Für die europäischen Banken wird für das zweite Quartal eine gute Gewinnsaison erwartet, aber ab dann könnte es allmählich viel schwieriger werden, da die Zinserträge einen Höchststand erreichen und die Wirtschaft sich verlangsamt. Und das alles zu einem Zeitpunkt, an dem die Anleger ihre Positionierung in diesem Sektor aggressiv ausgebaut haben.
Die europäischen Banken haben seit Ende März bei weitem am besten abgeschnitten, sind um mehr als 10 Prozent gestiegen und haben einen Teil der Verluste wettgemacht, die durch den Zusammenbruch der Silicon Valley Bank und der Credit Suisse entstanden sind. Die Gewinnsaison wurde am Mittwoch mit den Berichten von der Deutschen Bank, Santander und UniCredit eröffnet.
Die Deutsche Bank hat wegen Aufwendungen für ihren Umbau und Rechtsstreitigkeiten sowie einer höheren Risikovorsorge Kosten im zweiten Quartal weniger verdient. Die spanische Grossbank Santander hat hingegen weiter von den höheren Zinsen profitiert. Und auch Unicredit laufen die Geschäfte dank der höheren Zinsen weiter rund. Die italienische Bank nimmt erneut eine Prognoseerhöhung für das laufende Jahr vor.
"Vor allem die Banken dürften in diesem Quartal noch robuste Erträge erzielen, wobei die Nettozinserträge erst gegen Jahresende ihren Höhepunkt erreichen werden", so die JPMorgan-Strategen um Mislav Matejka. Ein sich verschlechterndes makroökonomisches Umfeld wird den Sektor belasten, fügen sie hinzu. "Wir würden die potenziellen Erholungen aufgrund der wahrscheinlich guten Berichte nutzen, um Short-Positionen aufzubauen.”
Ist der Optimismus übertrieben?
Matejkas Kollege und Bankenanalyst Kian Abouhossein sieht im vorherrschenden Optimismus eine grosse Gefahr. "Die Mehrheit der Anleger in unserer Umfrage ist übergewichtet und erwartet, dass spanische und Benelux-Banken den Sektor in den nächsten 12 Monaten am ehesten übertreffen werden.” Der Analyst geht davon aus, dass das Nettozinsergebnis in der zweiten Jahreshälfte seinen Höhepunkt erreichen wird, wenn die Zinserhöhungen auslaufen und die Kunden ihre Einlagekonten stark reduzieren.
Diese Ansicht spiegelt die Ergebnisse der Umfrage der Bank of America European Fund Managers vom Juli wider, aus der hervorging, dass der Sektor bei den Anlegern wieder in der Gunst steht, obwohl die Stimmung gegenüber dem Rest der Value-Aktien eher gemischt ist. Die grösste Verbesserung in der Positionierung der Anleger unter den Sektoren verzeichneten die Banken, die zum ersten Mal seit Februar, also vor den Turbulenzen bei der SVB, wieder den Spitzenplatz als beliebteste Übergewichtung einnahmen.
Die meisten US-Banken haben inzwischen ihre Ergebnisse vorgelegt, und die Marktreaktion war positiv: Die Aktien von Banken wie BofA und Morgan Stanley legten nach den Ergebnissen zu, während die anfänglichen Verluste von JPMorgan Chase inzwischen wieder aufgeholt wurden. Dennoch folgten diese Bewegungen auf reduzierte Gewinnerwartungen für US-Kreditinstitute, was bei europäischen Banken nicht der Fall ist, so die Barclays-Strategen.
"Die Ergebnisse der Investmentbanking-Erträge der US-Banken lassen die Konsenserwartungen für die europäischen Pendants kaum steigen", so Berenberg-Analysten wie Hugh Moorhead. "Die Erwartungen scheinen insbesondere für BNP Paribas und UBS leicht optimistisch zu sein."
Zweitbilligste Branche in Europa
Die Gewinnprognosen lassen zwar eine weitere Outperformance des Sektors erwarten, sowohl absolut als auch relativ gesehen. Die Banken gehören auch zu den Favoriten der Analysten, die für die nächsten 12 Monate ein Gewinnpotenzial von etwa 24 Prozent sehen. In der Zwischenzeit bleiben die Bewertungen stark gedrückt: Die Branchengruppe ist nach der Automobilindustrie die billigste in Europa und wird mit einem vorläufigen Kurs-Gewinn-Verhältnis von 6,6 gehandelt, was einem Abschlag von fast 50 Prozent gegenüber dem breiteren Stoxx 600 entspricht.
Die Strategen von Goldman Sachs unter der Leitung von Peter Oppenheimer sind nach wie vor optimistisch für den Sektor. Er empfiehlt, den Sektor überzugewichten, da die historisch niedrigen Bewertungen das Abwärtspotenzial limitieren und gleichzeitig attraktive Gesamtrenditen für die Aktionäre bieten.
"Wir sind der Meinung, dass der Sektor auch bei einer Stagnation der Zinssätze weiterhin ein Ertragswachstum erzielen kann. Im Gegensatz zur Intuition glauben unsere Bankenanalysten, dass Zinssenkungen den Nettozinsertrag sogar unterstützen könnten, da sie die steigenden Kosten für die Einlagenfinanzierung neutralisieren und die Rezessionsrisiken verringern würden”, sagt der Goldman-Stratege.
(Bloomberg/cash)
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Die Falle ist gestellt
«Die schlechtesten Kredite werden in den besten Zeiten vergeben.»
~ Howard Marks, Mitbegründer von Oaktree Capital Management
«Hier ist das Einmaleins der Finanzbranche: Die Leute konzentrieren sich enorm stark auf das Kreditrisiko und andere Dinge, eines der grössten Risiken ist aber das Zinsrisiko.»
~ Michael Milken, Pionier des Marktes für Hochzinsanleihen
"Grundsätzlich sind Banken drei Hauptrisiken ausgesetzt: dem Kreditrisiko (ein Darlehen wird nicht zurückgezahlt), dem Zinsrisiko (steigende Zinsen verringern den Wert einer Anlage) und dem Finanzierungsrisiko (die Einleger ziehen ihr Geld ab)."
US-Bankenkrise: gelöscht oder noch immer brandgefährlich?
Um die Probleme im amerikanischen Finanzsektor ist es ruhig geworden. Der Kollaps der Silicon Valley Bank und anderer Institute ist aber wohl erst der Anfang grösserer Erschütterungen. Sie sind das Ergebnis jahrelang künstlich tief gehaltener Zinsen.
Kevin Duffy
26.06.2023, 00.25 Uhr