Der Schweizer Aktienmarkt hat sich bereits wieder von den Finanzmarkt-Turbulenzen erholt, welche im März die Aktien hatte absacken lassen. Seit Jahresbeginn lautet das Kursplus gemessen am Swiss Market Index (SMI) 5 Prozent. Die auch dank der Bankenkrise neu entfachte Hoffnung auf sinkende Zinsen sorgt für Rückenwind.

Vergessen gerät hingegen, dass die massive Zinswende wohl auch weiter nicht ohne Kollateralschäden einhergehen wird. Einerseits schwelt die Bankenkrise trotz der Credit-Suisse-Übernahme insbesondere in den USA wohl weiter. Andererseits dürften die hohen Kreditkosten die Wirtschaft in den USA und Europa in eine Rezession zwingen. Eine Umfrage von cash.ch bei fünf Fondsmanagern zeigt, dass beim Markt- und Konjunkturausblick Uneinigkeit herrscht.

Doch auch in der eher unsteten und unsicheren Marktlage wird zugekauft, und dies auch bei Werten, die stark korrigiert haben. So zählt der Schweizer Markt viele qualitativ gute Unternehmen - die Bilanzqualität ist für die Fondsmanager angesichts der höheren Zinsen wichtiger als auch schon. Dazu zählen Industriegruppen, Technologieentwickler oder hochspezialisierte Zulieferer grosser Konzerne. Verkauft haben die befragten Fondsmanager hingegen nur wenige Positionen, sehen aber auch viele Titel, die zu meiden sind.

Marc Possa, VV Vermögensverwaltung "SaraSelect":

"Die aktuelle Lage ist fragil. Es wird mehr Bremsung durch das Fed brauchen, um die Inflation nachhaltig runter zu bringen", ordnet Marc Possa die aktuelle Marktlage ein. Wenn man so lange so tiefe Zinsen - negative Realzinsen - gehabt habe, dann werde vieles verzerrt. Bei vielen schlecht geführten Unternehmen wie Zur Rose oder Dufry wird der wirkliche Stresstest erst noch kommen, wie Possa zu cash.ch sagt: "Erst bei der Normalisierung sieht man, wer gut positioniert ist. Analog dem Sprichwort von Warren Buffett: "Wenn der Seespiegel sinkt, sieht man, wer Badehosen anhat".
 
Zugekauft hat der Fondsmanager in der jetzigen Marktlage bei der Industriegruppe Forbo und bei der Medtech-Firma Skan, "weil sich Gelegenheiten boten". Bei Forbo führte beispielsweise der Umstand einer dem Finanzmarkt nicht genehmen Kommunikation dazu, dass die Aktien förmlich ausverkauft wurden. Die Gesellschaft ist für Possa aber hervorragend geführt. Bei Skan bot der Umstand, dass nach den starken Zahlen das Management endlich auch verkaufen durfte, eine Gelegenheit zum Kauf. 

Die Nummer 1 im Portfolio von Possa ist weiterhin Bachem - aus tiefster Überzeugung seit mehreren Dekaden. "Der Peptidspezialist ist 50 Jahre nach der Gründung der klare Marktführer in einem Bereich, der strukturell immer stärker wächst." Dies auch deshalb, weil immer mehr Wirkstoffe nicht mehr oral, sondern vermehrt durch Injektionen verabreicht werden. Man sehe am Beispiel des Konkurrenten Polypeptide ("ist total abgestürzt"), wie wichtig es sei, über langjährige Erfahrung, gutes Management und eine effiziente Produktion zu verfügen.

Marc Hänni, Vontobel "Swiss Mid And Small Cap Equity Fund":

"Stand im Februar noch die hohe Inflation im Mittelpunkt der Investoren, sind es inzwischen Sorgen bezüglich Stabilität des Finanzsystems sowie eine mögliche Abschwächung der Konjunktur", sagt Marc Hänni, Leiter Aktien Schweiz von Vontobel Asset Management, gegenüber cash.ch. Den eher trüben Aussichten in den USA und Europa stünden aber die Hoffnung einer Erholung der chinesischen Wirtschaft nach vielen langen Corona-Lockdowns gegenüber. Letzteres hat im Speziellen für die schweizerische Wirtschaft einen positiven Effekt, weisen doch viele an der Schweizer Börse kotierte Unternehmen ein bedeutendes China-"Exposure" auf. 

Aufgestockt hat Hänni bei Alcon, SPS Swiss Prime Site und DKSH. Alcon könne mit einer interessanten Produktpipeline überzeugen, und ein weiterer Zuwachs an Marktanteilen in den kommenden Jahren sei wahrscheinlich. "Für ein SMI Unternehmen erachten wir das Gewinnwachstumspotenzial als aussergewöhnlich und die momentane Bewertung als günstig", begründet Hänni das Investment.

Aufgrund ihrer starken Marktposition dürfte DKSH wiederum von der Öffnung von China und vom erwarteten überdurchschnittlichen Wirtschaftswachstum in der Region Asien-Pazifik profitieren. Auch verfügt der Handelskonzern über genug Firepower, um weiter im margenstarken Segment der Spezialitätenchemie über Akquisitionen zu wachsen.

Der Fondsmanager meidet momentan Unternehmen, welche sich aktuell in einer Restrukturierungsphase befinden, deren Bilanzqualitäten - beispielsweise hohe Verschuldung oder tiefes Eigenkapital - nicht die Anforderungen erfüllen oder welche im laufenden Jahr durch eine höhere Kostenbasis beispielsweise Lohninflation oder allgemein höhere Inputkosten leiden könnten. Die aktuellen Top 5 Holdings von Hänni sind hingegen Swiss Life, Lindt & Sprüngli, Richemont, Flughafen Zürich und VAT. Swiss Life überzeugt mit der höchsten Dividendenwachstumsrate im Sektor, beim Flughafen Zürich wird eine starke Erholung erwartet oder im Aktienkurs von VAT sei schon viel Negatives vorweggenommen.

Patrik Jäger, "IFS Swiss Small & Mid Cap Equity Fund":

Für Patrik Jäger von der Vermögensverwaltungsboutique IFS wird die Inflation nun primär über die Lohn-Preis-Spiralen getrieben und in den USA wegen dem liberalen Arbeitsmarkt wohl schneller gelöst sein als in Europa. Die Inflationsraten dürften trotzdem weiterhin nur langsam sinken. Die jüngsten Daten zur Kreditvergabe in den USA deuten auch darauf hin, dass sich die Probleme einiger US-Banken nicht zu einer breiten Bankenkrise ausbreiten und bislang keine akute Kreditklemme droht. "Wir glauben deshalb nicht, dass die Leitzinsen in den USA so schnell sinken werden, wie es der Markt aktuell impliziert", sagt Jäger gegenüber cash.ch.
 
Der Fondsmanager hat die Turbulenzen bei den Finanzwerten genutzt und beim Versicherer Baloise und der Online-Bank Swissquote dazu gekauft. Swissquote dürfte wie manche andere solid aufgestellte Banken von den Turbulenzen um die Credit Suisse profitieren. "Auch die gut geführte Baloise wurde zu stark abgestraft, zumal höhere Zinsen ja grundsätzlich gut sind für Versicherer", sagt Jäger. Etwas abgebaut hat Jäger wegen des zyklischen Abschwungs bei den Halbleiter-Zulieferern Comet und Inficon.

"Aufgrund der höheren Zinsen meiden wir Firmen mit hoher Verschuldung und wenig profitablen Geschäftsmodellen", argumentiert Jäger. Dazu gehörten zum Beispiel manche Automobilzulieferer wie Autoneum. Auch Unternehmen mit weiterem Kapitalbedarf wie Idorsia meidet Jäger. Diese Probleme hat der IT-Grosshändler Also nicht, der für Jäger die Nummer 1 im Portfolio ist. Insbesondere die Attraktivität des Cloud-Service Geschäfts werde vom Markt immer noch missverstanden. Zudem ist das Geschäftsmodell kaum kapitalintensiv und kann dank dem B2B-Ansatz schnell global ausgerollt werden. 

Martin Lehmann, 3V Invest "Swiss Small + Mid Cap Fonds":

Für Lehman ist das Marktsentiment nach wie vor negativ, obwohl die Aussicht auf einen Rückgang der Inflation und somit auf ein absehbares Ende des Zinserhöhungszyklus vor allem die stark gebeutelten Wachstumswerte im ersten Quartal befeuert hat. "Das erste Halbjahr dürfte aufgrund des Basiseffektes aus dem Vorjahr für viele Unternehmungen anspruchsvoll werden", warnt Lehmann. Das zweite Halbjahr dürfte vielversprechender werden, da insbesondere China dann deutlich zum Wachstum der Unternehmen beitragen dürfte.

Doch es gibt auch neue übergeordnete Themen, die bestimmend bleiben: "Sinkende Rohstoffpreise - eine Ausnahme sind die Lohnkosten - sollten primär Unternehmungen mit Preissetzungsmacht helfen." Beispiele hierfür seien Sika, VAT und EMS Chemie. Der stärker werdende Konflikt zwischen China und den USA sorge für eine Verlagerung der wirtschaftlichen Aktivitäten. Dies helfe Unternehmen wie Interroll, die von solch grossen Investitionsausgaben profitieren. Zudem nehme der Trend zur Automatisierung und Robotik wegen des anhaltenden Fachkräftemangels weiter zu.

Der Fondsmanager hat zuletzt bei Bachem, Temenos und Tecan zugekauft. Beim Biochemie-Unternehmen Bachem überzeuge das Marktpotenzial und die Technologieführerschaft - es fehle derzeit einzig die Produktionskapazitäten zur Befriedigung der Nachfrage. "Bei der Softwareschmiede Temenos führt der angekündigte Management-Wechsel zu mehr Investorenvertrauen und erhöht die Wahrscheinlichkeit für eine Übernahme deutlich", sagt Lehman. Der Laborausrüster Tecan überzeuge durch positive Zahlen und die Integration von Paramit - ein Zeichen exzellenter Managementqualität.

Urs Beck, EFG AM "New Capital Swiss Select Equity Fund":

"Die Zinsentwicklung ist klar der bestimmende Faktor für die Stimmung an den Märkten und die wichtigste Variable in den Annahmen der Wirtschaftsaussichten", sagt Urs Beck gegenüber cash.ch.  Mit nun etwas nachlassendem Momentum in der US-Inflation könne sich die Stimmung wieder etwas aufhellen.

Nichtsdestotrotz sei die Belastung für Konsumenten höher als in den Vorperioden und Beck versucht daher das Portfolio rezessionsfester aufzustellen: So hat er beispielsweise begonnen eine Position in Stadler Rail aufzubauen, nachdem die Cash-Flow-Rendite ein stattliches Niveau erreicht habe.

Extrem zurückhaltend bleibt Beck bei den Bauzulieferern mit grossem Europa-"Exposure", dies "von der grossen Geberit, zu den kleineren Forbo, Arbonia und sogar Zehnder, welche strukturell das interessanteste Produktportfolio anbietet". Von Währungsverlusten auf dem Auftragsbuch zu Kunden mit Finanzierungsproblemen über Lohnkosten zu den kollabierenden Baubewilligunsanträgen: Der Gegenwind blase aus allen Richtungen - und das Licht am Ende des Tunnels dürfte noch ein paar Quartale weg sein.

Die grösste Wette von Beck ist derzeit neben Also, Holcim, Arzyta und Yposmed eine Regionalbank: "Valiant hat nicht nur ein sehr einfaches Business Model mit klarem Fokus auf dem klassischen Zinsdifferenzgeschäft, in dem der Schweizer Kundschaft Hypotheken, Sparen und Anlagen angeboten werden, sondern auch eine technologisch moderne und schlanke Struktur." Besonders eindrücklich sei der seit vielen Jahren stetig steigende Buchwert pro Aktie, der anzeigt, dass die Bank trotz bescheidener Eigenkapitalrendite beständig und langfristig Wert schafft.

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