Von 430 auf 1516 Dollar: Das ist der Kursgewinn der Tesla-Aktie an der Techbörse Nasdaq seit Anfang Jahr. Alexander Potter glaubt, dass der Kurs in den  nächsten zwölf Monaten nochmals um die Hälfte auf 2300 Dollar steigen wird. Dafür hat der ausgesprochen bullishe Analyst von der amerikanischen Investmentbank Piper Sandler eine genauso einfach klingende wie faszinierende Erklärung: "Tesla ist das konsequenteste Unternehmen im Ökosystem der Mobilität, und dies wird sich in den nächsten zehn Jahren kaum ändern." 

Tesla dominiert den Markt für E-Autos. Seitdem Firmengründer Elon Musk 2012 die luxuriöse Limousine Tesla S als erstes wirklich leistungsfähiges massenproduziertes Elektroauto der Welt lanciert hat, ist der Markenname für viele zum Synonym für Elektroautos geworden. Vor allem aber überliess die Konkurrenz Tesla einen Riesenvorsprung. Erst seit zwei Jahren ist der Markt mit Tesla-Alternativen richtig in Bewegung.

Die Traditionsmarke Jaguar, die das Image verstaubter britischer Vornehmheit abstreifen will, lancierte 2018 das Modell I-Pace als Anti-Tesla. Audi und Daimler brachten vergangenes Jahr in bester Tradition deutscher Premiumhersteller in der Designsprache kantiger Schwere gehaltene Elektro-SUVs heraus. Da E-Autos enorme Beschleunigungsleistungen erreichen können - bei ihnen ist ein oft brachiales Drehmoment vollständig verfügbar, sobald man man aufs Pedal tritt – verpasste es auch Porsche nicht, mit dem viel beachteten Supersportwagen Taycan in den Markt einzusteigen.

 

 

Diese Autos erreichen in Tests Spitzenwerte, und selbst eingefleischte Fans von fossil befeuerten Autos sind begeistert von diesen Top-Technologieträgern. Doch die Zulassungszahlen bleiben tief. Im ersten Halbjahr verkaufte sich der E-Jaguar in der Schweiz 70 mal, der Audi-SUV e-tron 149 mal, während der Mercedes-Elektriker EQC insgesamt 260 und der E-Porsche 176 Käufer fand. Tesla hingegen setzte von seinen drei Modellreihen S, X und 3 zusammen 1938 Autos ab.

Auch in Deutschland überragt Tesla die Konkurrenz bei den Zulassungen. So berichtet der YouTube-Blog Car Maniac, in Deutschland seien alleine die Probefahren für Teslas, Rezession hin oder her, auf zwei Monate ausgebucht. Teslas Verkaufsrenner Model 3 profitiert davon, dass die deutsche Regierung bis zu einem gewissen Listenpreis E-Autos neu stärker bezuschusst. Im weltgrössten E-Automarkt China dominiert Tesla ebenfalls.

Dabei stehen Teslas im Ruf, recht liederlich verarbeitet zu sein. Die Marke hat ein notorisch schlechtes Image beim Kundenservice. Doch holt Tesla aus den Batterien nach wie vor am meisten Reichweite heraus. Vor allem aber: Die Reputation als zeitgeistkonformer Zukunftskonzern intakt. Denn wer, der ein bisschen grün tickt und es sich leisten kann, kauft Autos so konservativer Marken wie Daimler, Audi oder Jaguar?

Für deutsche E-Autos stehen traditionsreiches Ingenieurskönnen und das Streben nach Perfektion – Tesla steht für Elon Musk, der öffentlich Cannabis raucht und auf Twitter Amok läuft. Dem Image abträglich ist dies nicht.

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Wenn es um die Börse geht, hat Tesla hingegen viele Gegner. Börsianer schauen zurecht nicht allein auf Zulassungszahlen, Drehmoment und Lifestyle, sondern auf Fundamental- und Finanzdaten. Tesla prägt den Markt seit acht Jahren – doch der Aktienkurs war nicht immer so gut wie dieses Jahr. Lange war das Musk-Unternehmen chronisch unprofitabel. Erstmals ein Jahresgewinn wurde 2019 geschrieben. Und Tesla-Kritiker verweisen auch immer auf die astronomische Bewertung der Aktie.

Über so etwas wie Bewertung spricht man in Tech-Kreisen auch nicht so gern. Quasi ein Nebeneffekt der Tesla-Rally an der Börse ist schliesslich, dass das US-Unternehmen heute an der Börse doppelt so viel wert ist wie VW. Gerade VW aber könnte mittels Modelloffensive Tesla am ehesten gefährlich werden.

2020 hat schon einiges in Bewegung am Markt für E-Autos: Audi hat weitere vollelektrische Modelle vorgestellt, Volvo führt die E-Marke Polestar ein, der PSA-Konzern lässt neue Elektro-Kleinwagen rollen und etwas weniger beachtet noch fahren auch schon vollelektrische Hyundais und Kias über europäische Strassen. Ins Bewusstsein von E-Fans rollt langsam die China-Marke Nio. Hightech verspricht auch der soeben präsentierte Nissan Ariya. Das grösste Aufsehen verursacht hat zuletzt aber der VW ID.3, der im Herbst auf den Markt kommen soll.

 

 

Dieses kompakte Auto soll bei VW nichts weniger als das dritte automobile Zeitalter nach dem Käfer und dem Golf einläuten - selbst wenn der ID.3 wohl mit dem Startnachteil von hartnäckigen Softwareproblemen auf den Markt kommen könnte. Schon vor der offiziellen Auslieferung als "Elektroauto fürs Volk" bezeichnet, kostet dieses Modell fast ein Drittel weniger als das Tesla-Erfolgsmodell Model 3. Fragt sich aber, ob in diesem Preissegment eine echte Zielgruppe existiert.

Erwin Hettich, Betriebswirtschaftsprofessor an der Hochschule St. Gallen, relativiert die hochgesteckten Ziele von VW: "Tesla-Konkurrenten wie der VW ID.3 können zwar schnell in hohen Stückzahlen gefertigt werden, allerdings stellt sich nach wie vor die Frage, ob eine breite Masse der Kunden, auf die der ID.3 ausgelegt ist, bereits heute an einem E-Fahrzeug interessiert ist." Der Lifestyle-Appeal von Tesla prägt auch VW: Die spanische Tochter Seat Cupra benennt ihren ID.3-Ableger nicht von ungefähr nach dem Szeneviertel El Born in Barcelona.

Der Kursverlauf der Tesla-Aktie in den vergangenen fünf Jahren (Chart: Bloomberg).

Einen laufend steigenden Aktienkurs garantiert der Nimbus von Tesla allein natürlich nicht. Hohe Bewertungen, Leerverkäufer und investitionsunerfahrene Neu- und Kleinanleger bleiben ein Risiko für den Kurs. Beim Produkt aber hat Tesla einen grossen Vorsprung vor der Konkurrenz: Dies schlägt sich in Zulassungszahlen nieder, und damit Gewinnpotential für den Hersteller. Mit der nun eingeführten vierten Modellreihe Model Y, einem kompakten SUV, wird Tesla den anderen Herstellern aller Voraussicht nach erneut vorauseilen.

"Mit jedem Tag, an dem die etablierten Hersteller nicht am Markt sind, baut Tesla den Vorsprung aus - und zelebriert diesen", sagt E-Auto-Experte Hettich. Die Chance, dass Tesla den Markt weiter beherrschen wird, ist absolut intakt.