Seit der Ankündigung von US-Zöllen am sogenannten «Tag der Befreiung» vom 3. April 2025 haben Anleger die Wahrscheinlichkeit einer US-Rezession neu eingeschätzt. Aktien verzeichneten einen der stärksten Rückgänge seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Kreditkosten für schlechtere Schuldner schossen in die Höhe, die Renditekurve wurde steiler und die Ölpreise verbilligten sich.

Trotz dieser Marktbewegungen scheint in den USA derzeit eine Rezession noch nicht vollständig eingepreist - aktuell beläuft sich die Wahrscheinlichkeit gemäss Marktauguren auf 45 Prozent. Diese ist zwar am Mittwoch kurzfristig auf 75 Prozent hochgeschossen, nachdem die publizierten Daten zum amerikanischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) überraschend mit einem Minus von 0,3 Prozent anzeigten. Bei näherer Betrachtung stellte sich allerdings heraus, wonach die BIP-Zahlen durch vorgezogene Importe wegen der anstehenden Zolleinführungen verzerrt wurden und somit vorerst wenig aussagekräftig sind.

Es überrascht deshalb nicht, dass sich die Aktienmärkte nach einem ersten Taucher bei den Zollankündigungen sowie am Mittwoch jeweils relativ rasch erholt haben. Der S&P 500 hat die Kursverluste seit Anfang April wieder vollständig aufgeholt und notiert 2 Prozent höher, während dem Swiss Market Index (SMI) noch 4 Prozent zur Egalisierung fehlen. 

Ganz über den Berg sind die Aktienbörsen indes nicht. Die Märkte sehen eine Rezession zwar eindeutig nicht als unvermeidlich an, insbesondere wenn die Zölle nach der jüngsten 90-tägigen Verlängerung nicht in Kraft treten, meint Henry Allen, Makro-Stratege bei der Deutschen Bank in einer Kundennotiz. «Die Kehrseite ist jedoch, dass die Märkte eine Rezession nicht vollständig einpreisen und damit erhebliche Abwärtsrisiken bestehen, falls es tatsächlich zu einer kommt. Dies, weil keine der grossen Anlageklassen Entwicklungen verzeichnet hat, die mit den anderen Rezessionen der jüngeren Geschichte übereinstimmen.»

Welche Unternehmen haben das Nachsehen?

Der Einfluss einer potenziellen Rezession oder eines deutlichen wirtschaftlichen Abschwungs auf die Schweizer Titel ist generell begrenzt, meint Roman Przibylla, Leiter Investitionen bei Maverix Securities, auf Anfrage von cash.ch. «Nur wenige Aktien sind direkt durch eine mögliche Abschwächung des Konsumverhaltens betroffen. Zu diesen eher zyklischen Werten zählen zum Beispiel Namen wie Logitech, die aufgrund ihrer starken Abhängigkeit vom globalen Konsumklima sensibler reagieren, sowie Swatch, die eher konjunkturellen Schwankungen unterliegen.»

Viele andere Schweizer Unternehmen agieren hingegen eher als Zulieferer für zyklische Industrien – etwa in den Bereichen Automobilproduktion, Maschinenbau und Industrieautomation. «Bei diesen Firmen spiegelt sich eine mögliche Abschwächung der Endmärkte bislang hauptsächlich in vorsichtigeren Ausblicken und selektiven Auftragseingängen wider, ohne dass eine breite Rezession bereits voll eingepreist wäre», erläutert Przibylla von Maverix Securities. 

Einpreisen einer Rezession ist keine exakte Mathematik

Neben der Belastung durch den Konjunkturzyklus wird die Bewertung oft auch gedrückt durch Branchenprobleme wie zum Beispiel strukturell mehr Konkurrenz oder hausgemachte Probleme, führt Beat Pfiffner, Analyst bei der Schwyzer Kantonalbank, aus. «Dies ist der Grund, weshalb zu den seit Jahresbeginn schwächsten Aktien auch viele Titel gehören, die wenig konjunkturabhängig sind, wie zum Beispiel Barry Callebaut, Polypeptide oder Tecan

Der Experte Pfiffner gibt ferner zu bedenken, dass der gesamteuropäische Markt mit dem Index Stoxx Europe 600 nur 6 Prozent unter dem Allzeithöchst von Anfang März notiert. Deshalb seien Bewertungskennzahlen wie das zyklusadjustierte Kurs-/Gewinnverhältnis (KGV) oder das Kurs/Buchwert-Verhältnis im historischen Vergleich durchschnittlich respektive leicht überdurchschnittlich. Damit sei eine Rezession auf Ebene Gesamtmarkt nur zu einem geringen Teil eingepreist. «Und weil die Finanzmärkte sehr effizient sind, dürfte auch auf Ebene der Einzelaktien eher wenig eingepreist sein».

Am hiesigen Aktienmarkt macht Pfiffner trotzdem einige Aktien aus, wo schon viel Negatives bezüglich Konjunktur eingepreist sein dürfte. So ist Sika im historischen Vergleich günstig bewertet. Sika «verdaut» im Moment die Grossübernahme MBCC und leidet unter schwacher Baukonjunktur, so der Analyst der Schwyzer Kantonalbank. «Die längerfristigen Aussichten bei Sika sind aber dank innovativen Produkten intakt.»

Im historischen Vergleich sind auch Adecco, Clariant und Interroll günstig bewertet. Ein Teil der tiefen Bewertung bei diesen drei Firmen ist allerdings internen Faktoren geschuldet. Bei Adecco ist es die hohe Verschuldung, bei Clariant hat die Konkurrenz aus Asien zugenommen und Schadenersatzklagen wegen Preisabsprachen lasten auf dem Aktienkurs. Bei Interroll wiederum ist die Nachfrage von E-Commerce-Kunden seit Ende des Covid-bedingten Booms flau, erklärt der Experte Pfiffner.

Diese Firmen sollten relativ immun sein bei einer Rezession

Eine ausgeprägte Rezession - und nicht nur zwei Quartale in Folge mit leicht negativer Wirtschaftsentwicklung, wie es zum Beispiel in Deutschland in den letzten Jahren mehrfach vorkam - geht mit einem deutlichen Rückgang der Gewinnentwicklung der Unternehmen einher. In der Regel schrumpfen die Unternehmensgewinne um durchschnittlich 5 Prozent bis 10 Prozent, was der Markt derzeit nicht einpreist, sagt Thomas Jäger, Senior Portfolio Manager Swiss Equities von Mirabaud Asset Management auf Anfrage von cash.ch. Entsprechend sieht er bei zyklischen Unternehmen noch Verlustpotenzial, sollte es zu einer schweren Rezession in der westlichen Welt kommen.

Es gibt aber auch Unternehmen, die sich relativ immun gegenüber einer generellen Konjunkturabkühlung in den USA entwickeln dürften. Beispiele dafür sind Galenica und Cembra. «Beide Unternehmen erwirtschaften ihre Erträge in der Schweiz und ihre Geschäftsmodelle gelten als relativ krisenresistent, sofern die Schweiz nicht in eine unerwartet tiefe Rezession gerät. Das erwarten wir derzeit nicht», meint Jäger von Mirabaud Asset Management. 

Thomas Daniel Marti
Thomas MartiMehr erfahren