cash.ch: Wenn man die Börse diese Woche beobachtet: Kommt es zur Korrektur? Gibt es schon Anzeichen davon? Ist die Rally zu extrem gewesen?

Eugi Burgener: Die Umsätze im Handel haben generell abgenommen. Als die Lage wegen der Covid-19-Krise im Februar und März akut war, massen wir im SMI Umsätze von zwölf Milliarden Franken am Tag. In der letzten Zeit hingegen haben die Umsätze zwischen 3,5 und 5 Milliarden Franken geschwankt. Dies zeigt, dass die grossen institutionellen Kunden gar nicht sehr aktiv dabei sind. Die institutionellen Anleger sind so zurückhaltend, wie ich es sehr selten erlebt habe.

Bei den tiefen Umsätzen, die Sie ansprechen: Spielen Ihrer Meinung nach neue, junge, unerfahrene Privatanleger wie die «Robin Hooders» eine Rolle bei den Kurssteigerungen, die wir beobachten können?

Ja klar. Online-Trading-Anbieter ziehen massiv Kunden an. Viele wollen unbedingt mitmachen. Das hat auch damit zu tun, dass die Leute im Home Office sind. In den USA gab es Geld von der Regierung: Manche sind dann einfach "zocken" gegangen. Und es ging bis jetzt ja gut. Risiken werden ausgeblendet. Ich kann mir aber vorstellen, dass nun die Insolvenz von Wirecard da den einen oder anderen risikofreudigen Anleger aufschreckt.

Aber traditionelle Anleger warten ab, wie Sie beobachtet haben.

Ja. Eine zweite Beobachtung ist: Auch die Manager sind in einer abwartenden Haltung. Seit einigen Wochen gibt es fast keine Management-Transaktionen mehr. Wir sind ein bisschen in einer "Vakuum"-Situation. Was es aber gegeben hat, sind grosse Placierungen: Bei Barry CallebautSGSSika – vonseiten Saint-Gobain – oder Stadler Rail, SIG und SoftwareOne haben sich Familien und Grossaktionäre von grösseren Aktienpaketen getrennt.

Sind dies Zeichen dafür, dass Grossaktionäre noch schnell Kasse machen wollen?

Saint-Gobain hat bei Sika nach dem Ablauf der Haltefrist im Mai ziemlich schnell reagiert und verkauft. Vermutlich sah man nicht mehr so viel Potential. Bei den genannten Placierungen gab es kaum noch einen Abschlag – und trotzdem wurden die Blöcke gut absorbiert. Es scheint, als wollten sich Grossinvestoren bewusst von einem Teil ihres Portfolios trennen, da sie nur noch mit begrenztem Kurspotential rechnen.

Aber sind das Vorzeichen einer Korrektur?

Vielleicht sehen wir im Moment auch zu viele Anleger, die pessimistisch sind. Viele warten ab, weil sie im Fall einer "zweiten Welle" von Coronavirus-Infektionen zukaufen wollen. Wir haben ausser Covid-19 in letzter Zeit auch neue Konflikte im Handelsstreit USA-China erlebt, dann die Unruhen in den USA nach dem Tod von George Floyd, dazu Gewinnwarnungen der Unternehmen: Und nichts ist passiert. Ich frage mich, was noch passieren muss damit es zu einer Kurskorrektur kommt.

Nimmt man die Gewinnwarnungen zu wenig ernst?

Das zweite Quartal wird klar das schwächste 2020 sein. Aber jetzt kommt es besser: So lässt sich die Stimmung etwas erklären. Ausserdem verhelfen die Regierungen mit den Infrastrukturprojekten, und die Zentralbanken mit ihrer Geldpolitik zu höheren Aktienkursen. Die Analysten nehmen ihre Schätzungen zwar eher zurück, aber indem sie ihre Modelle mit den entsprechenden Daten versehen, steigen als Folge die Kursziele sogar.

Kann man Modelle derzeit überhaupt mit verlässlichen Daten füttern?

Es ist viel schwieriger geworden. Viele Firmen, vor allem Zykliker, haben ihre Ziele gestrichen. Investoren sind in ihrer Beurteilung alleine.

Wenn Sie den Schweizer Aktienmarkt anschauen – ist es nicht auch schwierig, sich zwischen defensiven und zyklischen Aktien zu entscheiden?

Nein, es ist nicht so einfach. Zykliker haben ja gerade in den letzten Wochen eine tolle Performance hinter sich und sind jetzt teilweise sogar höher bewertet als die defensiven Titel. Von den Bewertungen her ergibt es somit wieder mehr Sinn, defensiv zu spielen.

Was empfehlen Sie?

Wenn Sie den Trend spielen wollen: Gesundheit sowie Technologie und durchaus auch Telekom sind ein Thema. Lonza ist weiterhin sehr gut positioniert, aus dem gleichen Branche auch SiegfriedRoche und Novartis bleiben gute Aktieninvestments. Als Gewinner der Krise sehen wir aber auch Logitech und Also, sowie Swisscom und Sunrise. Vor allem, wenn wir vor einer zweiten Welle stehen: Letztere werden erneut vom Home Office profitieren.

Defensiv hin oder her – reizen Sie nicht auch stark gefallene Titel wie jene aus der Tourismus- oder Luxusgüterbranche? Dort bräuchte es wohl gar nicht so viel, und die Kurse würden steigen.

Verlierer dieser Krise waren Dufry, der Flughafen ZürichBarry Callebaut, LM Group, Valora – auch Swatch und Richemont sowie die Bergbahnen natürlich. Dies sah man damals ja sofort. Kurzfristig haben diese Aktien nun von der Lockerung profitiert. Jetzt aber sind wir in einer Phase, wo wir nicht wissen, wie es weiter geht. Wir stehen ja möglicherweise vor einer neuen Welle. Kaufen würde ich aus diesem Bereich nur die Aktie des Flughafens Zürich, nachdem die Rettung von Swiss und Lufthansa geregelt ist.

Warum gerade der Flughafen Zürich?

Das Unternehmen hat eine solide Bilanz. Generell bevorzugen wir Gesellschaften mit guten Managements, soliden Bilanzen und guten Produkten mit Pricing Power. Was wir den Kunden aber auch empfehlen, sind gute Dividendentitel.

Bezüglich Dividenden gab es vor zwei, drei Monaten die Befürchtungen, diese könnten – gerade bei Banken oder Versicherern – reihenweise gestrichen werden. Auch gab es explizite politische Forderungen nach Dividendenverzichten. Ist diese «Gefahr» gebannt?

Pläne für Aktienrückkäufe konnten schon noch zurückgehalten werden. Aber wenn die Firmen in Form sind, werden sie auch Dividenden ausbezahlen. Bei den Versicherern glaube ich, dass vor allem stark auf die Schweiz konzentrierte Unternehmen wie Helvetia oder Bâloise gut dafür positioniert sind. Wenn wir Dividendentitel empfehlen, meinen wir aber vor allem auch Roche, Novartis, Nestlé und Swisscom.

Im Sinne einer Portfolio-Strategie – was empfiehlt Mirabaud Securities ausser Aktien? 

Gold ist absolut eine Option. Gold ist schon sehr schön gestiegen, und dies wird auch weitergehen. Der Goldpreis profitiert von den tiefen Zinsen und der Geldschwemme der Zentralbanken. 

Trotz eines Acht-Jahres-Hochs beim Gold sind sie zuversichtlich?

Gold im Portfolio kann niemandem schaden. Und natürlich ein bisschen Cash: Zum nachinvestieren, wenn es eine zweite Welle gibt.