Einer der anspruchsvollsten Jobs im Schweizer Banking ist seit heute Mittwoch offiziell zu haben. Da Raiffeisen-CEO Patrik Gisel seinen Sessel bis spätestens Ende Jahr räumen wird, hat die Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin für die Bank ab sofort oberste Priorität. Die Zeit drängt. Erschwerend kommt hinzu, dass Verwaltungsratspräsident Pascal Gantenbein nur interimistisch im Amt ist. 

Auch die Aufarbeitung der Vorfälle rund um Gisels Vorgänger Pierin Vincenz wird die Bank nicht so schnell zur Ruhe kommen lassen. Dennoch werden bereits Namen herumgereicht, die für eine Nachfolge von Gisel infrage kommen. Wer auch immer den Job annimmt: Die Herausforderungen sind gross. Der neue Chef oder die neue Chefin muss die Retailbankenwelt aus dem Effeff kennen, Turnaround-Fähigkeiten haben und die Bank durch eine Zeit führen können, in der sie eine neue Rechtsform erhält.

Früheren Spekulationen zufolge sollen Raiffeisen-Finanzchef Christian Poerschke und Urs Gauch, verantwortlich für die Firmenkunden, im Gespräch sein. Das Problem von Poerschke ist allerdings, dass er von Gisel an Bord geholt wurde und somit nicht für einen Neuanfang stehen würde. Dasselbe gilt für Urs Gauch.

Möglicher Inländervorrang

Wahrscheinlicher ist deshalb, dass eine Kandidatin oder ein Kandidat von ausserhalb der Bank das Rennen machen wird. Nur so ist eine glaubwürdige Aufarbeitung der Raiffeisen-Ära unter Pierin Vincenz möglich, zu der zwangsläufig auch Patrik Gisel gehörte. Schliesslich war er jahrelang Vincenz' rechte Hand.

cash-Kommentar zum Thema Raiffeisen: Patrik Gisel wird nicht das letzte Raiffeisen-Opfer sein

Auch bei den externen Nachfolgern wurde das Kandidatenkarussell schon vor Wochen in Bewegung gesetzt. Da wäre Harald Nedwed, langjähriger CEO der Migros Bank. Allerdings sitzt Nedwed im Verwaltungsrat der Kreditkartenfirma Aduno, deren Präsident bis 2016 Pierin Vincenz war und die in den Vincenz-Skandal verstrickt ist.

Oder da wäre Romeo Lacher, der als Verwaltungsratspräsident bei der SIX einige wichtige Veränderungen angestossen hat. Sofort verfügbar wäre wohl Franco Morra, ehemaliger CEO von HSBC Schweiz. Er kündigte per 27. April und werde sich einer neuen Herausforderung widmen, wie es hiess. Als CEO Switzerland der UBS leitete Morra zuvor das Schweizer Vermögensverwaltungs- und Kleinkundengeschäft.

Ebenfalls schon genannt als Gisel-Nachfolgerin wurde Christine Novakovic von der UBS, die in der Vermögensverwaltung die Marktregion Europa, Naher Osten und Afrika führt. Sie arbeitet zwar schon lange in der Schweiz, stammt aber aus dem Südtirol und hat in Mailand studiert sowie lange in Deutschland gelebt. Allerdings: Für die genossenschaftlich organisierte und lokal verankerte Raiffeisen Gruppe macht eine inländische Lösung schlicht mehr Sinn.

Eine exotische Wahl?

Für eine mutige Abkehr von der Vergangenheit würde die Wahl eines unbekannteren Branchenkenners sprechen. Zum Beispiel Martin Rohner, Chef der Alternativen Bank Schweiz. Er gibt – einmalig in der Schweiz – die unpopulären Negativzinsen an sämtliche Kunden offen weiter. Zudem setzt die ABS konsequent und erfolgreich auf sozial und ökologisch orientiertes Banking. Trotz des eher exotischen Geschäftsmodells wurde Rohner Ende 2016 bei der cash-Online-Umfrage zum "Banker des Jahres" gewählt.

Weniger exotisch wäre die Wahl eines Bankenchefs mit ähnlicher Ausrichtung wie Raiffeisen, also von einer Kantonalbank. Aber auch hier fallen viele Papabili womöglich weg: Alois Vinzens (Graubündner KB), Martin Scholl (ZKB), Pascal Kiener (BCV) oder Roland Ledergerber (SGKB) sind schon über 55.

Bleiben einige jüngere Kollegen. Hanspeter Rhyner (*1968) hat die Glarner Kantonalbank zu einem digitalen Vorzeigeinstitut gemacht und bringt viel Erfahrung im Hypothekengeschäft mit. Dasselbe gilt für Marianne Wildi (*1965) von der Hypothekarbank Lenzburg. Mit ihr würde Raiffeisen auch einiges an Lohnkosten sparen: Die Bankerin verdiente im vergangenen Jahr 412'000 Franken. Patrik Gisel bekam in seinem letzten Jahr als Raiffeisen-Chef 1,8 Millionen.