cash.ch: Wir lesen nun täglich, von überall auf der Welt, von Kursrückgängen. Gibt es überhaupt noch ein Halten im Downturn der Aktienmärkte?

Fabienne Hockenjos: Ich glaube schon. Ich bin nicht ultra-pessimistisch. Umsatz- und Gewinndynamik bieten immer noch eine Stütze, auch wenn hier die Situation vor dem Hintergrund eines eingetrübten Konjunkturausblicks und eines höheren Margendrucks schwieriger geworden ist. Und Aktien bieten, das darf man nicht vergessen, auch einen gewissen Inflationsschutz. Im relativen Vergleich zu anderen Anlageklassen überzeugen Aktien nach wie vor. Die Alternativen sind sehr herausgefordert.

Sie sprechen die Anleihenmärkte an. 

Genau, Bond-Strategien haben in den ersten vier Monaten dieses Jahres gleich viel verloren wie Aktienstrategien. Das hat es schon lange nicht mehr geben: Der Krisen-Hedge über Bonds hielt nicht. Dies spricht dafür, langfristig auch in Aktien investiert zu bleiben.

Vielerorts hört man, es sei mit dem Ausverkauf noch nicht zu Ende. Am US-Markt und speziell im Tech-lastigen Nasdaq ist man sehr nervös. Was denken Sie? 

Es ist nicht überraschend, dass gerade der Nasdaq so leidet. Die starke Korrektur bei Wachstumsaktien ist auf deren hohe Zinssensitivität zurückzuführen. So hat die Rendite der zehnjährigen US-Treasuries seit Jahresbeginn rund 150 Basispunkte zugelegt: Das ist eine Ansage.

Zinsen und Inflation sind ein Thema, aber der Ukraine-Krieg und, wie Sie schon angedeutet haben, der Konjunkturausblick und der Ukraine-Krieg belasten ebenfalls. 

Der grösste Nervositätsfaktor ist im Moment die Zero-Covid-Politik in China. Diese ist ein zusätzlicher Konjunkturhemmer. Aber wir sehen alles in allem ein Zusammenkommen von verschiedenen Risikofaktoren. Auch der Krieg in der Ukraine hat zu einem Konjunkturrücksetzer geführt, und dann wird ja nicht nur die Geldpolitik gestrafft, sondern auch den Märkten zusehends Liquidität entzogen. 

Beobachten wir trotz all diesen Belastungsfaktoren eine Überreaktion?

Der Markt versucht, einen Weg nach vorne zu finden. Er adjustiert seine Prognosen zu Zinsen, Inflation und Konjunkturentwicklung. Wir sind aber immer noch relativ weit weg von einer globalen Rezession. Die relative Risikoprämie bleibt ein Argument für das Halten von Aktien. Und wie Covid gezeigt hat, können Überreaktionen schnell wieder ausgeglichen werden. 

Wie lange, schätzen Sie, wird der Markt sich noch so weitertasten? 

Die erste Adjustierung hatten wir im Januar. Wie schon in der Vergangenheit war die Nervosität besonders gross, bevor die erste Zinserhöhung - diesmal im März - Realität wurde. Allerdings hat der Ukraine-Krieg das Risiko für eine 'nicht so weiche' Landung in der Geldpolitik erhöht. Dies versucht der Markt einzupreisen. Der derzeitige Adjustierungsprozess dreht sich darum, ob die Fed die Zinsen erhöhen kann, ohne eine Rezession in Kauf zu nehmen.

Weshalb rechnen Sie nicht mit einer Rezession?

Global erwarten wir sie nicht. Aber das Risiko ist gestiegen. Das grösste Risiko liegt in der Eurozone, wegen der Nähe zur Ukraine und der Abhängigkeit von den Rohstoffen aus Russland. 

Aber wie dem auch sei, Sie plädieren mit Nachdruck für langfristige Aktien-Engagements. 

Ja, und bedenken Sie die Untersuchungen, die immer wieder gemacht werden: Wenn man die besten fünf Handelstage in 150 Jahren verpasst, entgehen einem 25 Prozent Rendite, und so weiter. Wenn man jetzt aus dem Markt geht, und es gibt am Markt ein 'V' wie bei Covid, hat man die Opportunitätskosten. Also entgangene Gewinne.

Die Entwicklung seit Januar kann man als Krise oder als Realitäts-Check wahrnehmen. War der Markt, rückblickend auf 2021, einfach lange zu übermütig? 

2021 war ein sehr gutes Jahr, und dies wird sich nicht einfach so wiederholen. Es war ein Best-Case-Umfeld. Die Korrektur jetzt ist durchaus darauf zurückzuführen, dass wir zu weit gelaufen sind. In Europa sind wir inzwischen aber deutlich unter dem Bewertungsniveau von vor Covid, und in anderen Märkten in etwa auf Vor-Covid-Levels. Wichtig ist, dass man die Bewertungen mit der Ertragskraft unterlegt. Und diese sehen wir immer noch als intakt an. 

Aber von Firmen oder Verbänden wie beispielsweise Swissmem hört man doch immer, die Lage sei so angespannt wie nie. Natürlich bezieht sich dies vor allem auf den gestörten Nachschub von Teilen. 

Die Disruption von Lieferketten als Folge der Lockdowns in China und des Krieges in der Ukraine ist derzeit ein hemmender Faktor. Die Firmen sind aber grundstätzlich fit. Generell und in der Schweiz haben sie sich auf die neuen Bedingungen der vergangenen zwei Jahre einstellen können und viel aus der ersten Corona-Welle gelernt. Dass bei einem eingetrübten Konjunkturbild der Margendruck steigt, ist zunächst normal. Doch den Firmen ist es trotz allem gelungen, die Bilanzen und die Erfolgsrechnungen zu schützen. Preissetzungsmacht ist in diesen Zeiten ein wichtiges Kriterium.

Sie widmen sich als Anlagechefin der Basellandschaftlichen Kantonalbank vor allem dem Schweizer Markt - trotzdem die Frage: Würden Sie derzeit beispielsweise im Nasdaq zukaufen? 

Ich glaube, die Korrekturen bieten jetzt schon, zumindest teilweise, Gelegenheiten zum Einstieg. Und dies durchaus auch bei den Wachstumsaktien. Grundsätzlich: Ja, ich würde zukaufen. Bei hochqualitativen Wachstumsaktien öffnet sich ein Opportunitätsfenster. Aber bei 'Buy the dip' muss man selektiv vorgehen. Ich würde derzeit eher gestaffelt über mehrere Wochen zukaufen, denn die Volatilität dürfte noch eine Zeit lang hoch bleiben. Bei stark gehypten Aktien mit wenig Ertragskraft wäre ich noch vorsichtiger. Eine Schweizer Wachstumsaktie übrigens, bei der ich inzwischen auch den 'Dip' kaufen würde, ist Logitech

Gerade über diese Aktie wird derzeit viel gestritten.

Ja, Logitech führt zu vielen Diskussion. Ich verstand diese Diskussionen aber besser, als die Aktie sehr hoch bewertet war. Jetzt, so finde ich, muss man nicht mehr so viel über Logitech streiten: Für mich ein Kauf. 

Wenn Sie bei 'Buy the Dip' bleiben - wo sehen Sie sonst Chancen am Schweizer Markt? 

Wir sind natürlich etwas defensiver worden. Das heisst, wir legen noch mehr Augenmerk auf unser Pharma-Übergewicht. 

Meinen Sie damit die grossen Pharmakonzerne Roche oder Novartis? Oder eher auch die Zulieferer, die ja lange sehr gut liefen, aber jetzt auch korrigiert haben? 

Die 'Ergänzungen' - also die Zulieferer - erachten wir als besonders vielversprechend, gerade auch mit Blick auf die langfristige Kursentwicklung. Wir sind bei Siegfried und Lonza sehr positiv. Lonza ist eines unserer 'High-Conviction Picks'. Es sind aktuell absolute 'Klassiker' für Zukäufe. Diese Aktien haben wirklich zu stark gelitten. Auch Alcon und Straumann sehen wir sehr positiv und ziehen diese Titel den Large Caps im Moment vor.

Also weder Roche noch Novartis?

Natürlich sind auch die beiden Basler Pharmakolosse zentraler Bestandteil unserer Portfolios. Wir bevorzugen zur Zeit Roche gegenüber Novartis

Wo empfehlen Sie noch Zukäufe - und wo nicht? 

Auch bei Grundstoffen sind wir übergewichtet: Sika und Holcim sind da die wichtigsten Namen. Zuletzt reduziert haben wir aber ganz allgemein bei zyklischen Konsumgütern wie den Autozulieferern oder der Luxusgüter-Industrie. Wir gehen davon aus, dass die Konsumenten weniger Geld zur Verfügung haben werden. In Europa ist das Konsumentenvertrauen bereits massiv gesunken. 

Und wie sehen Sie Finanztitel? 

Bei Banken haben wir Anfang Jahr aufgrund des Zinsausblicks etwas von unserer historischen Untergewichtung in diesem Sektor weggekommen und auf 'neutral' gegangen. Bei Banken schlägt aber natürlich das zyklische Thema ein, bei den grossen Banken auch nach wie vor die Vergangenheitsbewältigung. Wenn Finanzaktien, dann lieber die - zuletzt auch zurückgekommene - Partners Group sowie die Versicherer. 

Aktien sind im Moment nicht das einzige Thema, wo leichte Panik um sich greift. Kypto-Assets sind ebenfalls betroffen. Bitcoin fällt auf ein Level bei 30'000 Dollar. Wer vor einem Jahr Bitcoin kritisierte, war fast schon ein 'social outcast' - haben die Kritiker nun doch recht erhalten? 

Als Vermögensverwalterin brauche ich eine Prognostizierbarkeit und einen fundamentalen Wert für eine Wertanlage. Bei Krypto sehe ich diese Grundlagen nach wie vor nicht. Als spekulative Anlage hat Krypto aber extrem an Bedeutung gewonnen und von der Technologie sind wir revolutionär unterwegs. Tokenisierung ist ein grosses Thema und wird es auch bleiben. Bei der Regulierung der Krypto-Assets aber wird noch ganz viel passieren.  

Sind Bitcoin und Krypto-Assets nicht einfach Risk-Assets, die schnell verkauft werden, wenn es brenzlig wird? 

Die vergangenen Wochen und Monate haben gezeigt, dass Krypto-Assets ein Spekulationsinstrument sind, dessen Risiko mit den Aktienmärkten korreliert. Die Gläubigen der These, Bitcoin könne das 'neue Gold' und ein Safe Haven sein, wurden eines Besseren belehrt . Bitcoin ist nicht das gleiche wie Gold, welches sich über Jahrhunderte als Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel sowie als Rohstoff etabliert hat. Bei der Unsicherheit am Markt verhält sich Bitcoin wie andere Risikoanlageklassen.

Was schlagen Sie vor?

Es gilt, Krypto-Assets richtig einzuordnen: Es sind zukunftsträchtige, aber derzeit noch spekulative Anlagen. Asset Manager werden sich aber noch lange damit beschäftigen, wie man in Kryptos investieren und in einer Asset Allocation aus Risikogesichtspunkten richtig abbilden kann.