Zwei Handelstage im September mit starken Verkaufswellen, Inflationssorgen, steigende Zinsen und eine zwar sanft kommunizierende, aber doch Ängste auslösende Notenbank in den USA: Die Märkte sind klar unruhig. Wie eine Analyse vom cash.ch gezeigt hat, werden Anlagexpertinnen und -experten bei ihren Prognosen nüchterner (mehr dazu hier). Der Ton hat sich im Vergleich zu Mitte Sommer eindeutig geändert.

Um eine wieder grössere Marktunsicherheit stabil durchzustehen, erhöhen manche Anleger mit eher überschaubaren Portfoliogrössen für die kommenden Monate ihre Barmittelquoten. Andere schauen stärker auf defensive und immer noch relativ günstige Pharma- und Versicherungstitel mit guten Dividendenaussichten. Ein dritter, natürlich etwas risikoreicherer Weg wäre die entschiedene Hinwendung zu Energieaktien, namentlich aus den Branchen Öl und Gas.

Die Marktmeinung zu Öl-Aktien hat sich seit 2020 stark geändert. Prognosen, dass die 2019 besonders starke Klimadiskussion die Gewinne der Ölkonzerne zum Einsturz brächten, haben sich nicht bewahrheitet. Grossanleger und Fonds, die damals gemäss neuer ökologisch und sozial inspirierter Richtlinien ihre Anteile reduzierten, sind längst zu Engagements in fossilen Energien zurückgekehrt.

Der S&P Global Oil Index mit den 120 grössten Öl- und Gasförderkonzernen der Welt hat innert Jahresfrist 62 Prozent zugelegt. Je nach Komposition von indexbasierten Anlageprodukten ist im Ölgeschäft noch deutlich mehr Rendite möglich gewesen.

Der S&P Global Oil Index in den vergangenen zwölf Monaten (Grafik: S&P Dow Jones Indices).

Börsengehandelte Fonds (Exchange Traded Funds, ETF), die in Ölfirmen investieren, haben ähnliche Renditen hinter sich oder übertreffen den S&P-Index noch. So hat beispielsweise der "iShares Oil & Gas Exploration & Production UCITS ETF" von Blackrock innerhalb eines Jahres ein Plus von 112 Prozent erzielt. 

Die Termingeschäfte auf den Ölpreis fielen im April 2020 wegen der Coronakrise und wegen des eigenwilligen Verhaltens der Fördernation Saudi-Arabien unter Null, erholte sich dann aber schnell. Nun hat sich der Preis innerhalb von zwölf Monaten faktisch verdoppelt. Das Nordseerohöl Brent wurde diese Woche kurzzeitig über 80 Dollar pro Fass gehandelt. So hoch war der Preis zuletzt im Oktober 2018. Die Analysten von Goldman Sachs gehen davon aus, dass der Preis bis Ende Jahr auf 90 Dollar steigen wird. Noch optimistischere Prognosen erwarten nächstes Jahr einen Ölpreis über 100 Dollar. 

Knappheit und Angst vor einer Energiekrise 

Der Preis von Erdgas ist innert Jahresfrist noch ein Fünftel stärker angestiegen als Öl. Für private Haushalte bedeutet dies keinen guten Ausblick. Der Nachschub von Energieträgern auf der Welt generell ist zäher geworden und führt zu Befürchtungen einer eigentlichen Winter-Energiekrise in der nördlichen Hemisphäre. Doch was knapp ist, läuft an der Börse.

Deswegen dürften Öl-Aktien trotz ihrer bereits eindrücklichen Rally weiter gut performen. Die Ölförderer selbst dürften dazu beitragen, den Ölpreis auf seinem wieder hohen Level zu halten, indem sie auf eine zu starke Ausweitung der Bohrungen verzichten.

Die Branche hat bei den Börsianern aber auch Anerkennung gefunden, weil sie nach massiven Sparübungen im Vorjahr und trotz steigender Einnahmen in diesem Jahr der Versuchung widerstanden hat, wieder massiv Kapital auszugeben. Stattdessen sind sie dabei, ihre Bilanzen zu verbessern. Im Ölboom vor 2008 warfen die Ölkonzerne für teure Investitionen wie Tiefseebohrungen mit Geld nur so um sich.

Beim Geldausgeben zurückgehalten hat die Ölkonzerne zuletzt auch die Erwartung einer volatilen Marktlage. Doch gerade diese kommt den Aktien jetzt zugute.

Disziplin beim Geldausgeben zahlt sich aus

Hoch im Kurs bei Investoren liegen die US-Konzerne Exxon, Chevron und ConocoPhillips. Diese gelten als Beispiele für das "diszipliniertere" Investieren, ausserdem erlauben sie derzeit eine Dividendenrendite von knapp 6 respektive 5,5 und 2,6 Prozent. Auch der US-Gas- und Ölförderer Devon Energy will, statt massiv in Bohrkapazitäten zu investieren, die Aktionäre belohnen. Der Aktienkurs von Devon Energy hat sich dieses Jahr bereits verdoppelt.

 

 

Überhaupt spielen Dividendenbetrachtungen eine wichtige Rolle bei der neu aufgeflammten Liebe der Märkte für die Ölindustrie. Diamondback Energy ist ein derzeit häufig positiv erwähnter Titel. Der Öl- und Gasförderer im Permian Basin im Staat Texas kommt zwar nur auf 1,9 Prozent Dividendenrendite, aber hat kürzlich ein zwei Milliarden Dollar schweres Aktienrückkaufprogramm angekündigt.

Im Gespräch bei Diamondback Energy ist aber auch eine so genannte variable Dividende. Dieses Modell einer Ausschüttung breitet sich im stark zyklischen Ölgeschäft aus. Das heisst, zu einer fixen, nach amerikanischem Gebrauch vierteljährlich entrichteten Dividende kommt ein variabler Betrag hinzu. Abhängig ist dieser Dividendenzusatz beispielsweise vom freien Cashflow, der mit den Quartalsergebnissen ausgewiesen wird. Devon Energy oder auch der Ölförderer Pioneer Natural Resources locken Investoren bereits mit diesem Modell. Die Marktreaktionen scheinen zu bestätigen, dass dies funktioniert.  

Mehr Kapital für erneuerbare Energien

Alles in allem sieht sich die Ölindustrie mit einigen Veränderungen konfrontiert. Die Klimadebatte schliesslich ist nicht vom Tisch, kann sich aber zum Vorteil der Ölförderer entwickeln. Die US-Ölkonzerne wie auch auch europäische Pendants wie BP, Total, Repsol oder Shell haben sich zudem auf die Fahnen geschrieben, an der Reduktion von CO2-Ausstössen mitzuwirken und erneuerbare Energien auszubauen.

"Höhere Ölpreise erlauben es uns, aus dem bisherigen Geschäft mehr Ertrag zu ziehen, was wiederum mehr Ressourcen für den Umbau im Sinne unserer Veränderungspläne generiert", sagte Repsol-Chef Josu Jon Imaz zur Nachrichtenagentur Reuters. Dies ist nicht der einzige Grund, warum innerhalb nur eines Jahres die Öl-Aktien vom "meistgehassten" Investment zu einem der beliebtesten und renditeträchtigsten geworden sind. Aber die Transformation zu klimafreundlicherer Energieversorgung gibt der Branche insgesamt eine bessere Perspektive.