Europas erfolgsverwöhnte Autobauer finden kein Rezept gegen die Stromer-Konkurrenz aus China und Texas. Jetzt fangen Volkswagen, Renault und Stellantis an, Kooperationen zu erwägen, um preiswertere Elektroautos herzustellen und eine Bedrohung abzuwenden, die existenziell werden kann.

Gnadenlos decken Konkurrenten von BYD bis Tesla die Schwächen bei Europas Massenherstellern auf. In den Vorstandsetagen macht sich ein mulmiges Gefühl breit und es wächst die Einsicht, dass Business as usual keine Option mehr ist. Die Manager wälzen Ideen von der Zusammenlegung von Entwicklungsressourcen bis hin zur grenzüberschreitenden Bündelung von Geschäftsbereichen. Die kommenden Monate werden entscheidend sein.

Es sei «vollkommen klar, dass die Unternehmen, die der chinesischen Konkurrenz nicht gewachsen sind, in Schwierigkeiten geraten werden», sagt Carlos Tavares, Chef der aus Fiat und Peugeot hervorgegangenen Stellantis, zu der Marken wie Chrysler, Citroën und Opel gehören. Vor ein paar Wochen erst hatte er der europäischen Automobilindustrie ein «Blutbad» prophezeit, wenn sie sich nicht anpasst.

Wegfall von Subventionen

Weit davon entfernt, die Spritfresser von der Strasse zu drängen, wachsen die Neuzulassungen von Elektroautos laut BloombergNEF in diesem Jahr so langsam wie zuletzt 2019, und die nachlassende Dynamik verschärft den Wettbewerb. Selbst Tesla spürt die Verlangsamung, die auch zu deutlichen Preisnachlässen geführt hat. Der 20%ige Einbruch der Aktie hat die Marktkapitalisierung des Elektro-Pioniers um rund 150 Milliarden Dollar verringert — mehr als das Doppelte dessen, was VW an der Börse wert ist.

Zu den aktuellen Negativfaktoren gehören der Wegfall von Subventionen, Autovermieter, denen die Wartungskosten bei Stromern zu hoch werden und Verbraucher, die zunehmend genervt auf die Kosten der Klimawende für ihren Geldbeutel reagieren. Die Wahlen in den USA und Europa könnten die Anti-Elektro-Stimmung weiter anheizen.

Im kommenden Jahr treten in der Europäischen Union strengere Emissionsvorschriften in Kraft. Für die Hersteller bedeutet das, dass sie mehr batteriebetriebene Autos verkaufen - oder mit saftigen Geldstrafen rechnen müssen. In einem (unwahrscheinlichen) Worst-Case-Szenario könnten VW nach Berechnungen von Bloomberg Strafen in Höhe von mehr als 2 Milliarden Euro blühen. Doch während der Druck wächst, mehr Elektroautos zu verkaufen, drängen gleichzeitig Chinas subventionierte Hersteller mit oft besseren und billigeren Modellen auf den abkühlenden Markt.

Der Dolphin von BYD beispielsweise ist rund 7'000 Euro günstiger gelistet als ein ähnlich ausgestatteter ID.3, das Modell, das VW einmal als Käfer der Stromer-Ära anpries. Der führende Hersteller der Volksrepublik wird seine europäischen Ambitionen nächste Woche auf dem Genfer Autosalon unterstreichen, wo er mehrere Elektromodelle vorstellt. Einer davon ist ein Luxus-SUV, der gegen die G-Klasse von Mercedes antritt.

Nicht absehbare Folgen

Finden die europäischen Autoherstellern keinen funktionierenden Plan B, dann droht ein Umbruch mit nicht absehbaren Folgen in einer Branche, die rund 13 Millionen Menschen beschäftigt und 7 Prozent der EU-Wirtschaft ausmacht.

«Wir haben als Industrie Milliarden ausgegeben, um die Elektromobilität zu ermöglichen», sagt Holger Klein, Vorstandschef des Teileherstellers ZF Friedrichshafen, der weltweit rund 165'000 Menschen beschäftigt. «Die Frage ist jetzt: Haben wir die richtigen Parameter?»

Renault-Chef Luca de Meo spricht sich für eine Allianz aus, die sich an der Erfolgsgeschichte von Airbus als gesamt-europäischem Konkurrent des beherrschenden US-Herstellers Boeing orientiert. Ein «Airbus der Autos», so de Meo, würde helfen, die enormen Anlaufkosten für den Bau preiswerter Elektroautos zu teilen und von Skaleneffekten zu profitieren. De Meos Initiative ist von den japanischen Kei-Cars inspiriert, beliebte Mini-Autos, die von mehreren Herstellern gebaut und steuerlich sowie bei Park- und Mautgebühren begünstigt werden.

Es zeichnen sich unterschiedliche Ansätze ab. Tavares von Stellantis spricht offen über sein Interesse an Fusionen und Übernahmen. De Meo hingegen wischte letzte Woche Spekulationen über einen grösseren Zusammenschluss beseite und erklärte im Gespräch mit Bloomberg TV, dass Agilität wichtiger sei als Grösse. Er bestätigte allerdings, dass allerorten Gespräche über eine gemeinsame EV-Plattform geführt werden.

«Wir sind sehr offen dafür, diese Art von Investition zu teilen, weil es sehr schwierig ist, mit kleinen Autos Geld zu verdienen», so de Meo, der schon für Volkswagen und Fiat gearbeitet hat. «Wir versuchen, einen Weg zu finden.»

Diskrepanz zwischen Erwartungen und Realität

An fehlenden Mitteln können die Schwierigkeiten der Autobauer eigentlich nicht liegen. Während sie ihre Investitionspläne zurückgefahren haben, schütten sie Milliarden an ihre Aktionäre aus. GM, Ford und Stellantis haben letztes Jahr in Summe 22,7 Milliarden Dollar für Aktienrückkäufe und Dividendenzahlungen ausgegeben. Renault plant die grösste Ausschüttung in fünf Jahren.

Die EU hatte sich wohl etwas anderes vorgestellt, als sie letztes Jahr beschloss, den Verkauf von Neuwagen mit Verbrenner ab 2035 effektiv zu stoppen. Aber es gibt eine Reihe von Gründen für die schlechte Stromer-Stimmung. Verbraucher ärgern sich über fehlerhafte Software und hohe Betriebskosten. Die komplizierte Wartung macht die Versicherung eines Elektrofahrzeugs teurer als die eines Verbrenners. Die grösste Hürde für Otto Normalverbraucher bleibt allerdings der Preis.

Auch wenn die Delle sich nur als vorübergehend erweisen sollte, hat die Diskrepanz zwischen Erwartungen und Realität spürbare Konsequenzen. Volkswagen hat in seinem Elektroauto-Zentrum im sächsischen Zwickau mehr als 200 befristet Beschäftigte entlassen und eine Schicht gestrichen.

Eine Zusammenarbeit im Bereich der Elektromobilität könnte gerade für Volkswagen entscheidend sein, da der Autogigant trotz massiver Investitionen in dem Bereich mit hartnäckigen Problemen zu kämpfen hat. Nach dem Dieselskandal hatte VW unter dem damaligen CEO Herbert Diess die wohl ehrgeizigste Elektro-Offensive der Branche gestartet. Doch fehlerhafte Software verzögerte wichtige Modelle und kostete Diess 2022 letztlich den Job.

Sein Nachfolger Oliver Blume stutzte viele Projekte zurück — und strich etwa den Plan eines 2 Milliarden Euro teuren neuen Werks für Elektroautos. Weitere Kostensenkungen stehen den Wolfsburgern ins Haus.

Letzte Chance

Vielleicht haben die europäischen Autobauer noch eine letzte Chance. VW, Stellantis und Renault arbeiten unabhängig voneinander an Modellen, die 25.000 Euro oder weniger kosten. Mercedes und BMW wollen bis Mitte des Jahrzehnts mehrere neue Elektrofahrzeuge mit verbesserter Technologie auf den Markt bringen.

Ein möglicher Ausweg wäre mehr Protektion. Die Europäische Kommission untersucht bereits die Subventionen Chinas für die Elektroautobauer. Werden die Brüsseler Wettbewerbshüter fündig, könnte das schon in wenigen Monaten in Strafzöllen münden.

Ein zeitlicher Aufschub für das Ende des Verbrennungsmotors hingegen könnte zwar eine Atempause bringen, bringt Europa aber nicht schneller in das Elektrozeitalter. «Unter CEOs und in den Vorstandsetagen herrscht grosse Nervosität», sagt Alexandre Marian, Geschäftsführer bei der Beratungsfirma AlixPartners in Paris.

(Bloomberg)