Am Schweizer Aktienmarkt sind die Bären los. Der Swiss Performance Index (SPI) hat seit Jahresbeginn 21 Prozent verloren, da steigende Zinsen, konjunkturelle Gegenwinde und der Krieg in der Ukraine die Szenerie dominieren. Es ist daher kein Wunder, dass Analysten ihre Prognosen für die einzelnen Unternehmen zurückschrauben und im Anschluss die Ratings und Kursziele für Schweizer Aktien senken.

Doch Anlegerinnen und Anleger tun auch in der Marktkrise gut daran, sich einen Plan für Reinvestitionen zurechtzulegen. Die Talsohle abzuwarten und dann direkt investieren, ist riskant, weil das richtige Timing nur mit viel Glück möglich ist. Der Tiefpunkt eines Bärenmarkts ist historisch gesehen meist sehr kurz. Und drei Viertel der Verluste werden in der Regel innerhalb eines Jahres aufgeholt. Ganz gemäss dem Motto: Wer zu spät kommt, bestraft die Börse.

Zudem preisen die Märkte eine Rezession meist schon im Voraus ein, da die konjunkturellen Daten einem Time-Lag unterliegen. Dass die USA und Europa in eine Rezession schlittern, ist Konsens. Viel wichtiger ist kurzfristig, wie die Zentralbanken auf den Wirtschaftseinbruch reagieren. So rechnen die Ökonomen der Bank Bantleon damit, dass die Fed auch deshalb nächstes Jahr einen Kurswechsel in der Geldpolitik vollziehen wird.

Analystensentiment: Idorsia mit grösstem Kurspotenzial

Das Analystensentiment bietet Anlegerinnen und Anlegern Hilfestellung, um zukünftige Investitionen zu planen. Diese sind ein Gradmesser für die Stimmung am Markt zu einzelnen Aktien. cash.ch hat mit den Daten von Bloomberg in der untenstehenden Tabelle die SPI-Aktien mit den höchsten durchschnittlichen Kurszielen aufgelistet. Berücksichtigt sind aber nur Aktien, bei denen von mindestens zehn Analysten eine Einschätzung vorliegt und wo "Buy"-Ratings dominieren.

Das grösste Aufwärtspotenzial sehen Analysten mit 86 Prozent bei Idorsia. Trotz des starken Kursrückgangs sind die Kursziele im Schnitt seit Jahresbeginn nur geringfügig zurückgenommen worden. Das Biotechnologieunternehmen vermeldete mit den Halbjahreszahlen die erfolgreich verlaufende Markteinführung der Schlaftablette Quviviq. Der grosse Hoffnungsträger soll unter anderem dem verlustschreibenden Unternehmen ermöglichen, 2025 die Profitabilität zu erreichen. Auch eine Kapitalverwässerung ist vorerst vom Tisch. Mit einem Sale-and-Leaseback-Deal sicherte sich Idorsia erst im September 164 Millionen Franken.

Profitabel und mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 6 günstig bewertet ist die UBS, die in knapp zwei Wochen ihr Ergebnis zum dritten Quartal präsentieren wird. Die Grossbank verfügt über eine starke Kapitalisierung und eine erwiesene Fähigkeit, Cash zu generieren. Zwar sollten höhere Zinsen die Erträge in der globalen Vermögensverwaltung etwas stützen, die negative Marktperformance und die schwächere Kundenaktivität dürften aber zu tieferen verwalteten Vermögen führen. Der Börsenwert der UBS liegt weiterhin unter ihrem Buchwert - und das, obwohl die Führungsriege um CEO Ralph Hamers eine offensive Werbestrategie bei Investoren fährt.

Versicherungen als Chance - auch dank hoher Dividende

Trotz rezessiven Tendenzen in Europa und den USA rechnen Analysten beim Schokoladenhersteller Barry Callebaut mit einem Volumen-Wachstum im nächsten Jahr. Die Aktie, der ein Kurspotenzial von 34 Prozent zugesprochen wird, ist dieses Jahr stark unter Druck gekommen, nachdem Salmonellen die grösste Fabrik im belgischen Wieze lahmgelegt hatten. Das Unternehmen verfügt aber über eine solide Bilanz, ein defensives Geschäftsmodell und gute Wachstumsaussichten. Die Bewertung mit einem KGV von 25 liegt so tief wie zuletzt im Corona-März 2020.

Höchstes Kurspotenzial aller SPI-Aktien:

TitelKurspotenzialRatings (Buy/Hold/Sell)Kursentwicklung seit JahresbeginnKurs-Gewinn-Verhältnis (KGV)
Idorsia+86 Prozent7/4/2-28 Prozent-
Oerlikon+64 Prozent6/3/1-34 Prozent12
Logitech+63 Prozent13/2/2-43 Prozent13
Partners Group+54 Prozent12/7/0-47 Prozent16
Sonova+53 Prozent11/8/3-40 Prozent21
Sika+52 Prozent21/4/1-46 Prozent26
Lonza+50 Prozent20/4/0-36 Prozent40
Siegfried+49 Prozent9/4/0-30 Prozent20
Straumann+46 Prozent10/4/1-52 Prozent30
Julius Bär+44 Prozent14/7/1-32 Prozent10
Alcon+39 Prozent15/9/1-29 Prozent62
Georg Fischer+38 Prozent7/3/0-30 Prozent17
UBS+38 Prozent18/8/2-13 Prozent6
SIG Group+36 Prozent10/3/1-23 Prozent47
Holcim+35 Prozent17/8/1-13 Prozent9
Barry Callebaut+34 Prozent9/4/1-18 Prozent25
Richemont+32 Prozent21/12/1-30 Prozent27
Swiss Life+29 Prozent8/5/1-21 Prozent11
Zurich Insurance+25 Prozent16/10/1-2 Prozent11
PSP Swiss Property+25 Prozent6/5/1-13 Prozent10

Quelle: Bloomberg (Stand 12. Oktober 2022 10 Uhr).

Zurich Insurance, das von den Analysten im Schnitt einen Viertel höher gesehen wird, ist dieses Jahr mit einem Kursminus von gerade einmal 2 Prozent ein relativ sicherer Hafen gewesen. Der Versicherer ist nicht nur ein zuverlässiger Dividendenzahler mit 5,2 Prozent Rendite, sondern dürfte dank des US-Sachversicherungsgeschäfts auch in den nächsten Jahren ein Umsatzwachstum und höhere Margen erzielen. Konzernchef Mario Greco, der in Marktkreisen als Superstar im europäischen Versicherungsgeschäft gilt, ist bisher ein Erfolgsgarant für Zurich Insurance gewesen.

Auch der Lebensversicherer Swiss Life bietet in der jetzigen Marktlage Chancen, da der Markt die Aktie für das starke Engagement in Immobilien wohl zu Unrecht abgestraft hat. Immobilien fungieren als Anleihen-Ersatz, es stehen nicht Bewertungsschwankungen, sondern die Mieteinnahmen im Vordergrund. Der Titel gehört mit einer Ausschüttungsrendite von 5,7 Prozent zu den Dividenden-Perlen am Schweizer Markt. Das durchschnittliche Kursziel wurde trotz Korrektur nicht heruntergenommen, so dass sich das Aufwärtspotenzial im Jahresverlauf kontinuierlich vergrössert hat.

Straumann und Zur Rose als Negativbeispiel für Anlegerinnen und Anleger

Die Aktien von Straumann haben seit Jahresbeginn um mehr als 52 Prozent korrigiert. Ähnlich verhält es sich beim durchschnittlichen Kursziel der Analysten, das vom Jahreshöchst bei gut 300 Franken auf 136 Franken gefallen ist, während der Anteil der Kaufempfehlungen unverändert blieb. Dabei ist von Analysten oftmals ins Feld geführt worden, dass die Nachfrage nach zahnmedizinischen Dienstleistungen trotz Rezessionsrisiken stabil bleibt. Dies hilft aber in einem Umfeld steigender Zinsen nicht viel, wenn der Titel viel zu hoch bewertet war und mit einem KGV von 30 vermutlich noch immer ist.

Zwar nicht auf der Liste, aber trotzdem erwähnenswert ist Zur Rose. Dort ist das durchschnittliche Kursziel von gut 400 auf 73 Franken zusammengestrichen worden, während die Aktie im Jahresverlauf 89 Prozent eingebüsst hat. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Analysten in Bärenmärkten kaum damit nachkommen, ihre Kursziele und Ratings bei abstürzenden Aktien anzupassen. Der Analystenzunft muss im Fall Zur Rose zugutegehalten werden, dass die Mehrheit der Kaufempfehlungen der Vergangenheit angehört, jetzt dominieren "Hold"-Ratings. Solange bei der Einführung elektronischer Medikamentenrezepte in Deutschland nicht Nägel mit Köpfen gemacht sind, sollten Anlegerinnen und Anleger die Finger von Zur Rose lassen.

Kursziele von Analysten geben zwar durchaus Aufschluss darüber, wie eine Aktie am Markt eingeschätzt wird. Trotzdem eignen sie sich ausdrücklich nicht als "Gebrauchsanweisung" für den Aktienhandel, der man als Anlegerin oder Anleger einfach unkritisch folgen kann. Kursziele sind ein Blick in die Zukunft, und solche Prognosen sind selbst bei ausgefeilten Berechnungsmethoden mit Unwägbarkeiten behaftet. Viele Kursziele stellen sich daher im Nachhinein als falsch heraus - Zur Rose und Straumann sind gute Beispiele hierfür.

Zudem unterstützt ein sogenannter Sell-Side-Analyst im Grunde genommen die Handelsabteilung seiner Bank, indem er Aktienempfehlungen öffentlich macht. Von Kritikern wird auch oft ins Feld geführt, dass Analysten unter Druck stünden, hauptsächlich positive Ratings herauszugeben. So gesehen ist es kein Zufall, dass "Sell"-Ratings eher selten vergeben werden - selbst wenn der Gesamtmarkt wie jetzt über längere Zeit negativ tendiert. Daher sind Kursziele und Ratings ein wichtiges Hilfsmittel bei Anlageentscheiden, können aber die eigene intensive Recherche nicht ersetzen.

ManuelBoeck
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