"It will end badly" - es werde schlimm enden, sagen viele über das innert Tagen aufgeploppte GameStop-Phänomen. Solche Worte werden vor allem von traditionellen Investoren, institutionellen Milliardenanlegern und Hedgefonds-Managern geäussert.

Hedgefonds im speziellen haben Grund, wegen des GameStop-Phänomens sauer zu sein. Heerscharen meist sehr junger Retail-Anlegerinnen und -Anleger haben vor ein paar Tagen bei der Aktie des wirtschaftlich unter Druck stehenden Computerspielverkäufers GameStop einen beispiellosen Short-Squeeze und eine Mega-Rally geschafft. GameStop hat im Januar an der Börse 1700 Prozent Wert gewonnen. Hedgefonds mit Wetten auf fallende Kurse haben massiv Geld verloren.

Bei Aktien wie dem angeschlagenen Kinobetreiber AMC, Bed Bath and Beyond oder Blackberry und Nokia zeigten sich ähnliche Erscheinungen in unterschiedlicher Intensität. Mittlerweile schauen Investoren überall auf der Welt, wo hohe Shortpositionen auf Aktien bestehen und wo die Wallstreetbet-Chats zu neuen Kursrallys führen könnten (cash berichtete). 

Simple Börsentatsache: Nachfrage lässt Kurse steigen

Aber: Es funktioniert. "Momentum trades", also billig kaufen und teuer verkaufen, multipliziert den Einsatz vieler Anleger. Die Trader, die ihre Börsengeschäfte im Forum Reddit Wallstreetbets diskutieren und bei Twitter, TikTok und YouTube Begeisterungstürme für Aktien auslösen, haben im Grunde genommen eine simple Börsentatsache erkannt uns sich zunutze gemacht. Wenn sich nämlich genug Leute für eine Aktie interessieren und sie kaufen wollen, steigt deren Kurs.

 

 

So urteilen nicht alle so negativ über die Community, von der vor einem Monat noch kaum jemand eine Ahnung hatte. Kritische Beobachter argumentieren zum Beispiel wie folgt: Die Trader schaffen es schlicht, eine grosse Gemeinschaft zu bilden und daraus mindestens im Moment einen grossen Nutzen zu ziehen. Ob die einzelnen Mitglieder gefährlich unvorsichtig sind oder Spass mit Ernst verwechseln, ist demnach zweitrangig: Als Gruppe haben sie im Moment enormen Einfluss.

Seit dem Rebound im März haben Retail-Anleger laut Goldman Sachs 61 Prozent Rendite gemacht, Hedgefonds nur 45 Prozent. Kommentatoren schreiben bereits, dass Aktien anhand ihrer Social-Media-Wirksamkeit eingestuft werden sollen. Dies würde klassische Bewertungsmodelle endgültig in Frage stellen.

Die nicht unumstrittene, aber sehr beliebte Fast-Gratis-Handelsplattform Robinhood hat zehn Millionen Mitglieder. Konkurrent e-Toro hat noch die Hälfte mehr Userinnen und User. Bei Wallstreetbets tummeln sich über zwei Millionen, und Twitterkanäle, in denen die Hype-Aktien diskutiert werden, finden extrem schnell mehr Follower. Somit wird diese Community schlicht sehr gross. 

«Zentrale Veränderung»

Die Diskussionen über das Phänomen gehen schon sehr weit und werden teils bereits so etwas wie philosophisch. Was ist los - werden Aktien quasi wie in einem Computerspiel gekauft oder läuft gerade eine "Demokratisierung" des Börsenhandels, die bisher von Milliardenkonzernen dominiert worden ist? David gegen Goliath an der Börse? Manche Beobachter weisen darauf hin, dass das Phänomen der Retailinvestoren-Rallys bleiben werde.

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Der inzwischen berühmte, normalerweise bullishe Tech-Analyst Dan Ives von der US-Anlagegesellschaft Wedbush warnt traditionelle Investoren: Sie müssten die Bewegungen der Retail-Community bei ihren Wetten von jetzt an berücksichtigen. "Viele Jahre lang ist dies ein Spiel der institutionellen Anleger gewesen, und die Teilnahme von Kleinanlegern etwas, was Geräusche verursache, wo man hingehört hat und wo man ein Ohr darauf hielt. Aber dies jetzt ist eine zentrale Veränderung", sagte Ives der Onlineplattform The Street.

Hunderttausende von Retail-Investoren könnten in Echtzeit Aktien betrachten, analysieren und diskutieren und damit im Grunde genommen das gleiche machen wie institutionelle Geldhäuser: Eine These in den Raum stellen und auf Wellen reiten, indem Aktien ge- oder verkauft werden.

FOMO und «greater fools»

Wie nachhaltig das Phänomen um GameStop und andere Aktien ist, bleibt aber letztlich umstritten. Viel an der Rally ist getrieben von der Angst, etwas zu verpassen - "fear of missing out" oder kurz, FOMO. Ausserdem müssen die Anleger ja immer jemanden finden, der ihnen die Papiere zu noch höheren Kursen abkauft - einen "greater fool", also grösseren Dummkopf.

Kritisch könnte es auch werden, wenn im Zuge von Trades ausgeliehene Aktien zurückgefordert werden. Und: Die Trader müssen natürlich wissen, wenn sie aussteigen müssen, um ihre Gewinne zu halten. Und dies, wie sich zeigt, ist an der Börse oft leichter gesagt als getan. 

Was ist Ihre Haltung dazu, liebe Leserinnen und Leser von cash.ch? Ob Sie sich selbst in solche Trades wagen, können Sie in der Umfrage kundtun.