Der cash Insider berichtet im Insider Briefing jeweils vorbörslich von brandaktuellen Beobachtungen rund um das Schweizer Marktgeschehen und ist unter @cashInsider auch auf Twitter aktiv.

+++

Was war das für eine verrückte Woche: Seit Montag stellten sich bei uns am Schweizer Aktienmarkt nicht weniger als 39 Unternehmen in die Warteschlange, um ihre Quartals- oder Halbjahresergebnisse vorzulegen. Alleine deren 16 entschieden sich für den gestrigen Donnerstagmorgen als Veröffentlichungszeitpunkt ihrer Zahlenkränze. Diese hielten uns Wirtschaftsjournalisten und Börsenkolumnisten an diesem Tag und darüber hinaus ganz schön auf Trab. Denn die Ergebnisse von heute sind die Rating- oder Kurszielanpassungen von morgen. Und auch die gilt es bekanntlich zu kommentieren.

In Anbetracht dieser Zahlenflut verkam schon fast zur Nebensache, als der amerikanische Notenbankpräsident "Jay" Powell Mittwochnacht unserer Zeit die Leitzinsen ein weiteres Mal um 25 Basispunkte auf eine Spanne von 5,25 bis 5,5 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit mehr als zwei Jahrzehnten anhob. Vermutlich nicht zuletzt auch deshalb, weil ein Gros der Ökonomen bereits mit einem solchen Schritt gerechnet hatte. Und auch Madame Lagarde von der Europäischen Zentralbank (EZB) hatte tags darauf keine Überraschungen mit im Gepäck.

Apropos EZB: Da gibt es an den Terminmärkten doch bereits wieder Akteure, welche über Optionen schon für September auf eine erste Leitzinssenkung um 25 Basispunkte spekulieren. Wenn diese sich da mal bloss nicht verrennen...

Selbst vor und nach diesen beiden geldpolitischen Entscheiden blieben die hiesigen Handelsumsätze äusserst dünn. Sowohl am Dienstag als auch am Mittwoch waren eine Stunde vor Sitzungsende bloss Nestlé-Aktien für 100 Millionen Franken umgegangen. Bei jenen von Novartis lagen die Umsätze bloss bei 85 Millionen Franken, bei den Genussscheinen von Roche sogar nur bei 60 Millionen Franken.

Man muss kein eingefleischter Börsenprofi sein, um erahnen zu können, dass derart magere Handelsumsätze ein geradezu idealer Nährboden für starke Kursausschläge sind. Und an solchen mangelte es in den vergangenen Tagen – auch aufgrund der vielen Zahlenimpulse – ganz bestimmt nicht.

Höhenflug der Aktien von Julius Bär in den letzten Tagen (Quelle: www.cash.ch)

Eigentlich war schon am Montag klar, wie unberechenbar die Börse auf die anstehenden Zahlenkränze reagieren würde, als der Aktienkurs von Julius Bär nach einer nur leicht besser als erwartet ausgefallenen ersten Jahreshälfte um mehr als acht Prozent nach oben schoss.

Tags darauf zündete Logitech trotz ziemlich enttäuschenden neuen Jahresvorgaben ein Kursfeuerwerk. Um mehr als 12 Prozent ging es für die Valoren des Lausanner Unternehmens im Laufe des Dienstags nach oben, wobei das Geschehen im späten Handel teils von aggressiven Deckungskäufen bestimmt wurde.

Dass die Firmenverantwortlichen an der Telefonkonferenz durchblicken liessen, dass die diesjährigen Umsatz- und Gewinnvorgaben vorsichtig seien und eine Erhöhung im Laufe des Geschäftsjahres möglich sei, reichte aus und liess die Leerverkäufer reihenweise das Handtuch werfen. Ausserdem scheint die Suche nach einem Nachfolger für den langjährigen Firmenchef Bracken Darrell gut voranzukommen. Logitech selber spricht von hochkarätigen Kandidaten für den Posten.

In den Genuss prozentual zweistelliger Kursgewinne kommen heute Freitag auch die Aktien des Sorgenkinds AMS Osram – ebenfalls begleitet von aggressiven Deckungskäufen. Allen Unkenrufen zum Trotz wusste sich der Sensorenhersteller im zurückliegenden zweiten Quartal zu behaupten. Mit 50 Millionen Euro liegt der operative Gewinn (EBIT) klar über den erwarteten 42 Millionen Euro – wenn auch auf bereinigter Basis. Und auch die Vorgaben für das laufende dritte Quartal fallen nicht ganz so düster aus, wie es sich einige Analysten ausgemalt hatten.

Unter dem neuen Firmenchef Aldo Kamper verschreibt sich das Unternehmen zudem einer ziemlichen Rosskur. Diese sieht weitere Bereichsverkäufe vor – getreu dem Motto: Reculer pour mieux sauter. Was die 1,3 Milliarden Euro schweren ausserordentlichen Wertberichtigungen anbetrifft, erweist sich die Osram-Übernahme aus Aktionärssicht spätestens jetzt als ziemlich kostspieliges Abenteuer.

Kursentwicklung der AMS-Aktien seit Handelsbeginn (Quelle: www.cash.ch)

Ich vermutete im besagten Abenteuer einst ja sogar eine Verzweiflungstat. Im Wissen um möglicherweise wegfallendes Auftragsvolumen bei Apple versuche AMS mit der Übernahme von Osram vom Grosskunden wegzudiversifizieren, so schrieb ich damals zeitnah. Damit lag ich rückblickend wohl nicht ganz falsch.

Ob die Leerverkäufer – sie spekulierten vor wenigen Wochen noch mit fast 16 Prozent aller ausstehenden Aktien auf tiefere Kurse – auf Dauer ein Problem haben, wird sich zeigen müssen. Und auch auf die Analystenreaktionen von kommender Woche bin ich jetzt schon gespannt. Halten Kepler Cheuvreux, Bank of America und die französische Oddo an ihren Verkaufsempfehlungen für die Valoren fest...?

Kommen wir an dieser Stelle noch auf Lindt & Sprüngli zu sprechen. Das Halbjahresergebnis, welches das Traditionsunternehmen da am frühen Dienstagmorgen vorlegte, ist schon ziemlich eindrücklich. Erstmals in der langen Firmengeschichte setzte der Premiumschokoladehersteller von Januar bis Juni mehr als 2 Milliarden Franken um. Die Folgen des starken Frankens ausgeklammert, steigerte er den Umsatz zweistellig und übertraf damit selbst die kühnsten Erwartungen.

Da überrascht es nicht, dass das Unternehmen selbst im laufenden Jahr neuerdings von einem organischen Umsatzwachstum zwischen 7 und 9 Prozent (zuvor 6 bis 8 Prozent) ausgeht. Und selbst diese Zielbandbreite könnte sich letztendlich als zu tief erweisen.

Treibende Kraft hinter dem Wachstum waren satte Preiserhöhungen, wobei das Gesetz der Preiselastizität für Lindt & Sprüngli nicht länger zu gelten schien. Dieses Gesetz besagt, dass Preiserhöhungen mit rückläufigen Absatzmengen einhergehen. Dem war in der ersten Jahreshälfte allerdings nicht so. Die Absatzmengen stagnierten bloss.

Nun meldet sich der für die britische Barclays tätige Analyst Warren Ackerman zu Wort. Er warnt davor, dass die stark gestiegenen Kakao- und Zuckerpreise spätestens ab dem kommenden Jahr zu einem Problem für den Premiumschokoladenhersteller werden könnten. Seines Erachtens werden die Konsumentinnen und Konsumenten weitere Preiserhöhungen nicht mehr einfach so schlucken.

Ackerman reduziert seine Gewinnschätzungen für die beiden kommenden Jahre deshalb sogar. Die überarbeiteten Annahmen liegen unter den durchschnittlichen Schätzungen seiner Berufskollegen bei anderen Banken.

An dieser Stelle sei beiläufig erwähnt, dass der Barclays-Analyst nunmehr schon seit den ersten Januar-Tagen 2021 mit "Underweight" zum Verkauf der Namenaktien von Lindt & Sprüngli rät – ursprünglich mit einem Kursziel von bloss 74'000 Franken. Mittlerweile lautet das Kursziel 100'000 Franken. Kosteten die Valoren zum Zeitpunkt der erstmaligen Verkaufsempfehlung noch 88'000 Franken, waren es zuletzt gut 106'000 Franken.

Überrascht war ich von der Herunterstufung der Lonza-Aktien von "Buy" auf "Hold" durch Julius Bär. Aufgrund der eingeschränkten Vorhersehbarkeit der künftigen Geschäftsentwicklung veranschlagt Analyst Fabian Wenner neuerdings nur noch ein Kursziel von 540 (zuvor 620) Franken. Er reagiert mit den Anpassungen auch auf die Reduktion der Mittelfristziele durch den Pharmazulieferer.

Apropos Mittelfristziele: Das Sorgenkind Idorsia kassierte die eigenen Ziele gleich ganz. Wann das Baselbieter Pharmaunternehmen endlich schwarze Zahlen schreiben wird, ist nicht bekannt. Nur so viel: Die Gewinnschwelle wird wohl erst um einiges später als gedacht erreicht. Für neue Mittelfristziele vertrösten die Firmenverantwortlichen ins kommende Jahr – zu viel der Ungewissheit für die Börse.

In einem mir zugespielten Kommentar setzt nun auch Vontobel-Analyst Stefan Schneider bei Idorsia den dicken Korrekturstift an. Er streicht das Kursziel auf 7 (zuvor 12) Franken zusammen. Am "Hold" lautenden Anlageurteil für die Aktien hält er indes fest.

Wie Schneider – ich verlieh ihm einst den Titel König der Kursziele - schreibt, haben sich die Risiken deutlich erhöht. Seines Erachtens wird die Beschaffung zusätzlicher Mittel zunehmend schwierig und kostspielig. Ausserdem würden diese Mittel nun konzentrierter investiert, nämlich in die Lancierung des Schlafmittels Quviviq. Diese habe sich trotz hohem Investitionsaufwand bisher nicht ausbezahlt. Der Kürzung der Ausgaben für die Forschung und Entwicklung steht der Vontobel-Analyst hingegen kritisch gegenüber. Er steht damit nicht alleine da.

Kommende Woche dürfte es hierzulande in Sachen Unternehmensabschlüsse endlich etwas ruhiger werden. Mal schauen, ob weitere Zahlenüberraschungen eintreffen. Mehr dazu am nächsten Freitag, wenn es wieder heisst: Die Börsenwoche im Schnelldurchlauf.

Der cash Insider nimmt Marktgerüchte sowie Strategie-, Branchen- oder Unternehmensstudien auf und interpretiert diese. Marktgerüchte werden bewusst nicht auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Gerüchte, Spekulationen und alles, was Händler und Marktteilnehmer interessiert, sollen rasch an die Leser weitergegeben werden. Für die Richtigkeit der Inhalte wird keine Verantwortung übernommen. Die persönliche Meinung des cash Insiders muss sich nicht mit derjenigen der cash-Redaktion decken. Der cash Insider ist selber an der Börse aktiv. Nur so kann er die für diese Art von Nachrichten notwendige Marktnähe erreichen. Die geäusserten Meinungen stellen keine Kauf- oder Verkaufsempfehlungen an die Leserschaft dar.