Jede Anlegerin und jeder Anleger ist mit diesem Problem vertraut: Sollte man einen Titel verkaufen, wenn er sich auf einem Höchststand befindet und ein schöner Kursgewinn erzielt werden kann? Dieser Entscheid sollte doppelt hinterfragt werden. Aktien, die sich in der Nähe ihres Höchstkurses der letzten 52 Wochen bewegen, performen anschliessend tendenziell besser als solche, die weit davon entfernt sind. Diese Besonderheit wurde erstmals im Jahr 2004 von George und Hwang in einer empirischen Studie mit US-Aktien festgehalten.

Dies gilt nicht nur für US-Aktien, sondern auch für die hiesigen Valoren. Der Grund liegt im Trend oder Momentum. Geht die Post ab, so dürfte die Preisdynamik anhalten. In den letzten Wochen haben fast 30 Schweizer Aktien ein neues 52-Wochenhoch erreicht. 

Titel Kurs 52-Wochenhoch Datum 52-Wochenhoch
Autoneum 161,00 166,60 02.04.2024
Genfer Kantonalbank 301,00 304,00 02.04.2024
Compagnie Fin. Tradition 138,50 139,50 02.04.2024
Cosmo  68,70 72,30 02.04.2024
Mikron  18,60 19,15 02.04.2024
Sulzer 111,20 113,40 02.04.2024
Flughafen Zürich 204,60 208,20 28.03.2024
Jungfraubahnen 179,40 184,00 28.03.2024
Polypeptide 28,60 31,14 28.03.2024
Walliser Kantonalbank 113,50 115,50 28.03.2024
Accelleron 33,54 34,64 27.03.2024
Berner Kantonalbank 246,00 246,00 27.03.2024
Holcim 80,82 81,98 27.03.2024
Rieter 128,80 132,60 27.03.2024
BVZ Holding 980,00 1010,00 26.03.2024
Mobimo 260,00 264,97 26.03.2024
UBS 27,62 28,62 26.03.2024
Burkhalter 96,10 101,00 25.03.2024
ABB 41,85 42,94 22.03.2024
Partners Group 1252,00 1325,50 22.03.2024
Geberit 522,00 556,60 21.03.2024
Givaudan 3996,00 4160,00 21.03.2024
Swissquote 248,80 261,00 21.03.2024
Swiss Re 114,05 117,20 21.03.2024
VAT Group 465,50 484,60 21.03.2024
Zurich Insurance 481,80 492,90 21.03.2024

Daten: Bloomberg (Stand 3. April 2024).

Nun blindlings bei diesen Aktien zuzugreifen, ist der strategisch falsche Ansatz. Denn nur unter Einbezug der fundamentalen Unternehmensdaten sollten die Aktien herausgepickt werden, welche nicht nur gestern, sondern auch in Zukunft bei den Geschäftszahlen und mit dem Geschäftsmodell zu überzeugen wissen.

Wichtige Kennzahlen sind das Wachstum beim Umsatz und Gewinn pro Aktie (EPS) sowie der Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (EBITDA) und der freie Cashflow. Ebenso sollte Wert auf eine tiefe Verschuldung sowie eine solide Bewertung gemessen am Kurs-/Buchwert-Verhältnis gelegt werden. Eine wesentliche Kenngrösse ist ausserdem die Dividende, da diese bei Schweizer Valoren neben den Kursgewinnen je nach Titel in etwa 15 bis 35 Prozent zum Gesamtertrag - sogenannter Total Return - beisteuert. 

Langfristig auf «Compounder» setzen

Die Schweizer Aktien mit einem 52-Wochen-Hoch lassen sich in vier Gruppen einteilen: Dividendenstarke Immobiliengesellschaften und Finanzwerte, gefallene Engel auf Erholungskurs, Spezialsituationen sowie die Unternehmen, welche sich seit mehreren Jahren erfolgreich auf einem Wachstumspfad befinden. Bei den letztgenannten handelt es sich um sogenannte «Compounder». Das sind Unternehmen, die über einen längeren Zeitraum stetig den Wert für ihre Aktionäre vermehren können.

ABB und Holcim sind zwei Firmen, die weiterhin auf einem vielversprechenden Weg sind. Der ABB-Titel hat das über drei Jahre bestehende Mehrjahreshoch von 33,64 Franken deutlich hinter sich gelassen und fällt mit vollen Auftragsbüchern, einem gemäss AWP-Analysen erwarteten jährlichen Gewinnwachstum von 13,1 Prozent, Dividendenerhöhungen und wiederkehrenden Aktienrückkaufprogrammen auf. Der Hersteller von Industrierobotern, E-Auto-Ladestationen und Automationslösungen erfüllt damit die Anforderungen an einen Compounder. 

Der Baustoffhersteller Holcim hat jüngst überraschend die strategischen Weichen neu gestellt und die Abspaltung des Nordamerika-Geschäfts bekannt gegeben. Das beflügelt die Fantasie der Anleger, da der Bewertungsabschlag wegen der hohen CO2-Emissionen in der Zementproduktion zunehmend weniger relevant wird. Entsprechend hohe Kursziele von bis zu 100 Franken werden für Holcim aufgerufen. Aktuell notiert der Titel bei 81 Franken. 

Das Industrieunternehmen Sulzer, die Halbleiterzulieferer Mikron und VAT, der Turbolader-Hersteller Accelleron, das Pharmaunternehmen Cosmo oder der Onlinebroker Swissquote sind mittelgrosse Firmen, die in ihren Märkten bestens etabliert sind und mit einem überdurchschnittlichen Umsatz- und Gewinnwachstum aufwarten. 

Mehrjahreshoch und 52-Wochenhoch als Taktgeber

Chart-Techniker und Aktienhändler, welche das 52-Wochenhoch in den Anlageentscheid einfliessen lassen, schielen neben den Fundamentaldaten auch auf das Mehrjahreshoch beim Aktienkurs. Verschiedene Studie haben gezeigt, dass die Wahrscheinlichkeit für weitere Kursgewinne bei gleichzeitigem Erreichen des 52-Wochenhochs und Mehrjahreshochs noch weiter zunimmt. In diese Kategorie gehört neben den bereits erwähnten Firmen wie ABB, HolcimSulzer oder Swissquote auch die UBS, welche nach der Zwangsübernahme der Credit Suisse der Gruppe der Spezialsituationen zuzuordnen ist. 

Die bisher publizierten Zahlen der UBS überzeugen, die Integration der Credit Suisse verläuft auf Hochtouren und der Valor der Schweizer Megabank eilt seit Bekanntgabe der Transaktion im März 2023 nach einem ersten Taucher von einem Jahreshöchst zum nächsten. AWP-Daten zeigen 16 Kauf-Empfehlungen, 11 Halten und ein Verkaufen. Die ZKB hat mittelfristig mit 37 Franken das höchste Kursziele ausstehend. Das ergäbe einen Kursgewinn von 32 Prozent, der dank Dividendenzahlungen noch wesentlich höher ausfallen könnte.

In der Kategorie gefallene Engel sind nach den Umsatz- und Gewinneinbussen während der Corona-Pandemie der Flughafen Zurich und die Jungfraubahnen zu finden. Bei beiden Unternehmen normalisiert sich das Geschäft. Ebenso Polypeptide, die zuerst auf den harten Boden der Realität zurückgefallen sind und nun dank dem Boom bei den Fettweg-Spritzen wieder auf den Wachstumspfad zurückgefunden haben. 

Bei den Finanzwerten haben mit Swiss Re und Zurich zwei Versicherungswerte jüngst ein neues 52-Wochenhoch erreicht. Während Swiss Re bereits seit einem Jahr eine steile Kurve nach oben hinlegt, kam der Kursvorstoss bei Zurich Insurance eher überraschend. 

Das Beispiel Zurich bestätigt einmal mehr, welch ruhige Hand bei Aktienanlagen gefragt ist. Nach dem Dividendenabgang im April 2023 dümpelte die Aktie auf unverändertem Kursniveau elf Monate vor sich hin, ehe es ab Mitte Februar innerhalb von 30 Tagen in einer Bewegung um 10 Prozent nach oben ging. Der Durchhaltewille hat sich hier ausbezahlt: Auf Jahresfrist beläuft sich der Gesamtertrag - Kursgewinn plus Dividende - auf 16 Prozent, während der Swiss Performance Index (SPI) nur ein Plus von 5 Prozent vorweisen kann.   

Ende der schnellen Gewinne absehbar

So gut die Perspektiven bei den erwähnten Titeln sind: Seitwärtsbewegungen über längere Zeit wie bei Zurich Insurance gehören ebenso wie Kursrücksetzer und Kursübertreibungen in beiden Richtungen dazu. Diese fallen je nach Branche respektive Sektor heftiger oder milder aus. Gerade Aktionäre von VAT, Mikron, Cosmo oder Polypeptide können ein Lied über die hohe Volatilität singen. Die letzten zwölf Monate haben aber auch gezeigt, dass es per Saldo im Lift sehr schnell vom Tief zum Hoch gehen kann. 

Die Wachstumsperlen dürften in der nächsten Zeit nicht gleich rasant steigen wie in den letzten 52 Wochen. Wer auf kurzfristige Gewinne hofft, dürfte enttäuscht werden, weil ein Teil der Konjunkturerholung nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs und der Normalisierung der Lieferketten bereits eingepreist ist. Intakte Wachstumschancen bei einem bewährten Geschäftsmodell sind mittelfristig aber der beste Garant für nachhaltige Kursfortschritte.

Thomas Daniel Marti
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