Die Marktstimmung wird immer beklemmender. Zur Nervosität kommen nun wachsende Befürchtungen. Wall-Street-Trader mit Rang und Namen erwarten in den nächsten Wochen an der einen oder anderen Stelle Einbrüche im Markt (cash berichtete). Und als wäre es ein böses Omen, hat mit Marko Kolanovic von JPMorgan einer der unbeirrtesten Börsenbullen des bereits schwierigen Sommers nun auf mehr Vorsicht umgeschaltet (cash berichtete ebenfalls). 

Auch die nun angelaufene Bilanzsaison steht unter gemischten Erwartungen. Stock Picking wird vor diesem Hintergrund nicht einfacher. Doch Aktien, die zu heftig abgestraft zu sein scheinen, oder solche, deren Kurs von allem Lärm unbeeindruckt steigt, gibt es weiterhin. Fünf Titel, die aus der Reihe tanzen: 

Swiss Life

Im Vier-Wochen-Rückblick rangiert die Swiss Life zusammen mit der Swiss Re am Performance-Ende des SMI. Während die grosse Rückversicherung Swiss Re wegen Naturereignissen und einem angekündigten Quartalsverlust unter Druck steht, sind die Gründe für den Kursrückgang beim Lebensversicherungs- und Vermögensverwaltungskonzern Swiss Life etwas komplexer. An guten Zahlen mangelt es bei diesem über die Jahre fit getrimmten Versicherer eigentlich nicht. 

Die Swiss-Life-Aktie seit Anfang Jahr: Im September fiel der Kurs stark (alle Grafiken: cash.ch).

Die steigenden Zinsen allerdings belasten den Versicherer, der stark in Obligationen investiert ist, seit Anfang Jahr. Während sich der Kursverlust der Aktie in den vergangenen vier Wochen auf rund 11 Prozent summiert, hat die Aktie im gesamten Krisenjahr 2022 schon rund 18 Prozent verloren. Die Finanzmarktschwäche ist auch nicht gut für ein Unternehmen, dessen Kundinnen und Kunden Vorsorgegeld nicht nur ansparen, sondern auch anlegen. Kritisch verhält sich der Markt zur Swiss Life primär aber auch, weil sie als eine der wichtigsten Liegenschaftenbesitzerinnen der Schweiz zuletzt gestiegenen Immobilienrisiken ausgesetzt ist. 

Eine zu vorsichtige Markt-Haltung, wie Vontobel-Analyst Simon Fössmeier Ende August schrieb. Versicherer im Allgemeinen und Swiss Life im Besonderen seien in Immobilien investiert, um den Effekt tiefer Bondrenditen auszugleichen. Mieteinnahmen sind somit daher wichtiger als das Hin und Her von Bewertungsschwankungen. Wichtiger ist laut Fössmeier, dass die Mieteinnahmen mit der Inflation und steigenden Obligationenrenditen Schritt halten können.

Bachem

Die Bachem-Aktie ist die Hälfte dessen wert, wofür sie Anfang Jahr noch gehandelt wurde. Der Pharmazulieferer ist an der Börse in Wachstumstitel par excellence. Die Coronakrise und die massiven Erwartungen, die bis Ende vergangenen Jahres an die Wachstumsaktien gestellt wurden, haben den Titel zwischen März 2020 und Oktober 2021 von 32 auf 167 Franken getrieben. Die Ernüchterung des Marktes bei Bachem, die viel mit dem Ende des billigen Geldes zu tun hat, setzte schon vor einem Jahr ein. Anfang 2022 war der Titel nur noch 143 Franken wert. 

Seit Mitte September hat sich der Titel allerdings wieder um fast einen Drittel verteuert. Den Markt in Aufregung versetzt haben offenbar aufgebesserte Prognosen mit der In-Aussicht-Stellung höherer Bestellungen von Kunden in der Pharmaindustrie. Für Aufsehen gesorgt hat auch die Ankündigung des Baus einer neuen Bachem-Fabrik im "Aargauer Silicon Valley", dem Sisslerfeld im Fricktal.

Doch so toll die Aussichten sind, und so gut die Marktposition der Peptide-Spezialistin als Pharmazulieferin ist - die Bewertung bleibt ein Thema. Bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 56 ist die Wachstumsaktie in diesem immer noch unberechenbaren Umfeld verletzlich. 

Belimo

Auf Vier-Wochen-Sicht ist der Kurs von Belimo um 23 Prozent angestiegen. Verglichen mit dem Jahresanfang ist der Börsenwert der Spezialistin für Heizungen, Klimaanlagen und Systemen für Innenraum-Luftqualität hingegen um fast ein Drittel gesunken. Hauptsächlich verwundbar ist Belimo an der Börse wegen einer nach wie vor hohen Bewertung. Das KGV liegt bei 44. 

Fallende Kurse, aber nun Erholung: Der Belimo-Aktienkurs seit Jahresanfang.

In der aktuellen Energiekrise liefert Belimo punkto Raumklima aber genau das, was zur Verbrauchsersparnis benötigt wird. Zudem sind Luftreiniger wegen Viren mehr gefragt als früher. Die Bautätigkeit im wichtigen Markt USA spielt dem Kerngeschäft HVAC (heating, ventilation and air conditioning equipment) ebenfalls in die Hände. Vontobel und Berenberg haben beim Rating kürzlich ein Upgrade auf "Kaufen" vorgenommen. 

"Die gegenwärtige Energiekrise spielt der Gesellschaft noch zusätzlich in die Hände, lassen sich doch durch Belimo-Lösungen zwischen 40 bis 50 Prozent des Energieverbrauchs eines kommerziellen Gebäudes einsparen – und dies zu moderaten Kosten", schreibt ihrerseits die Helvetische Bank in einem Kommentar. Die Vermögensverwalterin sieht Belimo als langfristige Anlage, empfiehlt aber wegen der hohen Bewertung und der weiterhin nicht leicht einschätzbaren Situation der Zinsen Belimo zumindest für die "Watch List" - für Zukäufe bei möglichen weiteren Korrekturen.

Implenia

Die Aktie von Implenia hat seit Anfang Jahr 71 Prozent an Wert gewonnen und ist damit im laufenden Jahr die stärkste Aktie im Swiss Performance Index (SPI). Fast ein Drittel der Jahresperformance davon entfällt allein auf die letzten paar Wochen. Der Aufwärtstrend hat im Juni angefangen - nachdem der Kurs mehr oder weniger seitwärts lief - und hält seitdem an.

Der Kursverlauf von Implenia seit Anfang 2018 zeigt schwierige Jahre, aber auch eine starke Erholung seit dem vergangenen Sommer.

Dies ist das erste Mal seit langem, dass die Aktionäre von Implenia so zufriedengestellt gewesen sind. Die steinigen Krisen- und Turnaroundjahre des Baukonzerns scheinen in der Vergangenheit zu sein. Verziehen wird dem Management, dass es noch immer keine Dividende bezahlt. Wichtiger ist jetzt: Eine Kapitalerhöhung fürchtet der Markt nicht mehr.

Stattdessen stehen die gestärkte Bilanz und eine Vielzahl neuer Aufträge im Zentrum. Zuversicht gaben dem Markt auch die Halbjahreszahlen, die im August herausgegeben und diskutiert wurden. Die Transformation schreite voran und in allen Divisionen seien operative Verbesserungen realisiert worden, schrieb Credit-Suisse-Analyst Patrick Laager. 

Banque Cantonale Vaudoise

Zu den relativ wenigen an der Schweizer Börse kotierten Aktien mit starker Kursentwicklung seit Anfang Jahr gehört die Banque Cantonale Vaudoise (BCV). Der Kurs der stark kapitalisierten und gegen Krisen robusten Westschweizer Retail- und Vermögensverwaltungsbank liegt fast 29 Prozent über dem Niveau vom 1. Januar. Das Jahreshoch erlebte der Titel vor gut einem Monat bei 97,90 Franken.

Nun allerdings kostet der Titel wieder etwas weniger als 90 Franken. Ist der BCV die Luft ausgegangen? Wie bei einem grossen Teil der kotierten Kantonalbanken der Schweiz haben sich die steigenden Zinsen auch beim Waadtländer Institut als Kurstreiber erwiesen. Die steigenden Zinsen dürften ein Erfolgsfaktor bleiben: Finanzinstitute dürften in der Lage sein, ihre Nettozinsmarge auszuweiten, nachdem diese jahrelang unter Druck waren, schrieb kürzlich Vontobel-Analyst Andreas Venditti anlässlich einer Kurszielerhöhung. 

Allerdings fiel diese von 80 auf 82 Franken aus und liegt damit unter dem aktuellen Kurs der BCV an der Börse. Bei der Zinsentwicklung bestehe das Risiko eines "Overkills", schrieb Venditti, namentlich am Hypothekenmarkt, wo die Kosten für die Hausfinanzierung dieses Jahr deutlich gestiegen sind.