Derzeit gibt es kaum etwas Günstigeres als europäische Automobilaktien. Die Papiere von BMW, Mercedes, Stellantis oder Volkswagen werden zu einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von lediglich 3 bis 7,4 auf die erwarteten Gewinne des kommenden Jahres gehandelt. cash.ch berichtete bereits über die historisch niedrige Bewertung von Volkswagen in dieser Kurzeinschätzung.
Kaum überraschend werden auch viele Zulieferbetriebe im Sog der Autohersteller und der Branchenkrise tief bewertet. Einige davon sitzen in der Schweiz. Während bei einer Gruppe eine Erholung der Branche bereits im Kurs eingepreist ist, glaubt der Markt bei anderen Unternehmen nicht daran.
Zur ersten Gruppe zählt Ems-Chemie: Die Titel gehören mit einem KGV von über 30 zu den teuersten im Chemiesektor. Feintool hingegen fällt in die zweite Kategorie - hier rechnet kaum jemand mit einer schnellen Besserung. Neben der Branchenschwäche befindet sich das Unternehmen in einem Restrukturierungsprozess und hat kürzlich einen personellen Neuanfang gewagt. Die Aktien weisen die niedrigste Bewertung im zyklischen Konsumsektor in der Schweiz auf.
Abhängigkeit von der Autoindustrie
Feintool produziert eine breite Palette an Metall- und Stahlkomponenten, etwa für Motoren, Bremsen oder Batteriesysteme. Rund 84 Prozent des Umsatzes kommen aus der Automobilindustrie und 60 Prozent des Umsatzes erwirtschaften die Berner in Europa. Mehrheitsaktionär ist der Industrielle Michael Pieper mit gut 50 Prozent, während sich laut LSEG etwa 35 Prozent der Aktien im Streubesitz befinden.
Die Marktkapitalisierung von Feintool liegt heute bei etwas über 180 Millionen Franken. Das sind knapp 84 Prozent weniger als noch vor acht Jahren. Ursachen für den Wertzerfall waren die Verschlechterung der Wachstumsaussichten sowie ein Gewinneinbruch.
Kursentwicklung der Feintool-Aktien in Franken.
Der Umsatz liegt mittlerweile bei gut 730 Millionen Franke - rund 120 Millionen mehr als 2017. Doch die Profitabilität ist stark schwankend: mal Gewinne, mal Verluste, und das bei hoher Volatilität. Zusätzlich belastet der starke Franken.
Seit Jahren versucht Feintool, die Abhängigkeit von Franken und Autoindustrie zu reduzieren. Mit der aktuellen Restrukturierung soll diese Entwicklung beschleunigt und das Unternehmen zukunftsfähig gemacht werden. Ein zentraler Bestandteil ist die Produktionsverlagerung sowie ein Stellenabbau.
Doch die Kosten dafür sind erheblich. Deshalb hat Feintool die Mittelfristziele kürzlich nach hinten verschoben. Neu will Feintool mittelfristig eine EBIT-Marge von mehr als 6 Prozent erreichen. Bislang hatte der Konzern für 2026 eine EBIT-Marge von 6 bis 8 Prozent als Ziel ausgegeben. Weiterhin gelte das Ziel, bis 2030 einen Umsatz von über einer Milliarde Franken zu erreichen. Für das laufende Jahr wird nach zwei Verlustjahren die Rückkehr in die Gewinnzone erwartet.
Analysten bleiben skeptisch
Analysten schätzen die Entwicklung allerdings weniger optimistisch ein. Sie rechnen erst 2026 mit einer positiven EBIT-Marge von 2,4 Prozent und einem Gewinn. Das Margenziel von über 6 Prozent dürfte erst ab 2028 realistisch sein.
Zwar ist der Fokus auf einer Umstrukturierung der Aktivitäten in Europa gemäss dem Analysten des Research-Hauses Kepler Cheuvreux richtig und zeigt Wirkung - wenn auch winzig klein-, doch ist die Umorganisation mit erheblichen Vorlaufkosten verbunden, die die Marge unter Druck gesetzt haben.
Bevor Kepler die Abdeckung im Juni eingestellt hat, führten sie Feintool mit einer Verkaufsempfehlung und einem Kursziel bei 10 Franken. Der zuständige Analyst bezweifelte in seinem letzten Update, dass Feintool den operativen Leverage verbessern könne.
Die niedrige Bewertung von Feintool überrascht bei der Fülle von Problemen wenig. Das vorwärtsgerichtete KGV auf die nächstjährigen Ergebnisse liegt bei knapp 19, für 2027 bei rund 8. Das Verhältnis von Unternehmenswert zum Umsatz beträgt 0,4 - tiefer war es nur 2009 und 2022 (jeweils 0,3).
Neues Führungsduo mit frischem Wind?
Das Unternehmen versucht vor diesem Hintergrund auch einen personellen Neuanfang. Seit dem 1. Juni steht Lars Reich an der Spitze von Feintool. Der US- und Schweizer Doppelbürger ist seit fast 30 Jahren bei der Gruppe tätig und war zuletzt Vertriebsleiter sowie Leiter der Business Unit Feinschneiden und Umformen Europa..
Nur wenige Wochen zuvor hat der langjährige Verwaltungsratspräsident Alexander von Witzleben ebenfalls seinen Rücktritt bekannt gegeben. Nachfolger ist Norbert Indlekofer. Er gehört dem Gremium seit sieben Jahren an und war zuvor über 25 Jahre in leitenden Funktionen bei der deutschen Schaeffler-Gruppe tätig.
Ob das neue Duo den Konzern auf Kurs bringt, wird sich nur langsam zeigen. Feintool veröffentlicht Ergebnisse nur halbjährlich - das nächste Mal am 13. August. Für den Jahresabschluss 2025 ist der 26. Februar 2026 als provisorisches Datum vorgesehen.
Die ZKB hat dem neuen CEO in ihrem jüngsten Update eine «To-Do»-Liste mitgegeben: Kostensenkungsmassnahmen, Restrukturierung, Aufbau der Wasserstoffaktivitäten, mehrere grosse Programmstarts und ein neues Werk in Indien. Wann Reich eigene Akzente setzen kann, ist bei dieser umfangreichen Liste offen. Die Ergebnispublikation im August dürfte deshalb umso mehr mit Interesse verfolgt werden.
Turnaround mit Potenzial
Die Chancen auf einen erfolgreichen Turnaround sind nicht schlecht, doch Geduld ist gefragt. Ein Ende des schwierigen Marktumfelds ist nicht in Sicht. Besonders die Vollbremse beim Absatz von Elektroautos, insbesondere in Deutschland, war überraschend. Hinzu kommt der wachsende Druck chinesischer Hersteller. Werden Volkswagen und Co. nicht förmlich überfahren, stehen die Chancen für ein ruhigeres Fahrwasser für die Umsetzung der Restrukturierung gut.
Und dort macht das Unternehmen vieles richtig. Das asiatische und nordamerikanische Geschäft werden konsequent ausgebaut. Zwar können die Umsatzverluste in Europa vorerst nicht kompensiert werden, doch langfristig dürfte sich die geringere Abhängigkeit von europäischen Produzenten auszahlen.
Besonders das Asiengeschäft ist lukrativ: Die operative Marge des Unternehmens ist dort mehr als 2,5-mal so hoch wie in Europa. Auch das Wachstum überzeugt: 2024 legte Feintool 4,6 Prozent in Lokalwährungen um 4,6 Prozent zu. In den USA betrug das Plus sogar 10 Prozent, zusätzlich konnte das Unternehmen Marktanteile gewinnen.
Gelingt es dem Management, die Restrukturierung zügig umzusetzen, den Frankeneinfluss zu beschränken und die Position in Asien und Nordamerika auszubauen, könnte aus dem negativen Wachstum schnell ein positives werden. Die nächsten beiden Zahlenpublikationen werden somit zeigen, ob es sich um eine stark unterbewertete Aktie handelt oder eine Value-Falle.