Janne D’Huyvetters TikTok-Account sah früher aus wie der vieler Reise-Influencer: voller traumhafter Sonnenuntergänge und Surf-Spots, Bewertungen von Cafés und Tipps für Rucksackreisen im Ausland. Um 2023 ihre Finanzen aufzubessern, organisierte sich die 30-jährige Belgierin ein Arbeitsvisum für Australien. Sie begann einen Job, bei dem sie Zimmer und Küchen in einem abgelegenen Bergbaulager in einer der Wüsten des Landes putzte. Dann nahmen ihre Videos eine überraschende Wendung.

«Day in the life: FIFO Housekeeper», schrieb sie in einem ihrer ersten Posts über ihren Fly-in-Fly-out-Job, für den Arbeiter oft wochenlang zu abgelegenen Standorten geflogen werden. In einem 18-sekündigen Video vom Januar 2024 zeigte D’Huyvetter Schnipsel aus ihrem Tag: wie sie sich eine leuchtend gelbe Uniform mit fluoreszierenden Streifen anzieht, einen Reinigungswagen schiebt und in der Kantine der Firma isst.

Das Video wurde fast 950.000 Mal angeschaut — und damit weit häufiger als alle ihre Beiträge bis dahin. Seitdem postet sie regelmässig über ihr Leben in der Mine und ist heute eine der führenden FIFO-Influencerinnen auf TikTok, die ihren 83.000 Followern Tipps gibt, wie sie in ihre Fussstapfen treten können. (Zusammengefasst: Besorge dir ein Visum, buch einen Flug nach Perth, hübsch deinen Lebenslauf auf und bewirb dich.)

D’Huyvetters Profil ist Teil einer offenbar wachsenden Arbeitskräfte-Pipeline zwischen den sozialen Medien und den Minen in Westaustralien, in denen vor allem Metalle und Mineralien abgebaut werden. Seit dem Jahr 2023 taucht der Hashtag #fifo in Hunderten von TikTok-Videos auf. Viele Postings stammen dabei von Europäern in ihren 20ern und 30ern.

Australien hat in den zwölf Monaten bis Juni 2024 1.414 Working-Holiday-Visa für das zweite Jahr — im Wesentlichen Verlängerungen — an Ausländer mit Arbeitsplätzen im Bergbausektor ausgestellt. Im Jahr zuvor waren es weniger als 500. (Im ersten Jahr gibt es für Visa keine Aufschlüsselung nach Beschäftigungssektoren, da sich die Arbeitnehmer in der Regel erst um einen Job bewerben, wenn sie das Visum erhalten haben und im Land angekommen sind.) Auch die Google-Suchanfragen für «FIFO Australia» sind seitdem stark angestiegen und haben einen neuen Höchststand erreicht — und das obwohl die häufig verwendete Abkürzung seit Jahrzehnten eine übliche Arbeitsform in Australien beschreibt.

Die gestiegene Aufmerksamkeit bietet der Industrie mehr Möglichkeiten, Stellen in Bereichen wie Bohrungen, Lkw-Fahren und Reinigung zu besetzen. Das ist ein willkommener Schub angesichts des allgemeinen Arbeitskräftemangels. Vor allem für Vertragspartner und Personalvermittlungsagenturen ist diese Enwicklung spannend, da diese einen Grossteil der Arbeitskräfte für die BHP Group, Fortescue, die Rio Tinto Group und andere Bergbaugiganten liefern.

Die Jobs selbst bestehen in der Regel aus ein- bis zweiwöchigen Einsätzen mit langen Arbeitstagen an einem abgelegenen Ort, bevor es für eine Auszeit nach Perth zurückgeht. Viele werden mit mehr als 100.000 australischen Dollar (rund 56.000 Euro) pro Jahr bezahlt und liegen damit über dem Median-Lohn des Landes. Einige Stellenanzeigen erhalten mehr als 1.000 Bewerbungen, sagte Kirsty Sewell, eine Beraterin, die die Lebensläufe von Bewerbern anpasst: «In den letzten Jahren ist der Wettbewerb viel härter geworden.»

Viele FIFO-Anhänger sind Rucksacktouristen, die mit Kurzzeitarbeit, die deutlich besser bezahlt wird als Einstiegsjobs in ihrer Heimat, möglichst viel Geld ansparen wollen. Zwar klingt es unwahrscheinlich, dass eine junge Weltenbummlerin wie D’Huyvetter von Videos über kompostierbare Becher in einem Café in Lombok, Indonesien, zu einem körperlich anstrengenden Job in der Rohstoffindustrie wechselt. Aber da in den Camps Unterkunft, Verpflegung und andere Angebote inbegriffen sind, haben die Mitarbeiter praktisch keine Ausgaben. Damit bleibt mehr Geld für Reisen zu TikTok-tauglichen Zielen wie Bali, das von Perth aus relativ leicht zu erreichen ist.

Thomas Nicoud, ein 29-jähriger Franzose mit einer Ausbildung im Bereich Innenarchitektur, entdeckte FIFO-Videos vor zwei Jahren in seinem Instagram-Feed. Darin prahlten junge Leute, dass ihre Arbeitgeber sie zu Arbeitsorten mit kostenlosem Essen, Pools und Fitnessstudios fliegen und wieder zurückbringen würden — während der eigene Kontostand stetig ansteige. Jetzt fährt Nicoud Lkws und Maschinen, die Schutt aus Gold- oder Eisenerzvorkommen für grosse Minen in der australischen Wüste absaugen. (Wegen Firmenrichtlinien wollten Nicoud und D’Huyvetter die Namen ihrer Arbeitgeber nicht nennen.)

Auch grosse Bergbaukonzerne selbst nutzen die Aufmerksamkeit in den sozialen Medien: BHP etwa postet eigene Videos mit dem Hashtag #FIFOlife, um für Golfplätze, gegrillte Steaks und Einzelzimmer in seinen Bergbaulagern in Australien zu werben.

Trotzdem sagen FIFO-Arbeiter, dass man nicht alles glauben sollte, was man im Internet sieht. Virale Videos erzeugen oft den Eindruck, dass jeder ohne Erfahrung eine Anstellung bekommen kann. Dabei ist es nicht einfach, eine der begehrten Stellen zu ergattern. Hostels in Perth voll mit jungen Europäern auf Jobsuche zeigen, wie hart der Wettbewerb ist. Und nicht alle Minen in Australien sind freundliche Arbeitsplätze: Eine Untersuchung der Regierung aus dem Jahr 2022 deckte Dutzende Fälle von sexueller Belästigung und Missbrauch von Frauen an Standorten auf, die von mehreren grossen Unternehmen betrieben werden.

Wer einen Job bekommt, sagt — vielleicht wenig überraschend —, dass die Arbeit anstrengender ist, als es in den sozialen Medien wirkt. Obwohl viele der online gezeigten Wellness-Einrichtungen in bestimmten Camps tatsächlich existieren, sind Arbeiter oft zu erschöpft, um sie zu nutzen. Schliesslich brechen sie früh morgens in der Dunkelheit auf, um dann unter der Wüstensonne schwere körperliche Arbeit zu verrichten. «Nimm nichts, was du in diesen Videos siehst, zu ernst. Viele Leute lügen, um Klicks zu bekommen», sagte Nicoud, sichtlich verschmutzt nach einer 12-Stunden-Schicht, in einem Videocall. «Ich arbeite jetzt seit einem Jahr im Bergbau und war noch nie in einem Pool.»

Weil die Jobs so gefragt sind, versuchen einige FIFO-Arbeiter, mit ihrem Wissen Geld zu verdienen. In den sozialen Medien bieten sie selbstgeschriebene Leitfäden für die Branche oder Bewerbungsschreiben an. Bevor Luca Spajic im Januar für einen Job im Bergbau nach Australien zog, zahlte er einem FIFO-Influencer 500€ für ein Dokument mit Tipps und Links zu Webseiten von Personalvermittlern. «Man bekam Zugang zu einem schlampig zusammengestellten Google-Dokument», sagte Spajic, der das als Betrug bezeichnet.

Seitdem Spajic seinen Job als Schweisser in Deutschland aufgegeben hat, um als Kesselbauer in Bergwerken von BHP, Fortescue und anderen Unternehmen in Australien zu arbeiten, hat er aber mehr als 40.000 australische Dollar gespart. Er sagt: «Es ist nur eine Frage der Zeit, bis alle hierherkommen wollen.»

(Bloomberg)