Die Wall-Street-Bank Goldman Sachs hat den Ruf, Chancen schneller zu nutzen als Konkurrenten. Nun möchte sie die nächste Generation von Technologieunternehmen in Europa aufspüren, die das Potenzial haben, Bewertungen von mehr als einer Milliarde Dollar (827 Millionen Euro) zu erzielen.

Dies kann eine schnell wachsende Kundenbasis von 200 Milliarden Dollar erschliessen, sagten Anthony Gutman und Gonzalo Garcia, Co-Leiter des Investmentbanking in Europa, dem Nahen Osten und Afrika, in ihrem ersten gemeinsamen Interview, seit sie diese Funktionen im vergangenen Jahr übernommen haben. “Jedes unserer Branchenteams verzeichnet Wachstum bei technologiebasierten Kunden”, sagte Gutman. “Wir sehen enorme Möglichkeiten, mehr Ressourcen und Kapital bei Gelegenheiten bereitzustellen.”

Laut Gutman ist die Zahl der Tech-Einhörner in Europa in den letzten drei Jahren auf rund 200 gestiegen. Dies unterstreicht, wie wichtig es im Kampf um private Geldbeschaffungsmandate und lukrativere Arbeiten an Börsengängen ist, die Bedeutung dieser Unternehmen frühzeitig zu erkennen.

«Starkes Jahr» 

Goldman Sachs hat mit dem Online-Essensbestelldienstleistern Just Eat Takeaway und Ocado  sowie dem Musik-Streaming-Service Spotify seit ihren Anfängen zusammengearbeitet. Diese haben sich mittlerweile zu milliardenschweren Technologiekonzernen entwickelt.

Der Sektor boomte während der Coronavirus-Pandemie. Nach der Beschaffung von Finanzmitteln wurde Checkout.com in diesem Monat Europas grösstes Startup mit einer Bewertung von 15 Milliarden Dollar. Goldman Sachs arbeitet an den bevorstehenden Börsengängen des Online-Autohändlers Auto1 Group, des polnischer Postfachanbieters InPost und des Internet-Modehändlers About You.

“Wir erwarten ein ziemlich starkes Jahr für Börsendebüts in ganz Europa, das hauptsächlich von Technologie und technologiebezogenen Emissionen angetrieben sein wird”, sagte Gutman.

Grosses Interesse an Grün

Ein weiterer Trend, auf den Goldman Sachs setzen möchte, ist die Umstellung auf nachhaltige Energie. Die Unternehmenswelt steht unter ständig zunehmendem Druck von ESG-orientierten Investoren, die ihren Beitrag zur Reduzierung der globalen Erwärmung leisten wollen. “Es gibt einen grossen Vorstoss in Richtung umweltfreundliche und erneuerbare Energien”, sagte Garcia. “Europa steht dabei an vorderster Front.”

In diesem Jahr kündigte der französische Ölriese Total an, 2,5 Milliarden Dollar in Adani Green Energy zu investieren. Zuvor hatte er bereits einen französischen Biogasproduzenten und eine Beteiligung an einem grossen US-Solarportfolio erworben. Energie-Giganten, darunter BP und Royal Dutch Shell, verkaufen auch einige kohlenstoffintensive Vermögenswerte, um Mittel für umweltfreundlichere Initiativen freizusetzen. “Es wird mehr Aktivität geben, da einige der grossen Unternehmen in Europa versuchen, globalere Akteure im Bereich erneuerbare Energien zu werden”, sagte Garcia.

M&A-Ausblick

Goldman Sachs sieht eine Reihe von Sektoren, die das europäische M&A-Geschäft im Jahr 2021 widerstandsfähig halten. Dazu gehören nicht nur Technologie und Energie, sondern auch Finanzdienstleistungen und Gesundheitswesen. Dennoch könnten grenzüberschreitende Transaktionen schwieriger zu realisieren sein: Alimentation Couche-Tard hat in diesem Monat Gespräche über eine geplante 20 Milliarden Dollar schwere Übernahme von Carrefour angesichts des Widerstands der französischen Regierung abgebrochen.

Trotz des Brexit betrachtet die Bank Grossbritannien weiterhin als den grössten Markt in der Region für Transaktionen. Das Land macht traditionell 25 Prozentbis 30 Prozentdes europäischen M&A-Volumens aus, und es ist unwahrscheinlich, dass sich etwas wesentlich ändert, sagte Gutman.

Goldman Sachs war im vergangenen Jahr der führende M&A-Berater weltweit und in EMEA, zeigen von Bloomberg zusammengestellte Daten.

(Bloomberg)