cash.ch: Herr Strub, die Berichte der Schweizer Firmen zum ersten Halbjahr sind weitgehend durch, zugleich läuft der Zollstreit weiter. Wie nehmen Sie die Stimmung am Schweizer Aktienmarkt wahr?
Marc Strub: Der Markt nimmt die Halbjahreszahlen noch immer auf. Doch der Zollstreit und der Druck der USA auf die Pharmapreise prägen das Geschehen spürbar. Dennoch hat der Aktienmarkt gelassen auf die aktuellen Entwicklungen reagiert.
Seit Donnerstag gelten die US-Zölle auf Schweizer Exportgüter. Die Schweizer Börse ist dennoch gestiegen. Wie erklären Sie sich das?
Der Aktienmarkt ist nicht gleich die Schweizer Wirtschaft. Gerade die grossen, börsenkotierten Unternehmen beliefern die USA nicht oder nur zu einem kleinen Teil aus der Schweiz heraus. Entsprechend schlägt der Zollhammer hier nicht so hart zu wie bei manchem KMU, das hauptsächlich in der Schweiz produziert und die Produkte dann in die Vereinigten Staaten exportiert. Zudem laufen die Gespräche zwischen Bern und Washington weiter. Solange diese Kanäle offen sind, gibt es Hoffnung, dass die Zölle wieder gesenkt werden.
Die Aktien von Nestlé haben nach den Halbjahreszahlen nachgegeben. Der Turnaround braucht offenbar Zeit. Wann rechnen Sie mit einer deutlichen und nachhaltigen Kurserholung?
Der Start ins Jahr war ja positiv, bevor die Aktie unter Druck geraten ist. Auch nach den Zahlen muss man sagen: Den nachhaltigen Turnaround hat man bei Nestlé noch nicht gesehen, gerade was das Wachstum betrifft. Auch das Management gab sich diesbezüglich zurückhaltend. Kurzum: Das Unternehmen befindet sich im Blindflug. Eine schnelle Erholung ist unwahrscheinlich. Wir werden Nestlé erst mittelfristig wieder zukaufen.
Gibt es Lichtblicke?
Die Aktie ist sehr günstig bewertet. Auch die Dividendenrendite von 4 Prozent ist attraktiv. Darum dürfte die Aktie speziell für ausländische Investoren wieder interessanter werden. Sie können die Zinsdifferenz zwischen der Schweiz und dem Ausland über die Dividendenrendite ausgleichen und sind kaum von Zöllen betroffen.
Bei Nestlé ist die Verschuldung gestiegen. Ist das ein Problem, besonders mit Blick auf die Dividende?
Das ist die grosse Frage - ob die Dividende auch bei der stärkeren Verschuldung noch gesichert ist. Im Moment sehe ich kein Problem. Aber das Management muss jetzt dagegenhalten. Denn steigt die Verschuldung weiter, ist die Dividende früher oder später gefährdet.
Die Valoren von Novartis kamen trotz solider Geschäftszahlen unter Druck. Es kam auch zu Kurszielsenkungen. Woran genau hakt es?
Auch wenn das operative Geschäft sehr gut läuft, gibt es Belastungsfaktoren. Gegenwind kommt von der Erosion mancher umsatzstarker Medikamente und Generika. Auch die Bewertung und das prognostizierte Wachstum sind im Branchenvergleich nicht sehr attraktiv. Deshalb hat man sich mehr erhofft, als das Management mit dem Halbjahresbericht angekündigt hat. So erklärt sich auch, warum die Aktie zurückgefallen ist.
Wie schätzen Sie die Pipeline von Novartis ein?
Ich schätze die Pipeline schon recht mager ein und es fehlt ein echter Umsatztreiber. Ein Blockbuster ist nicht in Sicht.
Gleich wie Novartis bewegt sich auch Roche in einem von Unsicherheit geprägten Umfeld. Neben dem Zollstreit drängt US-Präsident Donald Trump auf tiefere Arzeimittelpreise. Wie werden sich die Schweizer Pharmagrössen behaupten können?
Roche ist besser aufgestellt als Novartis. Denn Roche hat die ausgebautere US-Fertigung, wobei Roche und auch Novartis eine US-Fertigung aufgebaut haben. Allgemein ist das Sentiment zu Pharmawerten aktuell extrem schlecht. Klassische Pharmaunternehmen, die einen hohen Umsatzanteil in den USA haben, stehen im Zentrum der aktuellen politischen Diskussion um Zölle und Arzneimittelpreise. Roche und Novartis zählen hier dazu. Man muss mit tieferen Margen rechnen, sollten die Preise nach unten reguliert werden.
Wird es so weit kommen?
Ich gehe davon aus, dass sich die Trump-Administration und die Pharmaindustrie annähern und letztlich einen Kompromiss finden werden. Doch bis dahin hält die Unsicherheit an, und Trump wird weiter Druck machen. Und solange die Unsicherheit anhält, bleiben die Aktien unter Druck.
Gilt das auch für Pharmazulieferer wie Lonza, Siegfried oder Bachem?
Das ist quasi die zweite Linie. Diese Unternehmen sind indirekt betroffen - soweit Pharmakunden den Preisdruck an sie weitergeben und sofern der Gesundheitssektor generell abgestraft wird. Eine dritte Linie bilden Unternehmen wie Galenica oder Straumann. Sie bleiben weitgehend verschont und bieten Chancen für Investoren, wenn der übrige Gesundheitsbereich unter Druck steht.
ABB hat überraschend starke Zahlen vorgelegt und steht vor der Abspaltung der Robotiksparte. Dennoch dürfte das Technologieunternehmen von einer durch die Zölle gedämpften Konjunktur betroffen sein. Wie lautet Ihre Einschätzung?
ABB ist operativ sehr überzeugend, speziell die Elektrifizierungssparte. Die Ebitda-Marge liegt bei rund 20 Prozent und ist damit sehr attraktiv; der Auftragseingang ist extrem gut, und das Wachstum ist stark. Die Abspaltung der Robotik dürfte die Margen zusätzlich ausweiten. Vorsicht ist allenfalls wegen der inzwischen ambitionierten Bewertung angezeigt. Aber aus meiner Sicht ist ABB hervorragend positioniert und ein hochinteressantes langfristiges Investment.
Ist ABB tatsächlich so konjunktursensitiv, wie man es von Technologiewerten allgemein annimmt?
Elektrifizierung ist ein strukturelles Thema und schützt ein Stück weit vor Konjunktureinflüssen. Dennoch wird sich ABB dem Wirtschaftsgang nicht völlig entziehen können. Das Geschäft ist und bleibt grundsätzlich zyklisch.
Die UBS-Aktien sind zwar so viel wert wie seit der Finanzkrise nicht mehr. Doch ist die Diskussion um die Kapitalvorschriften noch offen. Ein Grund für Anleger, sich vorerst zurückzuhalten?
Bei der UBS gibt es viel Licht. Das Halbjahresergebnis war klar über den Erwartungen. Die Credit Suisse wurde zu einem vorzüglichen Preis gekauft - und wird jetzt auf hervorragende Art und Weise integriert. Doch die Kapitalvorschriften bleiben der grosse Unsicherheitsfaktor. Wenn die Regulierung aber erst einmal erfolgt ist, dürfte die UBS-Aktie weiter steigen.
Weshalb genau wird der Kurs steigen: Wegen des Umstand, dass überhaupt Klarheit besteht - oder weil die Regulierung womöglich weniger straff ausgestaltet sein wird, als sie Stand heute geplant ist?
Beides! Unklarheit ist nie gut für eine Aktie. Und wenn die Regulierung letztlich lockerer als heute gedacht ist - umso besser aus Sicht der UBS. Dennoch ist es nachvollziehbar, dass der Schweizer Staat eine Regelung anstrebt, die möglichst gut gegen künftige Bankenkrisen schützt. Ein ausgewogene Lösung zu finden, ist nicht einfach.
Welche Titel sind Ihre Favoriten für das zweite Halbjahr?
Das zweite Semester wird weiter vom Zollstreit geprägt sein. Wenn es keine Lösung gibt, wird es Verlierer geben - zum Beispiel Luxusunternehmen wie Richemont oder Swatch. Da bin ich sehr zurückhaltend. Hingegen sind Aktien attraktiv, die gegenüber Amerika wenig oder nicht exponiert sind. Dazu zähle ich Holcim, das nach der Abspaltung von Amrize auf Europa fokussiert ist. Cembra, Galenica, Burkhalter, Flughafen Zürich, BWK sind stark oder ausschliesslich auf den Schweizer Markt ausgerichtet und deshalb von den Zöllen nur am Rande betroffen.
Und im Tiefzinsumfeld sind Dividendenaktien interessant …
… genau. Unternehmen, die über die letzten Jahre ein solides Dividendenwachstum hatten und bei denen die Ausschüttungen nicht gefährdet sind, werden bei tiefen oder möglicherweise weiter fallenden Zinsen attraktiver. Beispiele sind Givaudan und SGS. Ausklammern würde ich hingegen - wie gesagt - Pharmawerte wie Roche und Novartis.
Marc Strub ist Leiter Portfolio Management der Privatbank Reichmuth & Co, für die er seit 13 Jahren tätig ist. Zuvor durchlief er bei der Zuger Kantonalbank die ersten Stationen seiner Laufbahn in der Finanzbranche. Strub hat an der Hochschule Luzern Finance & Banking studiert und diesen Lehrgang mit einem Bachelor of Science abgeschlossen.