Der Schweizer Aktienmarkt hat zuletzt wegen erneut stärker werdender Konjunktursorgen und weitergehender Zinserhöhungen an Fahrt verloren. Seit Jahresbeginn lautet das Kursplus gemessen am Swiss Market Index (SMI) trotzdem knapp 5 Prozent. Ob der Börsenbarometer in den nächsten Monaten wieder höher geht, hängt vor allem davon ab, ob eine sanfte Landung der Wirtschaft gelingt. Eine Umfrage von cash.ch bei fünf Fondsmanagern zeigt, dass beim Markt- und Konjunkturausblick zwar mehrheitlich eher Pessimismus vorherrscht.

Doch auch in der eher unsicheren Marktlage wird zugekauft. Der Schweizer Markt verfügt viele qualitativ gute Unternehmen - die Unabhängigkeit von der Konjunkturlage und strukturelle Wachstumstrends sind dabei für die Titelauswahl wichtiger als auch schon. Verkauft haben die befragten Fondsmanager Aktien von Unternehmen, die bereits gut gelaufen sind oder deren Wachstumspotenzial beschränkt ist. Die Börsenspezialisten sehen aber auch mehrere Titel, die generell zu meiden sind. Der Überblick.

Birgitte Olsen, BB Entrepreneur Switzerland Fund, Bellevue Asset Management

Birgitte Olsen, Fondsmanagerin bei Bellevue Asset Management, fokussiert sich in der aktuellen Marktlage auf strukturelle Themen, die weniger Korrelation zur Zinsbewegungen oder zur Konjunkturlage aufweisen. Dazu gehört der Halbleitersektor. "Wir haben bei Inficon zugekauft, denn die Exposure zu Halbleiter - 50 Prozent vom Umsatz - ist attraktiv und der Titel wesentlich günstiger als VAT", sagt sie gegenüber cash.ch. Aufgestockt wurde In der Schwäche auch beim Medizintechnikhersteller Medmix. Dies sei ein defensiver und attraktiv bewerteter Titel.

Doch Olsen trat in den letzten Wochen nicht nur als Käuferin in Erscheinung: "Aus Governance Gründen haben wir unsere Skan-Position veräussert. Clariant haben wir ebenfalls verkauft." Ihr gefalle zwar das Management, aber die Ergebnisse würden schwach ausfallen. Die Fondsmanagerin setzt auf einen besseren Einstiegspunkt in der Zukunft. Generell meidet sie derzeit Unternehmen mit unsicheren Cashflows und schwachen Bilanzen. Auch bei hohen Bewertungen zeigten Schweizer Anleger noch zu viel Indifferenz.

VAT ist derzeit die Nummer 1 im Portfolio von Olsen. Das schwache erste Halbjahr 2023 werde die mittelfristigen Ziele etwas verzögern. "Jedoch wäre eine Kurskorrektur eine Kaufgelegenheit. Starken Wachstumsperspektiven, anhaltend hohe und steigende Marktanteile, Megatrends wie die Digitalisierung, KI und Elektrifizierung und einen Return on Capital Employed von über 30 Prozent über dem Zyklus machen aus VAT einen Gewinner", fügt sie an.

Marc Possa, VV Vermögensverwaltung "SaraSelect":

"Ich denke, die Stunde der Wahrheit naht allmählich", sagt Marc Possa auf Anfrage von cash.ch. Weltweit hätten zu lange zu tiefe Zinsen bestanden, was zu Fehlallokationen führte. Dies sei der wahre Eisberg. Als Folge dürfte die Inflation in den USA hartnäckiger bleiben als derzeit gedacht. Possa geht deshalb davon aus, dass die Märkte im zweiten Halbjahr volatiler und damit auch gewisse Einstiegschancen bieten werden. Dies vor allem dort, wo die Unternehmen über ein hohes strukturelles Wachstum verfügen.  

Trotz dieser unsicheren Marktlage hat Possa bei Skan und Dottikon aufgestockt. "Beiden Unternehmen ist gemein, dass sie in globalen Nischen operieren und dass sie ihren Kunden erheblichen Mehrwert schaffen, welcher dann über den Verkaufspreis auch zu guten Margen führt", sagt Possa. Skan sei klarer Weltmarktführer im Bereich der Sterilisation von Pharma-Abfüllanlagen. Dottikon profitiere sehr stark von seiner Einstandortstrategie und der damit höheren Effizienz und dem Fakt, dass vermehrt viele Kunden die Abhängigkeit zu China erheblich reduzieren wollen. 

Grundsätzlich warnt Possa vor Investments in alle schlecht geführten Firmen, wo die Interessensangleichung zwischen Managern und Aktionären nicht gegeben sei. "Da gibt es prominente Beispiele. Neben Credit Suisse, wo es leider zum 'Desaster auf Ansage' kam, würde ich Dufry und Zur Rose oder neu DocMorris nennen. Hier arbeiten Manager, welche leider ihre Interessen denjenigen der Aktionäre voranstellen und historisch zu viel Risiko eingegangen sind und deshalb beide rekapitalisiert werden mussten", sagt Possa.

Der grösste Investmentfehler sei, überall investiert sein zu wollen. Es gebe ganz klar überlegene Geschäftsmodelle, welche nachhaltig besser abschneiden. Diese zu finden und die inferioren auszulassen, ist an sich die Kunst des Investierens. "'Man muss sehen, mit wem man sich bettet', besagt ein altes Sprichwort."

Urs Beck, EFG AM "New Capital Swiss Select Equity Fund":

Die aktuelle Lage ist für Urs Beck, Fondsmanager bei EFG Asset Management, grundsätzlich bekannt: Die Eurozone in der Rezession, die Aussichten für das globale Konsumentenvertrauen mässig bis trüb, allerdings sind sinkende Zinsen absehbar. "Ich glaube nicht, dass ich die Entwicklung der Makrodaten besser einschätzen kann als der zu aktuellen Marktniveaus eingepreiste Konsens", sagt er gegenüber cash.ch. Aber selbstverständlich fliesse diese aktuelle Situation in die Bottom-up-Beurteilung jeder einzelnen Aktie mit ein.

"Meine aktuell grössten Wetten beinhalten Ypsomed, Also, Holcim, Valiant, Stadler Rail und Comet. Der gemeinsame Nenner dieses breiten Branchenquerschnitts - Diversifikaiton - ist die hohe Rezessions-Resistenz", sagt Beck. Comet hänge natürlich stark am Halbleiter-Zyklus, aber generell sei das Unternehmen nicht am Gängelband der Konsumentenstimmung und das Geschäftsmodell habe starke strukturelle Treiber. Also steigere den Ertrag pro bewirtschafteten Arbeitsplatz stetig dank der Digitalisierung, Ypsomed profitiere von mehreren Trends wie Homecare, Biosimilars, Large Molecule Drugs und Holcim senke beharrlich seine Kapitalintensität mit sehr aktivem Portfoliomangement.

Vorsichtiger bleibt Beck bei allem, was an der Konsumentenstimmung hängt. Gerade die typischerweise stark in Deutschland vertretenen Schweizer Bauzulieferer stehen weiter im Gegenwind", fügt Beck an. Dies seien alles tolle Firmen, aber positive Nachrichten dürften dieses Jahr kaum auszumachen sein.

Patrik Jäger, "IFS Swiss Small & Mid Cap Equity Fund":

"Insgesamt sind wir immer eher defensiv ausgerichtet. Sowohl in den USA als auch in Europa werden die Inflationsraten nun zunehmend durch steigende Lohnkosten getrieben", sagt Patrik Jäger von der Vermögensverwaltungsboutique IFS. Bei teilweise rekordtiefen Arbeitslosenquoten bleibe die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer hoch und es sei fraglich, ob eine sanfte Landung ausreicht, um diese Dynamik zu durchbrechen. "Sollte sich herausstellen, dass die Zentralbanken bereits wieder zu zögerlich agieren, müssen sie später nur noch forscher bremsen", fügt der Fondsmanager gegenüber cash.ch an. China auf der anderen Seite sei mit einer deutlichen Abkühlung der Wirtschaft konfrontiert, zumal aufgrund der harschen COVID-Politik sowie der geopolitischen Spannungen viel Exportgeschäft endgültig nach Südostasien oder auch Mexiko abgewandert ist.

Zugekauft hat Jäger jüngst bei Accelleron. Das Geschäftsmodell der Firma sei kaum konjunkturabhängig, zumal ein Grossteil der Gewinne aus dem stabilen Servicegeschäft stammen. Als eigenständige Firma könne sich Accelleron nun auch viel besser auf den anorganischen Ausbau des Geschäfts kümmern. Mit dem Kauf von OMT sei bereits ein attraktiver Wurf gelungen und weitere würden folgen. Die grösste Position im Fonds hat immer noch Also inne:  "Beim Thema Software Cloud-Marketplace hat der IT-Reseller noch grosses Potential zur Ausweitung des Produkteangebots. Insbesondere sollen die Kunden in Zukunft vermehrt auch Cybersecurity- und AI-Anwendungen direkt über den Cloud-Marketplace von Also beziehen. Auch die äusserst solide Bilanz, welche weiters akquisitorisches Wachstum ermöglicht, gefällt uns", sagt er. 

Etwas abgebaut hat Jäger bei Dätwyler. Der Hersteller von Elastomer-Komponenten profitierte im 2022 stark von der hohen Nachfrage nach Covid-Impfungen. Dieses hochprofitable Geschäft bricht nun weg. Gutes Geld verdient Dätwyler auch mit der Herstellung von Dichtungsringen für Nespresso-Kapseln. Die EU diskutiert zurzeit ein Verbot für Alu-Kaffeekapseln, womit dieses Geschäft mittelfristig ebenfalls wegbrechen könnte. So oder so werde Nestlé wohl früher oder später nachhaltigere Konzepte auf den Markt bringen müssen.

"Etwas vorsichtig sind wir aktuell bei Geberit. Die Bautätigkeit in Europa verzeichnet aufgrund der höheren Zinsen einen klaren Dämpfer, insbesondere der für Geberit attraktive Neubau schrumpft deutlich", argumentiert Jäger. Erschwerend komme hinzu, dass sich Sanitärinstallateure aufgrund der grossen Nachfragen zur Zeit vor allem auf die Renovation von Heizungen konzentrieren, womit die entsprechenden Kapazitäten im Sanitärbereich fehlen.

Manuel Bottinelli und Adrian Lechthaler von Peter J. Lehner & Partner

Für Manuel Bottinelli und Adrian Lechthaler von der Peter J. Lehner & Partner AG wird die wirtschaftliche Abkühlung, ausgelöst durch die hohe Inflation und die mittlerweile erhöhte Zinslandschaft, immer mehr bei den Unternehmen und Konsumenten spürbar. Obwohl die Weltwirtschaft fragil und die Visibilität tief sei, "erwarten wir, dass die moderat positive Entwicklung an den Börsen anhält und durch zwischenzeitliche Gewitter gestört wird." Seitens der Schweizer Unternehmen gehen beide davon aus, dass diese dank hohen Auftragsbeständen solide Halbjahresergebnisse mit vereinzelten Gewinnwarnungen erzielen werden. 

Aufgestockt haben Bottinelli und Lechthaler bei Schindler, Ems-Chemie, Bystronic und Dätwyler. Ems-Chemie habe sich beispielsweise im vergangenen Jahr durchaus gekonnt behauptet, die Preismacht sei unvermindert hoch und die Bilanz äusserst solide. Der aktuelle Börsenkurs reflektiere das derzeit herausfordernde Umfeld. Für den kommenden Aufschwung erwarten Bottinelli und Lechthaler eine überproportionale Entwicklung dank Marktanteilsgewinnen. "Für die nächsten zwölf bis 24 Monate stufen wir Dätwyler als besonders attraktiv ein", sagen die Börsenspezialisten. Operativ am beeindruckendsten unterwegs sei unter den Portfoliounternehmen aber momentan Dottikon.
 
"In Unternehmen, die keine Gewinne schreiben und über eine längere Zeit negative freie Cashflows aufweisen, investieren wir nicht. Wir lassen traditionell die Finger von Biotech-Unternehmen wie einer Idorsia", fügen Bottinelli und Lechthaler an. Anderweitig sehen sie derzeit Engagements in DocMorris, Kudelski oder Swiss Steel nicht für angebracht. Bei Ypsomed wurden dosierte Gewinnmitnahmen getätigt, obwohl man weiterhin vom Investment Case überzeugt sei. Gleiches gilt für Burckhardt Compression. Bei Phoenix Mecano wurde der Bestand reduziert, da das Chancen-Risiko-Verhältnis bei anderen Unternehmen attraktiver sei. Es bestehe bei den mittelfristigen Margenziele Enttäuschungspotenzial. Bei Schaffner geben Bottinelli und Lechthaler ein langfristig limitiertes Wachstums- und Skalierungspotenzial als Grund für die Verkäufe an.

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