Erst die Euphorie, dann die Übertreibung und am Schluss die Ernüchterung: An den Kapitalmärkten zeigt sich immer wieder ein bestimmtes Muster, das als Blasenbildung bekannt ist. Mit dem Hype um das Thema Künstliche Intelligenz (KI) wachsen auch die Befürchtungen, dass sich dieses Muster wiederholen könnte. Viele Ökonomen und Strategen rechnen für 2026 noch mit einem anhaltenden KI-Boom und weiter steigenden Aktienmärkten. Doch die Unsicherheit, ob bereits ein Blasenniveau erreicht ist, wird die Anleger immer wieder umtreiben.

Im ablaufenden Jahr infizierte das KI-Fieber die Börsen, die Wall Street eilte monatelang von Rekord zu Rekord. Investoren blickten zuletzt zunehmend besorgt auf die schwindelerregend hohen Investitionen der Branche und fragen sich, ob eine Blase entstanden ist und wenn ja, wann diese platzen könnte. Denn Marktblasen sind bei allen grossen historischen Umbrüchen entstanden und das könnte nach Meinung von Börsianern wieder passieren. «Das Shiller-Kurs-Gewinn-Verhältnis zeigt, dass US-Aktienbewertungen so hoch sind wie seit der Dotcom-Blase und der Blase von 1929 nicht mehr», warnen die Portfoliomanager und Investmentstrategen des Vermögensverwalters BlackRock. Diese Kennzahl setzt den Kurs ins Verhältnis zum Durchschnitt der inflationsbereinigten Gewinne der letzten zehn Jahre.

Die bisherigen Blasen wuchsen eine Zeit lang und wurden erst nach ihrem Platzen offensichtlich. «Von Gold in den 1970ern und japanischen Aktien der 1980er über die Dotcom-Ära um 2000 bis zum chinesischen Rohstoff- und Immobilienboom der 2010er Jahre – jede dieser Bewegungen begann mit dem Versprechen einer neuen Ära», fasst Reinhard Panse, Chief Investment Officer, bei Finvia zusammen. Nach einer Phase exponentiellen Wachstums folgten Einbrüche von rund zwei Dritteln des Wertes, sobald sich zeigte, dass die wirtschaftliche Realität mit den hohen Erwartungen nicht Schritt halten konnte.

Deswegen fühlen sich einige Investoren zunehmend unwohl, zumal die Rekordrally an den US-Börsen hauptsächlich von den «Glorreichen Sieben» geschultert wurde, also den Aktien der US-Technologieriesen Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet, Meta, Tesla und allen voran Nvidia. Der KI-Halbleiterhersteller erreichte im Oktober als erstes Unternehmen der Welt einen Börsenwert von mehr als fünf Billionen Dollar und übertraf damit den Wert des gesamten Kryptowährungsmarktes. Auch die anderen Big Player glänzten mit Billionen-Dollar-Bewertungen, da Investoren die Aktien in Erwartung einer robusten Nachfrage nach KI-Chips und Computerinfrastrukturen kaufen.

Noch «Luft» im Vergleich zur Dotcom-Blase

Trotzdem schlagen nur wenige Experten bislang Alarm. Die Bewertungen seien im Vergleich zur Dotcom-Blase im Jahr 2000 noch nicht besorgniserregend, sagt Johanna Handte, Chief Investor Officer von der Bethmann Bank. «Damals waren grosse Namen wie Cisco und Oracle im Fokus, die ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 90 hatten. Im Vergleich dazu liegt Nvidia aktuell bei einem KGV von 30», sagt sie.

Solange die Gewinne parallel mitlaufen und die Unternehmen in der Lage sind, ihre Gewinne nachhaltig zu steigern, sieht sie noch keine Probleme. «Unsere Analyse vergangener Blasen legt nahe, dass sich der Technologiesektor am US-Aktienmarkt noch immer auf solidem Boden bewegt», sagt auch Jeff Schulze, Head of Economic and Market Strategy bei ClearBridge Investments. Er sagt einen Boom statt einer Blase voraus. «Zwar gibt es Anzeichen für eine Überhitzung, doch klassische Blasen sind in der Regel durch eine rasante Preisbeschleunigung gekennzeichnet, die durch die Euphorie der Anleger, wahllose Käufe und eine Abkopplung von der finanziellen Realität angetrieben wird.» Zu kurzfristigen Enttäuschungen kann es nach Meinung der Experten von M.M. Warburg dann kommen, wenn die hochbewerteten Techkonzerne ihre Wachstumserwartungen verfehlen. «Mittelfristig sehen wir jedoch weiterhin erhebliches Potenzial. Ein wesentlicher Grund dafür ist die anhaltend hohe Nachfrage nach Grafikprozessoren der neuesten Generation.»

Wirtschaft sollte profitieren

Das Platzen einer Blase kann für Investoren generell teuer werden, aber der verfrühte Ausstieg unter Umständen sogar noch teurer, warnt Mark Dowding, Fixed Income CIO bei RBC BlueBay Asset Management. «Die Gier könnte die Kurse noch weiter in die Höhe ziehen, bevor die Blase platzt.» Der Blick in die Vergangenheit zeige, dass die US-Technologiebörse Nasdaq zwischen Januar 1999 und März 2000 einen Anstieg von 129 Prozent verzeichnete, bevor die Kurse in den folgenden 18 Monaten um mehr als 70 Prozent einbrachen.

Dabei sind Spekulationsblasen nicht nur schädlich, sondern können auch zu erheblichen Produktivitätssteigerungen führen, sagt Justin Thomson, leitender Investmentexperte bei T. Rowe Price. Von der Internetrevolution profitierte die zugrunde liegende Wirtschaft deutlich. Auch die aufstrebende KI-Industrie hat bereits die Wirtschaftsleistungen angekurbelt und wird auch im neuen Jahr für weiteres Wachstum sorgen, sagen die Ökonomen von Bank of America voraus. «Eine wichtige Lehre aus der Geschichte ist, dass es zu Blasen kommt, wenn wir schöne Dinge erfinden», sagt Experte Thomson. 

(Reuters)