cash:ch: Der Dow Jones aber auch der breite S&P 500 eilten dieses Jahr von Rekord zu Rekord. Von Euphorie ist an den Märkten jedoch nichts mehr zu spüren. Warum bestehen diese Zurückhaltung und Angst trotz eines fortschreitenden Wirtschaftsaufschwungs?

Remo Rosenau: Die Märkte sind seit einigen Jahren schon zins- und liquiditätsgetrieben. Dies ist wichtiger als die konjunkturelle Entwicklung. Wenn die Zinsen steigen, werden die Märkte nervös. Das haben wir gesehen, als die Rendite der US-Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit in kurzer Zeit von 0,6 auf 1,7 Prozent anstieg. Dies hat für Ängste gesorgt.

Sie sprechen die Inflationsängste an, die aktuell wieder für Turbulenzen am Markt sorgen?

Ja, infolge der Wiedereröffnung der Wirtschaft müssen die Unternehmen ihre Lager herauffahren. Alle sind überrascht, wie schnell dies geht. Lieferengpässe sind die Folge. Dies führt zu steigenden Rohstoffkosten, was sich schlussendlich auf die Preise auswirkt. So hat man letzten Endes Angst, dass Inflation kommt und damit die Zinsen weiter steigen. Das macht die Märkte nervös und ist aktuell wichtiger als die konjunkturelle Erholung.

Bei der Einschätzung der kommenden Inflation scheiden sich die Geister. Fakt ist, dass die Inflationserwartungen in den USA auf den höchsten Stand seit zehn Jahren gestiegen sind. Einige Marktbeobachter prognostizieren jetzt Zustände wie in den 1970er Jahren, andere wie die US-Notenbank Fed sehen nur ein vorübergehendes Aufflackern. Wo positionieren Sie sich?

Wir denken, es gibt eher einen kurzfristigen und temporären Inflationsschub. Sobald sich die Wirtschaft wieder auf einem normalen Niveau befindet, dürfte sich die Situation beruhigen. Zudem glauben wir an eine weiterhin expansive Geldpolitik der Notenbanken. Mittel- und langfristig kommt dann noch die in der Pandemie zusätzlich beschleunigte Digitalisierung hinzu, welche in allen Unternehmen zu Effizienzsteigerungen führen wird und damit fundamental wiederum deflationär wirkt.

Sie glauben, dass der deflationäre Einfluss der Technologie unterschätzt wird?

Ja, dies ist ein deflationärer Treiber, der in den nächsten fünf bis zehn Jahren einen Einfluss haben wird. Die Preissteigerungen durch die Wiedereröffnung der Wirtschaft ist demgegenüber eher eine temporäre Erscheinung von 6 bis 18 Monaten.

In diesem Fall werden es Wachstums- und Technologieaktien aber weiterhin schwer haben?

Diese sind aktuell tatsächlich in einer Konsolidierung- und Korrekturphase. Es findet weiterhin eine Rotation von Technologie-, Wachstum-, und Corona-Gewinner-Aktien in konservativere - und lange vernachlässigte - Value-, Konsum-, und zyklische Aktien statt.

Die Konsolidierungs- und Korrekturphase ist für Sie von temporärer Natur. Ein Kauf von Schweizer Technologie-Titeln wird also in naher Zukunft wieder interessant? 

Ja, dies ist richtig. Die Halbleiteraktien von VAT, Comet und Inficon sollten nach der aktuellen Konsolidierung wieder Opportunitäten bieten, denn der Halbleiterzyklus wird noch in den nächsten zwei bis drei Jahren sehr stark bleiben. Schliesslich kommen die ganzen Investitionen bei den Kunden von diesen Unternehmen erst noch.

Auf welche von diesen drei Technologietiteln setzen Sie?

VAT ist mit einem Weltmarktanteil von 45 bis 65 Prozent in ihren verschiedenen Marktsegmentenein ganz hervorragend aufgestelltes Unternehmen, das auch über Preissetzungsmacht verfügt. Comet finden wir auch gut und bietet zusätzlich noch eine zyklische Komponente sowie das Potential von verschiedenen internen Verbesserungen.

Gerade der Preissetzungsmacht kommt im aktuellen Umfeld von steigenden Rohstoffpreisen eine grosse Bedeutung zu. Was sind Ihre Favoriten am Schweizer Aktienmarkt?

Qualitativ hochstehende Aktien von Unternehmen mit einer hohen Rendite auf dem eingesetzten Kapital, starker Marktstellung und Preissetzungsmacht gehören bei uns schon immer zu den Favoriten. Das sind Aktien wie beispielsweise Geberit, Givaudan, Straumann, Sika, Ems-Chemie, Belimo, Barry Callebaut und SGS. Insbesondere SGS erscheint uns aktuell zurückgeblieben und hat noch Aufholpotenzial. Im Zusammenhang mit der Wiedereröffnung der Wirtschaft sollte man konsumverbundene und zyklische Aktien weiterhin im Auge behalten. Auch die gute alte Nestlé-Aktie gehört dazu. Diese ist nicht teuer bewertet und weist noch immer eine Dividendenrendite von fast 3 Prozent auf. Auch Holcim finden wir aktuell noch zu tief bewertet. Die Aktien haben einen Abschlag wegen der - noch - fehlenden ESG-Kompatibilität. Das Unternehmen ist innerhalb seiner Industrie aber vorbildlich unterwegs und verbessert sich in diesem Bereich gerade stark.

Warum erwähnen Sie Barry Callebaut und nicht Lindt & Sprüngli?

Barry Callebaut kennt man weniger, da es eher im Business-to-Business-Bereich tätig ist. So verkauft Barry Callebaut beispielsweise Rohschokolade an die meisten der weltweit bekannten Schokoladeprodzuenten. Diese machen daraus dann die finalen Schokoladenvarianten. Lindt & Sprüngli ist aber unbestritten auch eine hervorragende Gesellschaft und kann man in die obige Aufzählung integrieren. Wir haben in unserem Modelportfolio aber Barry Callebaut, da die Bewertung noch günstiger und die Marktstellung im Business-to-Business-Bereich sehr dominant ist. Zudem verfügt auch Barry Callebaut über eine Preissetzungsmacht und profitiert von der Wiedereröffnung der Wirtschaft.

Bei der Betrachtung des Schweizer Aktienmarkts ist die Kursentwicklung der grossen Pharmatiteln auffällig. Die Genussscheine von Roche haben seit Jahresbeginn 3,3 Prozent verloren, die Aktien von Novartis 5,7 Prozent. Worauf führen Sie diese Kursschwäche zurück?

In den USA läuft die Diskussion über die hohen Medikamentenpreise schon lange. Diese sind in den USA deutlich höher als in Europa. So sind die Preise für Krebsmedikamente manchmal beispielsweise um Faktoren teuer als in Europa. Auch Donald Trump hat zu Beginn seiner Amtszeit einen Kampf gegen diese hohen Preise angekündigt, jedoch nie vollzogen. Die neue amerikanische Regierung könnte es hier ernster meinen. Es besteht die Befürchtung, dass die Preise unter Biden tatsächlich unter Druck kommen könnten. Und die Diskussionen um den US-Vorstoss zur Freigabe von Patenten für Corona-Impfstoffe hilft ebenfalls nicht. Dass Unternehmen die jahrelang in die Forschung investiert haben, anschliessend nichts mehr daran verdienen sollen, ist unserer Ansicht nach nicht zielführend und sehr kurzfristig gedacht. 

Das Umfeld für die beiden Pharmatitel Roche und Novartis wird schwierig bleiben?

Ja, Roche und Novartis stehen momentan etwas im Gegenwind. Dementsprechend sind sie aber auch recht moderat bewertet. Ganz links liegen lassen, sollte man sie daher auch nicht. 

Noch vor kurzem wurden Reisetitel wie LM Group, Dufry oder auch der Flughafen Zürich wegen der Corona-Lage als mutige Investments beschrieben. Jetzt zeichnet sich dank den Impffortschritten eine kontinuierliche Verbesserung in der Reisebranche ab. Sollen Anlegerinnen und Anleger zukaufen?

Dufry hat sehr viel Schulden und eine massive Kapitalerhöhung vollzogen. Wer sportlich investiert, risikobereit und risikofähig ist, der kann Dufry ins Portfolio nehmen. Wir setzen aber eher auf den Flughafen Zürich. Dort haben wir eine starke Reopening-Komponente kombiniert mit einer stabileren Immobilienseite.

2021 gehören Grossbanken in den USA aber auch in Europa wieder zu den Gewinnern am Markt. Die Credit Suisse ist diesbezüglich selbstverschuldet eine Ausnahme. Ist dies bloss ein vorübergehendes Kurshoch oder geht es langfristig wieder aufwärts?

Wir haben einzig Cembra Money Bank in unserem Modellportfolio. Aber das ist ein komplett anderes Geschäftsmodell. Das klassische und risikoarme Zinsdifferenzgeschäft der Geschäftsbanken ist gegenüber früher mehr oder weniger zum Erliegen gekommen, was sie grundsätzlich zum Eingehen von höheren Risiken zwingt, um weiter genügende Renditen zu erzielen. Zudem glauben wir bei den Grossbanken, wie auch bei anderen börsenkotierten Grosskonzernen, das Phänomen des Principal-Agent-Problems zu erkennen. Die zu zersplitterten Aktionäre nehmen wenig bis keinen Einfluss und die Angestellten - sprich die Manager - beginnen sich demzufolge irgendwann so zu benehmen, als wären sie die Eigentümer. Das ist langfristig keine gute Basis. Grossbanken empfehlen wir nicht zum Kauf.

Unter Anlegerinnen und Anlegern sind Kryptowährungen immer beliebter. Empfehlen Sie ihren Kundinnen und Kunden, Kryptowährungen im Portfolio zu halten?

Wenn Kunden dies wollen, hindern wir sie natürlich nicht daran. Aber wir empfehlen es nicht. Kryptowährungen sind für uns keine Anlageklasse.

Warum nicht?

Behaften Sie mich nicht, aber das Gesamtvolumen bei den Kryptowährungen liegt bei ungefähr 2,5 Billionen Dollar. Dies ist wenig mehr als die Marktkapitalisierung von Apple. Im Gesamtkontext der weltweiten Vermögenswerte ist dies also sehr wenig. Die Kryptowährungen sind auch nicht beliebig vermehrbar, das Mining ist sehr schwierig. Wegen der Angebotsknappheit gibt es daher starke Preisschwankungen. Wenn die Nachfrage gerade höher ist, geht es steil bergauf. Wenn ein paar miteinander verkaufen wollen, geht auch schnell bergab. Die Volatilität wird daher hoch bleiben.

Es kommt hinzu, dass in der Zukunft auch Zentralbanken eigene Kryptowährungen anbieten könnten, oder rein digitale Währungen. Dann wird es interessant.

Sie zweifeln an der zukünftigen Koexistenz?

"Don't Fight The Fed". Wenn die Zentralbanken auf diesen Trend in einer kreativen Art reagieren, könnte es für die anderen Kryptowährungen schwierig werden. Zudem sind die Kryptowährungen aus ökologischer Sicht auch nicht gerade das Gelbe vom Ei. Die für das Mining benötigten Rechenleistungen und  demzufolge der Energieverbrauch sind enorm hoch. Das wird noch fast gar nicht thematisiert. 

Es gibt Marktstimmen, die Bitcoin als das neue Gold proklamieren. Davon halten Sie vermutlich wenig?

Das ist korrekt. Als Ergänzungsanlage im Sinne einer langfristigen Wertaufbewahrung, bevorzugen wir nach wie vor eindeutig Gold. Diese Funktion von Gold ist seit paar tausend Jahren in den Köpfen und Herzen der Menschen verankert. Es ist zwar, wie Kryptowährungen, nicht beliebig vermehrbar, doch global anerkannt. Im Sinne einer diversifizierten Anlagestrategie, auch für schwere Zeiten,  sollten Investoren fünf bis zehn Prozent von ihrem gesamten Privatvermögen in Gold halten, was kaum jemand tut. 

Soll man Gold physisch halten oder kommen auch ETFs (Exchange Traded Funds) in Frage?

Am Ende des Tages kommt es auf die Grösse des Vermögens an. Ab einem gewissen Vermögen stellen auch die Aufbewahrung und der Transport ein Problem dar. Im Normalfall ist die physische Goldanlage klar zu bevorzugen. 

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