Der europäische Stoxx 600 Automobiles & Parts Index ist seit Jahresbeginn um 31 Prozent auf ein Rekordhoch gestiegen und lässt damit seinen starken Einbruch im Frühjahr 2020 vergessen. Diese Entwicklung steht im deutlichen Gegensatz zum Elektropionier und letztjährigen Börsenüberflieger Tesla, dessen Aktien seit Jahresbeginn insgesamt 11 Prozent verloren haben.

Die wirtschaftliche und gesellschaftliche "Normalisierung" setzt bei den Konsumenten einen grossen Nachholbedarf frei. Die steigende Nachfrage nach Autos, insbesondere auch nach Elektrofahrzeugen, nährt einen Optimismus für die europäische Autobranche. Auch der weiterhin bestehenden Halbleitermangel trübt diesen nicht.

Arndt Ellinghorst, Analyst beim Vermögensverwalter Bernstein, sieht auch nach dem starken Kursanstieg noch weiteres Aufwärtspotenzial: "Autoaktien sind immer noch günstig und haben ein Momentum." Ins gleiche Horn stösst Fabio Caldato, Anlagechef bei Olympia Wealth Management: "Wir sind trotz Chipmangel fest davon überzeugt, dass Anleger zumindest in den nächsten ein bis zwei Quartalen weiter im Autosektor investiert sein sollten."

Für die Aktien der europäischen Autohersteller muss aber individuell eine Standortbestimmung vorgenommen werden. Die fünf grossen europäischen Autoaktien und was sie versprechen: 

VW - Transformation im Schnelltempo

Für die Aktionärinnen und Aktionäre von Volkswagen war 2020 ein Jahr zum Vergessen: Zuerst der starke Absacker der Aktien im März, dann eine kurze Erholung und schlussendlich eine monatelange Seitwärtsbewegung. Erst im neuen Jahr hat sich bis Anfang April ein rasanter Anstieg herausgebildet. Dieser wurde wegen den Sorgen um den Chipmangel jäh unterbrochen, doch seit Mitte Mai gehen die Aktien wieder nach oben - plus 52 Prozent seit Jahresbeginn.

Kursverlauf der VW-Vorzugs-Aktie seit Januar 2020 (Quelle: cash.ch).

Der Volkswagen-Konzern hat mit seinen ehrgeizigen Transformationszielen auch Kursfantasien befeuert. Volkswagen verfolgt Investitionspläne für den Umbau zu einem Mobilitäts- und Technologieunternehmen, das neben Elektroautos auch selbstfahrende Fahrzeuge und damit verbundene Dienste anbietet. Auch bei der Halbleitertechnologie will sich VW Wissen aneignen - nicht selbst fertigen, aber das Design und die technische Auslegung bestimmen.

Dass dies nicht nur Träumereien sind, sondern in der Zukunft Realität werden könnte, will VW mit der Umsetzung der ID.-Plattform beweisen. Der modulare Elektrifizierungsbaukasten erlaubt VW bei der Lancierung von neuen Elektrofahrzeugen Effizienz und Flexibilität. VW bleibt für Anlegerinnen und Anleger mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von gut 10 eine attraktive Aktie mit weiterem Aufwärtspotenzial. Zudem könnte der vielfach diskutierte Börsengang der Beteiligungsgesellschaft Porsche Holding Wirklichkeit werden. Das durchschnittliche Ertragspotenzial von 20 Prozent der von Bloomberg befragten Analysten ist nicht zu hoch gegriffen.

Stellantis - Vielseitiger Grosskonzern

Der viertgrösste Autohersteller der Welt, der Anfang Januar aus der Fusion von Peugeot und Fiat Chrysler entstanden ist, besitzt Marken wie Jeep, Chrysler, Dodge, Alfa Romeo, Fiat, Maserati, Peugeot und Opel. Stellantis hat zwar grosse Pläne, in den Elektroautomarkt einzusteigen. Der Konzern verfolgt jedoch keine All-In-Strategie für die Elektrifizierung, sondern setzt auf eine Mischung aus Hybrid-, Verbrennungs- und Elektrofahrzeugen. 

Seit Jahresbeginn beläuft sich das Kursplus bei den Stellantis-Aktien auf knapp 51 Prozent. Dies, obwohl der weltweite Mangel an Elektronikbauteilen Stellantis schwer zu schaffen macht. Von Januar bis Ende März konnten 190'000 Fahrzeuge nicht gebaut werden - das waren rund elf Prozent der geplanten Produktion.

Kursverlauf der Stellantis-Aktien seit Jahresbeginn (Quelle: cash.ch).

Stellantis setzt aber nicht nur auf den Autobau. Auch die Robotik kommt in der strategischen Ausrichtung einen grossen Stellenwert zu. Die Robotik-Tochter Comau installierte beispielsweise Montageroboter im Tesla-Werk im kalifornischen Fremont. Und mit Leasys besitzt der Konzern ein Unternehmen, das auf die Langzeitmiete von Fahrzeugen spezialisiert ist. Im aktuellen konjunkturellen Umfeld könnten die Aktien mit einem KGV von knapp 15 noch zulegen. Dies, obwohl der Konzern bei der Elektromobilität selbstgewählt zu den Nachzüglern gehört. Für vorsichtige Investoren eignet sich die Aktie nicht.

Renault - Sanierung und Wasserstoff Chance?

Die Aktien von Renault wurden Anfang 2020 regelrecht ausverkauft - der Kurs fiel von gut 43 auf knapp 13 Euro. Eine Starke Erholung setzte erst mit den positiven Impfstoffnachrichten im November ein. Den Schwung vermochte der Titel nur zum Teil ins neue Jahr hinüberzunehmen. Und seit Mitte März befindet sich die Aktie wieder im leichten Sinkflug, fand aber in den letzten Wochen einen Halt bei über 30 Euro.

Kursverlauf der Renault-Aktien seit Januar 2020 (Quelle: cash.ch).

Renault steckt mitten in der Restrukturierung und hatte im vergangenen Jahr einen Rekordverlust verzeichnet. Der neue Konzernchef Luca de Meo, der seit Juli 2020 an der Unternehmensspitze steht, will den Autobauer durch einen schärferen Sparkurs und den Umbau zu einem stärker auf Software ausgerichteten Technologiekonzern in die Erfolgsspur bringen. 2025 solle der Anteil von elektrifizierten Personenwagen 65 Prozent betragen. 2030 sei dann ein Anteil von mindestens 90 Prozent geplant, heisst es.

Doch Renault setzt auch auf Wasserstoff, dass vielen Branchenbeobachtern zufolge als der Antrieb der Zukunft gilt. Erst am Mittwoch hat der französische Automobilbauer angekündigt, mit dem Weltmarktführer für schlüsselfertige Wasserstofflösungen, Plug Power, ein Gemeinschaftsunternehmen zu gründen. Im Fokus stehen leichte Nutzfahrzeuge mit Brennstoffzellenantrieb, Ladestationen und die Versorgung mit regenerativ erzeugtem Wasserstoff. Die ersten drei Brennstoffzellenfahrzeuge will Renault schon Ende 2021 in Europa an den Start bringen.

Wegen der anhaltenden Restrukturierung empfiehlt sich ein Kauf nur für Mutige. Auch wer langfristig wegen der Wasserstoff-Thematik auf Renault setzen möchte, kann ruhig noch zuwarten. Mit den Zahlen für das zweite Quartal am 30. Juli werden diesbezüglich vielleicht mehr Informationen erhältlich sein. 

Daimler - Abspaltung und Elektro-Luxuslimousine bringen Schwung

Daimler profitiert aktuell von den in der Corona-Pandemie begonnenen Kostensenkungen. So hatte Daimler für die Personenwagen- und Van-Sparte Mercedes-Benz bereits nach dem starken ersten Quartal die Margenprognose für 2021 erhöht. Aber auch das Preisumfeld entwickelt sich dank steigender Nachfrage - vor allem auch in dem wichtigsten Einzelmarkt China - vorteilhaft.

Auch die Aktien setzen den im letzten Jahr eingeschlagenen Aufwärtstrend fort. Die diesjährige Kursrendite beläuft sich auf satte 35 Prozent. Dies könnte gut noch weitergehen. Die von Bloomberg befragten Analysten sehen im Durchschnitt ein weiteres Aufwärtspotenzial von 20 Prozent.

Kursverlauf der Daimler-Aktien seit Jahresbeginn (Quelle: cash.ch).

Die Abspaltung der Daimler Truck-Sparte im Herbst könnte neue Impulse bringen. Soll heissen: Mercedes-Benz für die Autos und Vans sowie Daimler Truck für Lastwagen und Busse werden die neuen börsenkotierten Einheiten. Darüber hinaus wurde vor kurzem die Produktion des neuen Flaggschiffs bei den Elektroautos, die Luxuslimousine EQS, gestartet. Ein Zukauf bei Daimler - Aktie hat ein KGV von 11 - ist insbesondere wegen des erfolgreichen Produktionsstarts der Limousine EQS auch für eher konservative Anlegerinnen und Anleger interessant. 

BMW - Geht die Doppelstrategie auf?

Die BMW-Aktien stechen gegenüber VW und Renault hervor. Nach dem Einbruch im Frühjahr 2020 gingen diese unterbrochen von kurzen Verschnaufpausen nach oben - bis heute. Das diesjährige Kursplus beläuft sich auf knapp 32 Prozent.

Kursverlauf der BMW-Aktien seit Januar 2020 (Quelle: cash.ch).

Dieses Jahr bringt BMW mehrere reine Batterieautos auf den Markt. Neben dem i4 auch den vollelektrischen SUV iX3 und später auch den noch grössere Stadtgeländewagen iX. 2023 will BMW in 90 Prozent seiner heutigen Marktsegmente mit einem rein elektrischen Modell vertreten sein. Obwohl CEO Oliver Zipse bei der Elektromobilität deutlich aufs Gaspedal drückt, die Bayern setzen mit ihrer Strategie auf Elektroautos als auch Hybridfahrzeuge.

Diese Doppelspurigkeit könnte dem Unternehmen dank der steigenden Nachfrage nach beiden Antriebstechnologien zumindest auf mittlere Frist zugutekommen. Bei Elektroantrieben und Plug-in-Hybriden steigerte BMW den Verkauf in den ersten drei Monaten auf über 70'000 Autos - gut doppelt so viel wie vor einem Jahr. Mit einem KGV von 10 sind die Aktien immer noch günstig. Anlegerinnen und Anleger können hier getrost zugreifen.