Die Schweizer Industrie macht derzeit mit "positiven Gewinnwarnungen" auf sich aufmerksam. Eine "Warnung" vor etwas Gutem, versteht sich. Konkret haben der Schraubenspezialist Bossard, der Elektronikkomponentenhersteller Elma und der industrielle Mischkonzern Conzzeta in den vergangenen Tagen ihren Anteilseignern mitgeteilt, dass sie für das erste Halbjahr höhere Umsätze und Gewinne erwarten als bisher prognostiziert. Gewisse Fantasien erblühen dadurch: Folgen weitere Unternehmen speziell aus dem Segment klein und mittelgross kapitalisierter Werte, die bessere Gewinnaussichten versprechen?

"Ich erwarte in den nächsten Wochen noch weitere positive Gewinnwarnungen im Bereich kleiner und mittelgrosser Industrieunternehmen", sagt Panagiotis Spiliopoulos, Leiter Research bei der Bank Vontobel. "Das dürften vor allem Firmen sein, die von einer tiefen Basis aus starteten, weil sie in der Vergangenheit stark gelitten haben." Der starke Franken und die lange harzende Konjunkturentwicklung der Eurozone haben die Exporteure belastet.

Weil gerade klein und mittelgross kapitalisierte Unternehmen weniger häufig Zahlen vorstellen als Grosskonzerne und weniger intensiv von Analysten durchleuchtet werden, bergen sie grösseres Potential für Überraschungen. Die nunmehrige Konjunkturerholung in Europa im besonderen weckt Hoffnungen. "Die gute Konjunktur in Nordamerika und Europa sorgt für einen Nachholeffekt bei den Investitionsgütern. Das Klima hat sich völlig gewandelt", sagt Technologie-Analyst Alexander Koller von der Zürcher Kantonalbank.

Kann man von Trend sprechen?

Dabei sind Schweizer Small und Mid Caps an der Börse schon lange beliebt, die Bewertungen der meisten dieser in der Regel hochspezialisierten Industriefirmen sind deswegen auf ein hohes Niveau geklettert. Mit dem Aufschwung in der Eurozone rückt damit das Europa-Exposure der Unternehmen verstärkt in den Fokus. Dieses soll neue Anreize geben, um weiter in diese Aktien zu investieren.

Ein typisches Beispiel dafür wäre der Fördertechnik-Spezialist Interroll, der im vergangenen Jahr mit Kunden in der Absatzregion Europa, Afrika und Naher Osten 61 Prozent des Umsatzes erwirtschaftete. Innert Jahresfrist ist die Aktie um 38 Prozent gesteigen, das Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt bei hohen 28,6. In einer ähnlichen Lage sind auch Unternehmen wie der Maschinenbauer OC Oerlikon (Einjahres-Aktienperformance +42 Prozent) oder die Spezialelektronik-Zulieferer Schaffner (+27,5 Prozent) und Cicor (+133 Prozent).

Ob es in diesem Segment zu - möglicherweise weiter kurstreibenden - Überraschungen bei den Halbjahrespräsentationen kommt, bezweifelt Aktienanalyst Thomas Jäger von der St. Galler Kantonalbank (SGKB): "Einen allgemeinen Trend sehen wir nicht: Eher gehen wir davon aus, dass die positiven Gewinnwarnungen auf firmenspezifische Aspekte zurückgehen." Bei Conzetta habe ein Zukauf gewirkt, während Bossard von sehr guten Aufträgen von Tesla profitiere. "Zykliker muss man genau ansehen, bevor man Rückschlüsse auf Gewinnüberraschungen zieht", sagt Jäger.

Firmenspezifische Aspekte

Um den hohen Erwartungshaltungen gerecht zu werden, müssten Exporteure unter den Small und Mid Caps ihre Margen mit Blick auf 2018 und 2019 noch deutlich steigern, sagt Jäger weiter: "Bei gewissen Unternehmen preisen die aktuellen Bewertungen jedenfalls eine weitere Verbesserung der Gewinnmargen bereits grösstenteils ein."

Dies birgt eher die Gefahr negativer Überraschungen. Bei einer Aktie wie dem Schliesstechnikkonzern Dorma+Kaba ist nach Ansicht der SGKB der aktuelle Aktienkurs schwierig zu rechtfertigen. Es seien hauptsächlich Veränderungen des Geschäftsportfolios durch Zu- und Verkäufe und viel Fantasie auf Übernahmeaktivitäten, die das Sentiment beflügelten, sagt Jäger.

Überraschungen erwartet der Analyst allenfalls wegen Besonderheiten von Einzelunternehmen: Lindt & Sprüngli könne aufgrund von Prozessverbesserungen, der Premium-Positionierung sowie der Preissetzungsmacht des Konzerns überraschen, weil die viel zitierte Abschwächung des US-Konsums weniger zu spüren sein werde als angenommen. "Auch bei LafargeHolcim sehen wir ein mögliches Überraschungspotential wegen der Erholung in Indien und wenn die positiven Aussagen des scheidenden Konzernchefs Fred Olsen zum Nordamerika-Geschäft zutreffen sollten."