cash.ch: Herr Possa, Sie haben kürzlich in einem Tweet das Missverhältnis bei der Credit Suisse zwischen Lohn und Leistung aufgezeigt. Seit 2002 wurde eine Lohnsumme von 238,5 Milliarden Franken ausgezahlt, bei einem Nettogewinn von 40,6 Milliarden Franken…

Marc Possa: …hinzukommt ein Aktienkurs, der im selben Zeitraum rund 82 Prozent verloren hat.

Sie sagen, dass Grossbanken bereits vor der Fintech-Konkurrenz kein «superiores Geschäftsmodell» gehabt hätten. Das klingt alles hart. Sind traditionelle Grossbanken in Ihren Augen überhaupt noch zu retten?

Sie sind noch immer systemrelevant für die Zahlungsabwicklung und werden das auch noch eine Weile bleiben. Aber in allen anderen Bereichen werden sie mit der Zeit immer mehr umschifft werden – und damit in ihrer Existenz gefährdet. Doch die Schweizer Grossbanken geniessen noch immer einen grossen Vorteil.

Und zwar?

Auf der ganzen Welt, ob mit Schwarz- oder Weissgeld, wird die 'Swissness' noch lange Zeit gesucht werden. Das ist aber nicht das Verdienst der Grossbanken. Vielmehr ist es eine Funktion unserer Kultur, unseres Seins und der Rechtsstaatlichkeit in der Schweiz. Das Vertrauen gründet sich nicht darin, dass die Grossbanken einen guten Job machen.

Gibt es Grossbanken in der jetzigen Form noch in zehn Jahren?

Es wird in zehn Jahren noch immer ein Bedürfnis nach Schweizer Banken und Schweizer Banking-Lösungen geben, insbesondere für ausländische Kunden. Das wird dann aber damit zu tun haben, dass sich diese Assets in der Schweiz an einem, im Vergleich zu den jeweiligen Herkunftsländern, sicheren Ort befinden. Ob dieses Geschäft dann die Credit Suisse oder die UBS macht und in welcher Form, das sei erstmal dahingestellt. Die Swissness wird aber auch in zehn Jahren noch sehr viel wert sein.

 

 

Die Kritik, die Sie in Ihrem Tweet angesprochen haben, zeigt ein grundlegendes Problem. Viele sprechen von Lohnexzessen. Glauben Sie, dass sich bei den Banken etwas ändern wird?

Nein. Diese Kultur hat sich über lange Zeit etabliert. Damit diese sich mal wirklich nachhaltig verändern kann, braucht es viel mehr. Unsere Systeme sind bekanntlich sehr träge und wenig adaptiv, es bräuchte da schon einen Schock oder eine richtige Krise. Für eine rasche Änderung der Kultur ist das Mindset überhaupt nicht da. Das Problem ist ja, dass die Grossbanken sich diesen Luxus leisten können.

Inwiefern?

Es ist ja viel zu wenig Druck da. Schauen Sie sich den Leistungsausweis von Urs Rohner an…

…Urs Rohner ist seit 2011 CS-Präsident und wird an der Generalversammlung Ende April sein Amt an António Horta-Osório übergeben.

Sein Leistungsausweis in dieser Zeit ist katastrophal. Trotzdem hat er sich so lange halten können. Jetzt wird Rohner vielleicht noch CEO Thomas Gottstein opfern. Er hatte ja schon ein paar andere geopfert. Diese Leute sind unantastbar und können nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Es gibt nicht mal einen Kernaktionär, der sie einmal disziplinieren oder rügen würde. So etwas gibt es in der Finanzindustrie generell nicht, das ist das grosse Manko. Dies erklärt ja auch die Lohnexzesse.

Es gebe nun mal einen Kampf um die besten Talente, wie es heisst. Die Banken müssten attraktive Saläre zahlen, um die guten Leute zu halten.  

Entschuldigung, aber das ist Bullshit. Ich habe mit Steffen Meister, exekutiver Verwaltungsratspräsident der Partners Group, damals zusammen bei der Credit Suisse gearbeitet. Wir waren abends die Letzten im Büro. Bei Leuten wie ihm herrscht ein völlig anderes Mindset. Deswegen hat er die Partners Group auch da hingebracht, wo sie jetzt ist. Im Schnitt sind die Grossbanken träge und arrogant. Es bräuchte also wirklich einen Schock für einen Kulturwandel.

Was wäre ein solcher Schock?

Das Problem ist, dass solch ein Schock gar nicht zugelassen wird. Das ist politisch motiviert. Wir betreiben die Sozialisierung von allem und das Retten von allem, leider auch von Schlechtem. Es gibt keinen Selektionsprozess mehr. Wenn man Robustheit sucht, müssen die Schwächsten eigentlich eliminiert werden. Und ich rede hier nicht von den sozial schwächsten, denen muss geholfen werden. Aber man muss keine arrogante Kaste von Leuten, die wenig Added Value bieten ausser für sich selbst, retten. Deshalb darf auch keine Grossbank systemrelevant sein. Hinzukommt, dass Grossbanken völlig falsche Interessen verfolgen.

Wie meinen Sie das?

Das Beispiel Greensill ist typisch…

Der britische Finanzdienstleister Greensill, der auf Lieferketten-Finanzierung spezialisiert war, musste kürzlich Insolvenz anmelden. Mehrere Partnerbanken – darunter die CS – hatten nach aufkommenden Zweifeln über die finanzielle Solidität die Geschäftsbeziehungen zur Bank gekappt.

Es gibt aber noch viele andere Beispiele. Wenn Sie die Portfolios der Grossbanken anschauen, sind die gespickt mit eigenen Produkten mit hoher Marge, das nützt dem Kunden nichts. Meist haben die Portfolien sogar negative Vorzeichen. Da wird einfach von oben gesagt, was den Kunden verkauft werden muss. Punkt. Und auch ein Iqbal Khan, der so hochgelobt wird…

Iqbal Khan wechselte Ende 2019 unter grossem Aufsehen von der Credit Suisse zur UBS und leitet seitdem dort die Vermögensverwaltung.

Ich habe in meinem Leben viele Menschen gesehen und war von ganz wenigen wirklich beeindruckt. Um in einer Grossbank die politische Karriere durchlaufen zu können, muss man nicht intelligent sein. Sie müssen gewisse Eigenheiten haben, aber da steht nie die Gunst des Kunden im Vordergrund, sondern es geht um die Organisation selbst. Das klingt hart, aber man muss es so ansprechen.

Immerhin lässt sich der Aktien-Kurs der UBS zumindest in diesem Jahr durchaus sehen.

Ich kenne viele Leute, die sagen, man müsste doch zugreifen, nachdem die Bank-Aktien jahrelang so stark gefallen sind. Doch wenn Sie sich ein Geschäft anschauen, müssen Sie strategisch überlegen, was ist der Schutz dieses Geschäftsmodells. Idealerweise kann ich mir über Innovation einen hohen Burgraben erarbeiten. Diese Möglichkeit gibt es in der Finanzwelt nur in der Digitalisierung. Genau das haben die vielen Fintechs gemacht, die Grossbanken haben es dagegen total verschlafen.

Blicken wir auf den aktuellen Markt. Schauen Sie eigentlich auch jeden Morgen nach, wo die Renditen der zehnjährige US-Staatsanleihen stehen?

Ja, ich schaue sie mir schon schnell an. In den USA sind sie ja doch relativ schnell von 0,6 Prozent in 2020 auf jetzt ungefähr 1,6 Prozent angestiegen. Auch in der Schweiz liegen wir beim 'Eidgenossen' heute wieder bei etwa minus 0,33 Prozent. Im Dezember waren es noch um die minus 0,5 Prozent. Die Frage nach den Renditen ist durchaus legitim. Die Zinsen sind das Mass aller Dinge. Wir leben in einer Welt, in der die Defizite weltweit aus dem Ruder laufen, nicht nur Corona-bedingt. Die einzige Chance, hier herauszukommen, ist Inflation um jeden Preis. Selbst in der Schweiz ist Helikopter-Geld nicht mehr abwegig.

Börsianer, so scheint es, fürchten steigende Anleiherenditen wie der Teufel das Weihwasser. Sie auch?

Wenn sie in einer unkontrollierten Weise stark steigen würden, wäre das fatal. Wobei in einem solchen Szenario der einzige Schutz wiederum Realwerte wären. Also Anteile an produktiven Unternehmen, die flexibel und adaptiv sind. Diese wird es dann ebenfalls schütteln, aber Firmen wie Siemens oder Thyssen Krupp haben den Zweiten Weltkrieg ja auch überlebt. Die deutsche Reichsmark ging bekanntlich unter.

Inflation ist derzeit ein weiteres Dauerthema am Markt. Viele erwarten, dass der Nachfragerückstau im Sommer zu stark anziehenden Preisen führen wird. Kommt die Inflation nun?

Es gibt partiell Inflationsschübe, die allerdings einmaliger Natur sind. Es werden beispielsweise mehr Chips gebraucht, als derzeit produziert werden können. Ich warte noch immer auf ein Weihnachtsgeschenk für meinen Sohn, welches wegen des Chipmangels offenbar nicht geliefert werden kann. Auch die Preise für Eisen und Stahl hatten sich zwischenzeitlich fast verdoppelt. Doch das System passt sich ja an. Wenn man irgendwo dank hoher Nachfrage noch mehr verdienen kann, wird zusätzliche Kapazität geschaffen, was wiederrum zu fallenden Preisen führt. Ich glaube nicht an eine lohnindizierte Spirale nach oben, die man als Inflation bezeichnen könnte.

2020 war das Jahr der Wachstumsaktien, zuletzt liefen zyklische Werte überdurchschnittlich gut. Auf was soll man jetzt setzen?

Die Gewinner von gestern sind auch die Gewinner von Morgen. Wer gut positioniert ist und organisch ohne risikoreiche Übernahmen wachsen und Marktanteile gewinnen konnte, wird dieses und nächstes Jahr noch standhafter werden. Ich glaube im Schnitt nicht an den Value-Ansatz. Turnaround-Geschichten sind immer viel gefährlicher als propagiert. Man sollte in Qualität und Innovation investieren.

Ihr Fonds setzt hauptsächlich auf kleine und mittelgrosse Unternehmen aus der Schweiz. Damit dürften Sie zuletzt gut gefahren sein.

Wir haben das Jahr 2020 mit einem Plus von 26 Prozent abgeschlossen, der Index war bei knapp 8 Prozent. Die Performance war so gesehen galaktisch, allerdings auch nicht ganz gesund. Trotzdem nehmen wir das natürlich so mit. Doch wichtig ist ja, was die Zukunft bringt. Dort muss man richtig positioniert sein, denn es wird wieder Stürme geben, auch wenn man es nicht zulassen will. In der Schweiz dürfen wir uns diesbezüglich aber vergleichsweise wohl fühlen. Wir machen relativ gesehen einfach etwas weniger Fehler als viele andere Nationen um uns herum.

Sie sind mit ihrem Fonds mit über 50 Prozent in Industrieunternehmen investiert. Ist das nicht etwas viel «Old Economy»?

Nun, man könnte meinen, man bräuchte zukünftig nur noch Software und Healthcare. Doch es wird immer Übersetzungssysteme brauchen, welche die Bits und Bytes in eine physikalische Aktion umsetzen. Auch ein Tesla-Fahrzeug, das digital gesteuert wird, braucht eine gewisse Mechanik und einen Elektromotor. Das wird immer unterschätzt, wenn man sich die einzelnen Sektoren anschaut. Ausserdem ist die weitverbreitete Sichtweise, Industrie-Aktien seien per se zyklisch, falsch und irreführend.

Inwiefern?

Zunächst mal gibt es ja sowohl früh-, als auch spätzyklische Werte. Ausserdem gibt es strukturelles Wachstum, welches überhaupt nicht zyklisch ist. Das haben wir ja insbesondere in der Pandemie gelernt. Empfehlungen zu allfälligen Sektor-Rotationen kann man daher alle 'rauchen'. Wir haben in den letzten 20 Jahren doch gelernt, dass Value-Aktien, also sogenannte Substanzwerte, nicht einfach, weil sie schlecht gelaufen sind, plötzlich gute Einstiegsgelegenheiten wären. Vielmehr sollte man Qualität für einen vernünftigen Preis suchen. Und diese findet man in Schweizer Industrie-Titeln, die übrigens in ihren Nischen globale Marktführer sind.

Sie sind unter anderem in Gurit und Dätwyler investiert. Beide Titel sind zuletzt gut gelaufen. Lohnt es sich trotzdem, hier neu einzusteigen?

Wenn Sie nur drei Monate Zeit haben, dann nicht. Wer allerdings einen langfristigen Horizont hat, wird mit diesen beiden Gesellschaften noch viel Freude haben. Eine gut positionierte Gesellschaft muss heute teuer sein. Was gut ist, hat heutzutage richtigerweise seinen Preis.

Mit Bachem und Logitech haben sie Aktien im Portfolio, deren Kurssteigerungen in 2020 schwindelerregend waren. Bleiben Sie hier dran?

Ich bleibe voll dran. Der ganze Homeoffice-Trend, vom dem Logitech profitiert, ist nachhaltig. Auch wer künftig nur einen Tag von Zuhause aus arbeitet, braucht ja die entsprechende Infrastruktur. Wir stehen da noch immer erst am Anfang des Trends.

Sehen Sie im Industrie-Bereich Aktien, die bisher noch etwas vernachlässig wurden, aber eigentlich Potenzial haben?

Automobilzulieferer wurden bereits vor Corona schon stark vernachlässigt. Mir fallen da Namen wie etwa Komax, Feintool, Klingelnberg oder Autoneum ein. Die waren allesamt schon vor der Pandemie in der Krise, auch weil überall die E-Mobilität gefördert wird. Doch erstens wird es noch lange dauern, bis nur noch Elektroautos auf den Strassen fahren. Zweitens können diese Firmen auch Lösungen für Elektroautos liefern. Gute Unternehmen passen sich der Zeit an.

Marc Possa ist Fondsmanager und CEO der VV Vermögensverwaltung in Zug. Er ist seit zehn Jahren für das Portfoliomanagement des mehrfach ausgezeichneten Small- und Mid-Caps-Fonds "SaraSelect" verantwortlich.