Investieren nach dem Value-Ansatz gilt als solider Weg, um Vermögen aufzubauen. Spätestens seit Star-Investor Warren Buffett ist Value Investing einer breiteren Bevölkerung bekannt. Er avancierte durch konsequentes wertbasiertes Investieren zu einem der reichsten und erfolgreichsten Anleger überhaupt.
Doch worauf muss man achten, damit man als erfahrener oder neuer Investor die sogenannten verborgenen Schätze an der Börse findet - und nicht in die Value-Falle tritt? Hier sind die wichtigsten Eckpfeiler für Investments in Value-Aktien.
1) Was sind Value-Aktien?
Value-Aktien sind, simpel gesagt, Titel, die an der Börse günstiger als ihr tatsächlicher Wert gehandelt werden. Sie zeichnen sich in der Regel durch solide Finanzdaten wie geringe Verschuldung, stabile Gewinne, ein bewährtes Geschäftsmodell und eine lange Firmenhistorie aus. Anleger, die nach dem Value-Ansatz investieren, suchen und kaufen unterbewertete Aktien, die an der Börse gegenwärtig schlecht dastehen und kein Wachstum versprechen - in der Hoffnung, dass das Wachstum zurückkehrt, der Markt die Unterbewertung korrigiert und der Kurs auf einen fairen Wert steigt.
2) Wie identifiziert man Value-Aktien?
Um unterbewertete Titel zu finden, ist eine fundamentale Unternehmensanalyse erforderlich – und dafür braucht es vor allem eines: Zeit. Value-Investoren ziehen zur Identifizierung von unterbewerteten Aktien häufig die folgenden Kennzahlen hinzu:
- Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV oder PE-Ratio): Das KGV ist die bekannteste Bewertungskennzahl. Es wird berechnet, indem der Aktienkurs durch den Gewinn je Aktie dividiert wird. Generell gilt: Je niedriger das KGV, desto wahrscheinlicher ist eine Unterbewertung. Wichtig ist jedoch der Branchenvergleich, da verschiedene Sektoren unterschiedliche KGV-Niveaus aufweisen.
- Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV oder P/B-Ratio): Das KBV setzt den Aktienkurs ins Verhältnis zum Buchwert je Aktie. Der Buchwert entspricht dem Eigenkapital des Unternehmens, dividiert durch die Anzahl der Aktien. Ein KBV unter 1,0 kann auf eine Unterbewertung hindeuten, da der Marktpreis unter dem rechnerischen Substanzwert liegt.
- Gewinnrendite (Earnings Yield): Die Gewinnrendite ist das umgekehrte KGV – sie wird berechnet, indem der Gewinn je Aktie durch den Aktienkurs dividiert wird. Eine Aktie gilt als interessant, wenn die Gewinnrendite über der Rendite risikoloser Staatsanleihen liegt.
- Dividendenrendite (Dividend Yield): Die Dividendenrendite zeigt, welchen Prozentsatz des Aktienkurses ein Unternehmen jährlich als Dividende ausschüttet. Eine hohe, nachhaltige Dividendenrendite kann den Gesamtertrag aufgrund einer Unterbewertung massgeblich erhöhen.
- Eigenkapitalrendite (ROE): Die Eigenkapitalrendite misst, wie effizient ein Unternehmen das Eigenkapital der Aktionäre einsetzt. Sie wird berechnet, indem der Jahresgewinn durch das Eigenkapital dividiert wird. Eine hohe ROE deutet auf ein profitables Geschäftsmodell hin.
- Verschuldungsgrad: Der Verschuldungsgrad setzt die Gesamtschulden ins Verhältnis zum Eigenkapital. Ein niedriger Verschuldungsgrad (unter 1,0) gilt als positiv, da das Unternehmen weniger abhängig vom Fremdkapital ist und in Krisenzeiten flexibler agieren kann. In einem Nullzinsumfeld spielt diese Kennzahl jedoch eine untergeordnete Rolle.
- Liquiditätsgrad (Current Ratio): Der Liquiditätsgrad eines Unternehmens misst, ob das Unternehmen in der Lage ist, seine Schulden zurückzuzahlen. Die Berechnung erfolgt, indem man das Anlagevermögen durch die Verbindlichkeiten dividiert. Ein Liquiditätsgrad unter 100 Prozent bedeutet, dass die Verbindlichkeiten nicht ausreichend durch das verfügbare Anlagevermögen gedeckt sind. Je niedriger der Liquiditätsgrad ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Aktienkurs weiter fällt, sogar bis zu dem Punkt, ab dem die Aktie unterbewertet ist.
- Kurs/Gewinn-Wachstums-Verhältnis (PEG): Das PEG setzt das KGV ins Verhältnis zum erwarteten Gewinnwachstum. Es wird berechnet, indem das KGV durch die Gewinnwachstumsrate dividiert wird. Ein PEG unter 1,0 wird in der Regel als positiv bewertet, da dies eine mögliche Unterbewertung der Aktien signalisiert.
3) Wie weiss man ob man eine Value-Aktie gefunden hat?
Die Krux dabei ist, dass sich die Bewertungskennzahlen je nach Branche stark unterscheiden. So kann beispielsweise ein KGV zwischen 8 und 15 in der Versicherungsbranche bereits auf eine Unterbewertung hindeuten, während in der Technologiebranche nicht selten Aktien mit einem KGV von 20 bis 30 günstig sind.
Erfolgreiche Value-Investoren kombinieren deshalb mehrere Ansätze: Sie vergleichen Kennzahlen etwa wie KGV, KBV und Dividendenrendite mit Branchendurchschnitten, analysieren die Geschäftsentwicklung der letzten Jahre und prüfen die Zukunftsaussichten des Unternehmens.
4) In Value-Aktien investiert, und dann?
Nach Lehrbuch ist das Ziel jedes Value-Investors, bei der maximalen Unterbewertung einzusteigen und bei der maximalen Überbewertung auszusteigen. Jedoch sollte man aussteigen, sobald ein Titel kein Value Stock mehr ist.
5) Was sind die Risiken?
Eine zentrale Herausforderung bei Value-Aktien besteht darin, die Value-Falle zu vermeiden - wenn also ein scheinbar günstiges Unternehmen nicht wirklich unterbewertet ist. So kann ein Unternehmen aus gutem Grund günstig bewertet werden - etwa wegen struktureller Probleme in der Branche, veralteter Geschäftsmodelle oder schlechtem Management. Klassische Beispiele sind Zeitungsverlage oder Einzelhändler, die durch Digitalisierung unter Druck geraten sind. Ihre niedrigen Bewertungen spiegelten berechtigte Zukunftssorgen wider, nicht unterbewertete Chancen.
Einige Investoren liessen sich auch lange Zeit vom tiefen Kurs-Buchwert-Verhältnis der Credit Suisse täuschen. Das lag vor dem Ende der Bank bei 0,06, was als eine Unterbewertung erschein.
Das Timing-Problem ist eine weitere Herausforderung. Selbst wenn die fundamentale Analyse stimmt, kann es Jahre dauern, bis auch der Markt die Unterbewertung erkennt. Diese Diskrepanz zwischen Erkennen und Realisierung erfordert erhebliche Geduld der Investoren und kann sogar die Opportunitätskosten erhöhen.
Viele erfolgreiche Value-Investoren kombinieren daher quantitative Kennzahlen mit qualitativen Faktoren wie Managementqualität, Wettbewerbsposition und Branchentrends. Sie achten auch auf Katalysatoren, die eine Neubewertung auslösen könnten - etwa Spin-offs, Aktienrückkäufe oder strategische Änderungen.
6) Sind Value-Aktien zur Zeit attraktiv?
Seit 2007 hinken Value-Aktien den Wachstumsaktien (Growth) hinterher. Nach einem kurzen Unterbruch in den Jahren 2022 und 2023, als der Value-Stil besser abschnitt, haben Wachstumswerte wieder die Oberhand gewonnen.
Der US-Finanz-Informationsdienstleister Morningstar formuliert es in einer zweiteiligen Analyse von Value-Aktien wie folgt: «Value läuft nicht an der Börse». Dennoch sieht Morningstar in günstig bewerteten Aktien als eine der aussichtsreichsten Kapitalmarktstrategien. Genau jetzt sind die Chancen hoch, unterbewertete Titel zu finden. Wie cash.ch bereits berichtete galten in den letzten sechs Monaten Valoren wie jene des Telekommunikationsanbieters Sunrise, des Nahrungsmittelkonzerns Nestlé oder des Spezialchemieunternehmens Clariant als interessante Objekte für Value-Investoren – allerdings mit dem Hinweis, dass sich Geduld auszahlen könnte.