"Eine junge Familie hat keine Chance auf eine Hypothek. Die Tragbarkeitskriterien sind viel zu streng", sagte Raiffeisen-CEO Patrik Gisel vor einem Monat in einem Interview mit der "SonntagsZeitung" (cash berichtete). Der Chef der drittgrössten Schweizer Bankengruppe hält die aktuellen Richtlinien für "übervorsichtig".

Damit steht er nicht alleine da: Auch die Migros-Bank will die Vergabe von Hypotheken lockern. Und der Hypothekenvermittler Moneypark schreibt in einer Studie, dass zwei Dritteln der Schweizer Haushalte der Traum des Eigenheims verwehrt würde.

Dabei wurden die strengeren Regeln nicht ohne Grund eingeführt: Die Schweizerische Nationalbank (SNB) und auch die Banken in Eigenregie wollen ein übermässiges Erhitzen am Immobilienmarkt verhindern, da es seit einigen Jahren bereits Tendenzen in eine gefährliche Richtung gibt. Gemäss dem aktuellsten UBS Swiss Real Estate Bubble Index aus dem zweiten Quartal 2016 befindet sich der Schweizer Immobilienmarkt nach wie vor in einer Risikozone:

Quelle: ubs.com

Zwar haben laut UBS in gewissen Regionen bereits Preiskorrekturen eingesetzt. In der Stadt Genf etwa sind die Eigenheimpreise über die letzten drei Jahre 5 bis 10 Prozent gesunken. "Generell sehen wir uns aber nach wie vor mit einer im historischen Vergleich hohen Bewertung konfrontiert, was mittel- bis längerfristig Risiken birgt", sagt Elias Hafner, Immobilienexperte der UBS, auf cash-Anfrage.

Die aktuelle Situation am Immobilienmarkt weckt unschöne Erinnerungen an den letzten grossen Schweizer Immobiliencrash in den 1990er Jahren, als die Banken über 42 Milliarden Franken abschreiben mussten und besonders die auf die Hypothekenvergabe fokussierten Regionalbanken unter die Räder kamen. Im Oktober 1991 ging die Spar + Leihkasse Thun wegen Überschuldung gar Pleite. Die Immobilien in der Schweiz verloren damals 30 bis 40 Prozent ihres Wertes - wobei es starke regionale Unterschiede gab.

Was es für den Knall braucht

Kann es wieder zu einem solchen Crash wie damals kommen? "Das latente Risiko einer Immobilienkrise existiert immer", sagt dazu Robert Weinert, Immobilienspezialist von Wüest & Partner. Zwar befinde sich die Realwirtschaft derzeit auf einem stabilen Fundament, doch hebe die lockere Geldpolitik gleichzeitig die Gefahren an.

Damit es zum grossen Knall kommt, braucht es einen plötzlich Schock. Fatale Folgen hätte wohl zum Beispiel ein starker Zinsanstieg. Gemäss SNB wären nämlich Zinsen von über 5 Prozent für 40 Prozent aller Wohneigentümer nicht tragbar. Kommt hinzu, dass die Schweizer im internationalen Vergleich schwer verschuldet sind, wie ein vom Bundesrat in Auftrag gegebener Bericht vom Juni zeigt. Bei den Verpflichtungen handelt es sich hauptsächlich um Hypotheken.

Weinert sieht noch weitere mögliche Auslöser: Etwa wenn sich die Schweizer Wirtschaft plötzlich sehr negativ entwickelt, hervorgerufen durch eine inländische Rezession oder durch eine globale Krise, und dadurch die Arbeitslosigkeit stark ansteigt. Oder aber ein ausbleibendes Bevölkerungswachstum bei konstant hoher Neubautätigkeit - der Bausektor reagiert üblicherweise träge auf neue Entwicklungen.

Die Frage stellt sich, inwiefern die jetzige Situation derjenigen unmittelbar vor der letzten grossen Immobilienkrise überhaupt ähnelt. Es gibt gewiss Unterschiede: "Damals stiegen die Bevölkerungszahlen nur schwach an, die Nachfrage war auf einem tieferen Niveau. Trotzdem wurde viel gebaut, unter anderem ausgelöst von Förderprogrammen des Bundes, die wiederum zu hohen Leerständen führten", sieht Weinert einen wichtigen Unterschied von damals zu heute. 

Doch ein direkter Vergleich zeigt auch erschreckend viele Parallelen:

Unsichere Börsen

Damals: In einem nervösen Börsenumfeld kommt es am 19. Oktober 1987, dem Schwarzen Montag, zum grossen Börsencrash. Die Schweizer Börse und auch viele andere Börsen weltweit erlebten den grössten Tagesverlust ihrer Geschichte. Mit dem Swissindex - damals gab es den Swiss Market Index noch nicht - ging es 11,5 Prozent talwärts. Der amerikanische Dow Jones erwischte es gar mit minus 22,6 Prozent. Die Börsen-Verunsicherung lässt Spekulanten vermehrt auf Immobilien-Investments ausweichen.

Heute: Der zweitgrösste Kursfall des Swiss Market Index an nur einem Handelstag ist noch keine zwei Jahre her. Am 15. Januar 2015 rasselte der Schweizer Leitindex 8,7 Prozent nach unten. Vielen dürfte jener Tag noch sehr präsent sein: Es war der Tag, als SNB-Präsident Thomas Jordan die Mindestkursauflösung des Frankens zum Euro bekannt gab. Wie damals herrscht auch derzeit eine unsichere Stimmung an den Börsen weltweit. Das macht Anlagen in Immobilien attraktiv.

Tiefe Zinsen der Notenbanken

Damals: Um die Wirtschaft nach dem Crash wieder anzukurbeln, und eine Aufwertung des Frankens zu verhindern, betrieb die SNB Ende der 1980er Jahre eine expansive Geldpolitik mit tiefem Leitzins. Auch andere Notenbanken setzten auf tiefe Zinsen. Das erhöhte die Geldmenge und pumpte mehr Geld in die Märkte und speziell in Immobilien.

Heute: Die Zinssätze sind derzeit so tief wie überhaupt noch nie. Die Notenbanken setzen darüber hinaus auch noch unkonventionelle Instrumente ein, um wieder etwas Wachstum und Inflation herzustellen. Diese Politik wird zunehmend kritisiert, da es zu Verzerrungen in den Märkten kommt und Ungleichgewichte am Immobilienmarkt dadurch möglich sind.

Lockere Kreditvergabe

Damals: Die Banken vergaben Hypotheken und generell Kredite ziemlich sorglos. Das hatte auch mit dem zunehmend starken Wettbewerb der Banken untereinander zu tun - in einer Zeit, wo Finanzmärkte liberalisiert wurden.

Heute: Rekordtiefe Hypothekarzinsen machen den Hauskauf lukrativ. Der durchschnittliche Zinssatz für eine zehnjährige Festhypothek liegt bei 1,37 Prozent. Zwischen Dezember 2015 und Mai 2016 ist das Wachstum der Hypothekarvolumen gemäss einer Studie der Credit Suisse zwar von 3,08 auf 2,72 Prozent gesunken, aber im Volumen noch immer ansteigend.

Starker Anstieg der Immobilienpreise

Damals: Zwischen 1980 und 1990 war eine Verdoppelung der Preise für Wohnimmobilien zu beobachten, vor allem ab 1987 beschleunigte sich dieser Anstieg stark.

Heute: "Bezüglich Bewertung sind wir auf einem vergleichbaren Niveau wie damals", sagt Elias Hafner von der UBS. Seit dem Jahr 2000 haben sich in der Schweiz die Preise für Stockwerkeigentum im Durchschnitt praktisch verdoppelt. In den letzten 12 Monaten sind die Preise von Eigentumswohnungen noch um 3,3 Prozent angestiegen, während sich Einfamilienhäuser noch um 0,6 Prozent verteuerten, wie der Swiss Real Estate Offer Index von ImmoScout24 und IAZI zeigt.

Die Entwicklung am Immobilienmarkt wird verharmlost

Damals: Wie ein Bericht von cash datierend vom 8. Juni 1990 - damals noch eine junge Zeitung – zeigt, versuchte man die ganze Krise selbst dann noch zu verharmlosen, als bereits der Preisfall einsetzte. "Geschäftstüchtige" Immobilienhändler würden es vermeiden, von fallenden Immobilienpreisen zu reden, hiess es damals. Als Hauptargument gegen sinkende Preise sprachen sie von einer anziehenden Bauteuerung - sie irrten sich.

Heute: Zwar wäre es vermessen zu behaupten, die Situation würde derzeit auf die leichte Schulter genommen. Doch gibt es - wie eingangs im Artikel erläutert - einige Marktteilnehmer, die sich für eine erleichterte Kreditvergabe einsetzen. Eine solche Massnahme würde das Crash-Risiko erhöhen.