Der enorme Wettbewerbsdruck bei Elektroautos in China befördert eine neue Geschäftsidee: Chinesische Hersteller liefern ausländischen Konkurrenten, die mit dem hohen Entwicklungstempo in China kaum mithalten können, einen kompletten E-Auto-Baukasten. Auf die Plattform würden Karosserie und Interieur der Marke aufsetzen. Die schnell und günstig entwickelten Autos könnten dann weltweit verkauft werden. So wollen Renault und Ford globale Modelle auf chinesischen Elektrofahrzeugplattformen entwickeln, sagten Insider der Nachrichtenagentur Reuters. Die Unternehmen äusserten sich nicht.
«Es handelt sich um eine sehr clevere Win-Win-Lösung», sagte Will Wang, Manager des Beratungsunternehmens Autodatas aus Shanghai. Die chinesischen Autohersteller liefern die Grundlage für baufertige, batteriebetriebene White-Label-Autos, die selbst für Kleinserienhersteller mit kleinem Budget geeignet sind. Unter einem White-Label-Auto versteht man ein Fahrzeug, das von einem Unternehmen hergestellt wird, das aber unter dem Markennamen einer anderen Firma verkauft wird. Die Produzenten könnten dafür Lizenzgebühren kassieren, was eine kleine, aber wachsende Einnahmequelle wäre. Diese wird dringend gebraucht, denn die mehr als 100 Anbieter von E-Autos in China liefern sich einen ruinösen Wettbewerb.
Globale Automobilhersteller sind unterdessen auf chinesische Technologie angewiesen, um Entwicklungshürden zu überwinden und neue Elektroautos schnell herauszubringen. So liesse sich viel Geld und Zeit sparen, erklärten Branchenkenner. «Sie erhalten in kürzerer Zeit ein Produkt mit deutlich höherer Qualität», sagte Marco Santino, Analyst bei Oliver Wyman. Renault baute bereits den kostengünstigen Dacia Spring EV, der seit 2021 in Europa auf dem Markt ist, auf einer Plattform des chinesischen Unternehmens Dongfeng.
Vorsicht: Abhängigkeit
Das chinesische E-Auto von der Stange wäre eine neue Art der Zusammenarbeit. Die deutschen Autobauer etablierten sich am chinesischen Markt vor Jahrzehnten durch Partnerschaften mit chinesischen Herstellern, das war gesetzlich vorgeschrieben. Ihre Technologie importierten sie nach China. Mit dem Umschwung zu Elektroautos ist dieses Modell passé. Die chinesischen Hersteller wurden in Windeseile führend in der neuen Antriebstechnologie. Die Premiumhersteller BMW oder Mercedes-Benz holen sich immer mehr chinesisches Know-how vor Ort herein, um «in China für China» Autos zu bauen, die den Geschmack der Kunden treffen.
Volkswagen entwickelt und produziert in China zusammen mit Xpeng und Leapmotor. Leapmotor-Chef Zhu Jiangming sagte Reuters, das Unternehmen wolle seine Elektrofahrzeuge ausserhalb Chinas verkaufen und mit anderen Marken über die Lizenzierung seiner Technologie sprechen. Und auch VW steuert Beratern zufolge ein noch engeres Bündnis an: Geprüft werde, ob die Elektrofahrzeugtechnologien von Xpeng die eigenen ergänzen oder ersetzen könnten, sagte Yale Zhang, Geschäftsführer des Shanghaier Beratungsunternehmens AutoForesight. Wenn die Strategie in China funktioniere, könne Volkswagen sie weltweit anwenden. He Xiaopeng von Xpeng sagte, die beiden Autohersteller wollten ihre Partnerschaft über China hinaus ausweiten. Das würde Xpengs Umsatz steigern, ohne dass Fabriken im Ausland gebaut werden müssten, sagte Wang von Autodatas. Ein Sprecher von Volkswagen China sagte, die Zusammenarbeit mit Xpeng konzentriere sich derzeit auf China.
Doch das Konzept hat auch Schattenseiten. Die Nutzung fremder Technologien schränke die Differenzierungsmöglichkeiten der eigenen Marke stark ein, warnte Wyman-Berater Santino. Noch mehr Abhängigkeit von chinesischen Firmen wäre ausserdem die Folge. Der ehemalige CEO von Aston Martin, Andy Palmer, sagte, dass es zwar Einsparungen bei Forschung und Entwicklung gebe. Die Autohersteller sollten aber eine übermässige Abhängigkeit von Technologie von Drittanbietern vermeiden. «Langfristig ist man aufgeschmissen, weil man nur noch ein Autohändler ist.»
Auch bei den chinesischen Herstellern, die in Europa auf den Markt drängen, geht der Trend nicht zum Weltauto. Auch sie folgen dem Prinzip, lokal vor Ort zu arbeiten, um die Bedürfnisse der Kundschaft zu erfüllen. Ihr Motto lautet «in Europa für Europa.»
(Reuters/cash)