch endlich die Anerkennung seiner Klassenkameradinnen und -kameraden.
Es folgten zahlreiche weitere Wettbewerbe für Innovation und Elektronik; Rimac vertrat sein Land erfolgreich bei Schülerwettbewerben rund um den Globus. 2005 entwickelte er den von ihm so genannten "iGlove", eine Konstruktion, die Computer-Tastatur und -Maus durch einen Handschuh ersetzt. Dann erfand Rimac ein Rückspiegel-System zur Vermeidung des toten Winkels mit der Bezeichnung Active Mirror System. Die Erfindungen gewannen auf der Erfindermesse IENA in Nürnberg eine Gold- und eine Silbermedaille.
Die Idee zum Elektroauto entstand durch eine Panne
Mit seinen Ersparnissen kaufte er sich als junger Mann einen gebrauchten BMW E30 in giftgrün, mit dem er an Rennen teilnahm. Als ihm der Motor seines getunten BMWs bei einem Driftrennen um die Ohren flog, fehlte das Geld für seinen Wunschmotor, einen Fünfliter-V8 aus einem BMW M5.
In der Not baute Rimac den Elektromotor eines Gabelstaplers in seinen 3er BMW ein. Nach anfänglichen Niederlagen und jeder Menge Spott – sein Auto wurde von Konkurrenten als Waschmaschine bezeichnet – bastelte er immer weiter und kam langsam auf den Geschmack. Schliesslich düpierte er seine Gegner reihenweise mit einem Elektroantrieb, der zuletzt auf 600 PS hochgetunt war. Die Youtube-Clips seiner Rennerfolge gingen um die Welt.
Parallel zu Rennen und Studium bastelte er im Geiste an seinem Traum weiter – einem elektrischen Hypersportwagen mit mehr als 1000 PS, der das schnellste Elektroauto der Welt sein sollte. Zwei Scheichs aus den Vereinigten Arabischen Emiraten wurden über die Youtube-Videos auf den kroatischen Wunderknaben und überzeugten Veganer aufmerksam und erteilten ihm Anfang 2011 den Auftrag, das Projekt zu verwirklichen.
Nach der Präsentation des Prototyps auf der IAA 2011 sollte der Wagen eigentlich ab 2013 in Serie gebaut wurden. Aber als Rimac es ablehnte, seinen Firmensitz nach Dubai zu verlegen, stiegen die Araber aus.
Aufstieg zum Edel-Zulieferer
Rimac stand über Nacht ohne Geldgeber da und musste das Projekt alleine stemmen. Es sei eine Zeit gewesen, in der er von der Hand in dem Mund gelebt habe, sagte er einmal in einem Interview.
Um die Entwicklung des Sportwagens zu Ende zu bringen und die Löhne für seine Mitarbeitenden zahlen zu können, bewarb er sich nebenbei bei anderen Autofirmen um Entwicklungsaufträge und merkte schnell, dass sich damit gutes Geld verdienen lässt. RimacAutomobili machte sich fortan nicht nur einen exzellenten Ruf als Hersteller von elektrischen Supersportwagen, sondern eben auch als innovativer Entwickler und Edel-Zulieferer der Autoindustrie.
Schliesslich konnte er in einer Kleinserie den Rimac C_One verwirklichen. Immerhin acht Fahrzeuge wurden hergestellt und Rimac wurde auf dem Balkan zum ersten Autohersteller seit der Staatsmarke Yugo und zum wahrscheinlich erfolgreichsten Startup Kroatiens.
"Elon Musk des Balkans"
Rimac Automobili ist nicht nur bei der Belegschaft kräftig gewachsen. Mittlerweile gibt es in Kroatien sechs Standorte mit dem Hauptsitz in Sveta Nedelja bei Zagreb. Nach einigen corona-bedingten Verzögerungen soll dieses Jahr der zweite Supersportwagen von Rimacin den Verkauf gehen.
Der Rimac C-Two steht kurz vor der Markteinführung. Auf einer Teststrecke beschleunigte der Firmenchef in einem Vorserien-Modell persönlich schneller als ein Bugatti Chiron und als der Porsche Taycan Turbo S. Bis zu 150 Fahrzeuge sollen von dem knapp 2000 PS-starken Elektroflitzer gebaut werden. Preis: über 1 Million Euro. Das grosse Geld will Rimac in den kommenden Jahren trotz der Eigenentwicklungen als Zulieferer von Elektronikteilen für die weltweite Autoindustrie verdienen.
Lieber Rimac als Toyota
Diese Strategie stimmt auch für Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer: Das Geschäftsmodell, als Startup mit einfachen Autos erfolgreich gegenüber VW, Toyota, Hyundai-Kia, Stellantis zu sein, funktioniere nicht: "Rimac hat ein intelligentes Geschäftsmodell entwickelt, das hat Porsche und VW überzeugt", so Dudenhöffer.
Der Deal mit dem VW-Konzern begrüsst der Auto-Professor: "Für den VW-Konzern ist es einerseits wichtig, dass Bugatti in 'gute' Hände kommt. Und da scheint Rimac zu überzeugen." Es sei wichtig, dass Bugatti nicht an die direkte Konkurrenz geht. Bei einem chinesischen Autobauer, aber auch bei Toyota, Hyundai-Kia oder einem US-Autohersteller zu landen, "wäre kein Ruhmesblatt", sagt Dudenhöffer. Es würde wenig Sinn machen, die Wettbewerber mit der Marke zu stärken. "Es ist eine Win-Win-Geschichte für beide", sagt Dudenhöffer.
Zweifellos hat Rimac auch von Tesla-Gründer Elon Musk profitiert, der den Weg für Elektroautos ebnete. Er selbst scheut aber den Vergleich mit dem Amerikaner, auch wenn er ihn in manchen Bereichen durchaus alt aussehen lässt – etwa, was die Leistungspotenziale seiner Sportwagen und die vielen Innovationen und Patente angeht, die Rimac bereits realisiert hat. Daher trägt er den inoffziellen Titel "Elon Musk des Balkans" nicht ganz zu Unrecht.
Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Onlineportal der Handelszeitung unter dem Titel: "Mate Rimac: Der «Elon Musk von Europa» könnte Bugatti wieder cool machen"