cash.ch: Herr Venditti, Grossaktionäre der Credit Suisse hätten an der Generalversammlung am Freitag Andreas Gottschling abwählen wollen, er war Verwaltungsrat und Leiter des Risikoausschusses der Bank. Nun stellt er sich nicht mehr zu Wiederwhl. Wollte man mit seiner geplanten Abwahl nicht bloss einen von vielen Verantwortlichen für die Debakel rund um Greensill und Archegos treffen?

Andreas Venditti: Dem Verwaltungsrat obliegt die Oberaufsicht über die Risiken. Und Andreas Gottschling präsidierte den Risikoausschuss des Verwaltungsrates. Schlussendlich stand er in seiner Funktion also in der Verantwortung für die Geschehnisse. Es ist ja offensichtlich, dass gewisse Sachen nicht funktioniert haben. Der Antrag der Grossaktionäre war daher nicht völlig abwegig, es mussten ja bereits Risiko-Manager die Bank verlassen. 

An der Präsentation der Quartalsergebnisse letzter Woche verbreitete die Credit Suisse Optimismus als wäre nichts geschehen, und das Wort Archegos wurde tunlichst vermieden. Das kam Vielen bizarr vor. Ihnen auch?

Dass das Wort Archegos vermieden wurde, erstaunt mich nicht. Auch im Quartalsbericht ist immer nur von einem 'US-Hedgefonds' die Rede. Es geht hier um eine Kundenbeziehung, und das heisst für Banken Diskretion. Mich verwunderte eher, dass die Credit Suisse keinerlei genauere Angaben machen wollte, weshalb ihre Verluste um so viel höher ausgefallen sind als bei der Konkurrenz. Bei der UBS am Dienstag dieser Woche war dies übrigens ähnlich. Eine mögliche Erklärung ist, dass es in diesem Zusammenhang mögliche Klagen geben könnte und Anwälte deshalb dazu geraten haben, möglichst wenig dazu zu sagen. Vieles ist ja auch noch nicht klar. Die Untersuchungen des CS-Verwaltungsrates sind noch im Gang.  

Mit Blick auf den Aktienkurs der CS in den letzten zehn bis 15 Jahren muss man sagen: Die Strategie der Bank ist gescheitert.

Der CS-Aktienkurs spricht in der Tat Bände. Im Vergleich dazu haben viele US-Banken wie JP Morgan, Goldman Sachs oder Morgan Stanley bei ihren Aktienkursen in letzter Zeit Rekordstände erreicht. In der zu Vergleichszwecken von Credit Suisse selbst definierten Peer-Gruppe sind diese Banken enthalten. Der CS-Gruppe ist es bei weitem nicht gelungen, nachhaltig die Kapitalkosten zu erwirtschaften. Während sich die Schweizer Einheit gut entwickelt hat, fielen in gewissen internationalen Geschäftsbereichen über diesen Zeitraum grosse Verluste an. Trotzdem sagte CEO Thomas Gottstein letzte Woche indes wortwörtlich: 'I’m a fundamental believer in the strategy’. Das deutet nicht auf einen Kurswechsel hin. 

Das sieht der neue Verwaltungsratspräsident António Horta-Osório vielleicht anders, er war bislang CEO der britischen Retailbank Lloyds. Wird er die Strategie ändern?

Das wird sicher extrem spannend werden. Das Gute an seiner Wahl ist: Er kommt von ausserhalb der Bank. Und sein angeblicher Nachteil, dass er nicht aus dem Private Banking, dem Asset Management oder dem Investmentbanking-Geschäft stammt, sehe ich als Vorteil. Er ist im gewissen Sinn nicht vorbelastet. Mögliche Konflikte sehe ich aber mit Blick auf die Zusammensetzung der Geschäftsleitung der Credit Suisse. Die Mehrheit hat einen Hintergrund im Investmentbanking. Extreme Strategieszenarien wie zum Beispiel eine Rückführung und Konzentration der CS auf das Schweizer Geschäft sind vor diesem Hintergrund eher unwahrscheinlich.

Das heisst, die Credit Suisse wird beim Investmentbanking weiterfahren wie bisher?

Das kann man so nicht definitiv sagen. Es wurde angekündigt, dass der für den hohen Verlust verantwortliche Bereich 'Prime Brokerage' um etwa einen Drittel zurückgestutzt wird. Ob es dabei bleibt, ist offen. Gemäss Medienberichten scheinen gewisse Hedgefonds-Kunden ihr Geschäft abziehen zu wollen. Die CS-Aktionäre würden zudem begrüssen, wenn weitere kapitalintensive Bereiche der Investmentbank deutlich reduziert würden. Dass dies auch von einem Investmentbanker umgesetzt werden kann, zeigt das Beispiel UBS. Der Investmentbanker Sergio Ermotti hatte ab 2011 als CEO der UBS das Investmentbanking-Geschäft der Bank auch 'zurückgefahren'. 

Bei der CS sitzen mit Roche-CEO Severin Schwan Leute im Verwaltungsrat, für welche die CS-Debakel rufschädigend sind. Wie fest sitzt vor diesem Hintergrund CEO Gottstein im Sattel?

Der neue Verwaltungsratspräsident braucht sicher eine gewisse Anlauf- und Einarbeitungszeit, in der momentan schwierigen Phase der CS sowieso. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es während dieser Zeit auch noch zu einem CEO-Wechsel kommt. Wenn sich der neue VR-Präsident nach etwa sechs Monaten eingearbeitet und eine andere Strategie definiert hat, wird er sich allenfalls auch überlegen, wer die zur Strategieumsetzung geeigneten Leute für die Geschäftsleitung sind.

Mit dem Schweizer Geschäft verdiente die CS über die Jahre mehr als mit den anderen Einheiten. Vor vier Jahren wurde der geplante Börsengang des Schweizer Geschäftes abgeblasen und stattdessen nach 2015 eine zweite Kapitalerhöhung durchgeführt. Wurde eine Chance vertan?

Die Pläne dieses IPO liegen sicher noch in einer Schublade am Paradeplatz und wären möglicherweise auch relativ schnell umsetzbar. Die Frage ist, ob man das überhaupt will. Ich schätze die Wahrscheinlichkeit einer radikalen Strategie à la 'Zurück zu den Schweizer Wurzeln' mit der Abwicklung beziehungsweise einem Verkauf grosser Teile der Investmentbank und des Asset Managements als sehr tief ein.

CS-Aktionäre können nun mit der Kapitalerhöhung via Bezugsrecht Aktien im Wert von 8,65 Franken pro Stück kaufen. Das scheint attraktiv. Der aktuelle Kurs der Aktie liegt rund einen Franken höher, Sie selber haben ein Kursziel von 9 Franken. Sollen Aktionäre das Bezugsrecht ausüben?

Ob das Angebot attraktiv ist oder nicht, hängt von der Einschätzung ab, was man von der Bank erwartet. Einerseits ist das operative Umfeld gegenwärtig stark. Andererseits verlangt die Finma von der CS 'diverse risikoreduzierende Sofortmassnahmen'. Deshalb könnte die CS weniger stark von Umfeld profitieren und lukrative Geschäfte an starke Konkurrenten verlieren. Dazu macht die Finma auch Druck bei den Boni, und das könnte zu Abgängen von Top-Mitarbeitern führen.

Die UBS veröffentlichte diese Woche ebenfalls die Quartalszahlen, hielt sich aber nebst dem blumigen und WEF-ähnlichen Slogan 'Reimagining the power of investing. Connecting people for a better world' weitgehend mit strategischen Aussagen zurück. Haben Sie von CEO Ralph Hamers nicht mehr erwartet?

UBS-CEO Ralph Hamers hält offenbar wenig von ganztägigen Investorenanlässen mit riesigen 'Folienschlachten' und grossen Ankündigungen. Er scheint es vielmehr vorzuziehen, die Strategie Schritt für Schritt weiterzuentwickeln. Diese Woche fand die erste, etwas 'blumige' Ankündigung statt. Weitere Schritte sollen anlässlich der nächsten Quartalsergebnisse folgen, und mit dem Jahresergebnis 2021 werden dann auch die Finanzziele aktualisiert.

Das Asset Management ist ein ständiges Strategie-Thema bei der UBS. Es wird über einen Verkauf oder eine Fusion der Einheit spekuliert. 2019 war die DWS im Gespräch, vor ein paar Monaten State Street

Ich glaube überhaupt nicht, dass die UBS ihr Asset Management verkaufen will, im Gegenteil. Thema ist wohl eher ein Zukauf. Bei der DWS war offenbar die Kontrollfrage ein Streitpunkt. Klar, das Asset Management war jahrelang zwar nicht gerade ein Sorgenkind der UBS, aber es lief nicht besonders viel. Seit Suni Harford die Leitung übernommen hat, ist dies anders, sehr wahrscheinlich auch dank der jahrelangen Vorarbeit. In den letzten fünf Quartalen holte das Asset Management 106 Milliarden Dollar an Neugeldern. Das ist enorm.

Andere Frage wäre, ob dann die UBS nicht das Asset Management der CS kaufen sollte.

Die UBS hätte wahrscheinlich schon Interesse an gewissen Teilen des CS-Asset-Management. Ob hier aber ein Deal zur Zufriedenheit beider Parteien erzielt würde, wage ich zu bezweifeln. Thomas Gottstein hat auch gesagt, dass zum jetzigen Zeitpunkt keine Pläne für einen Verkauf bestehen. Eine Hintertüre hat er sich mit dieser Aussage selbstverständlich offengelassen.

Sie analysieren ja weitere Schweizer Finanzaktien. Bei Partners Group haben Sie ein 'Kaufen'-Rating. Profitiert die Aktie, die in den letzten Jahren stark gestiegen ist, nicht vor allem vom anhaltenden Tiefzinsumfeld und dem Anlagenotstand?

Die Einschätzung ist nicht falsch, Versicherungen und Pensionskassen treibt es sicherlich wegen der Renditeaussichten vermehrt in das Private-Equity-Umfeld. Aber es ist nicht der einzige Treiber der Aktie. Partners Group macht sehr vieles sehr richtig. Das zeigt auch die Kursperformance von Konkurrenten, die nicht überall genauso gut war. Die Aussichten bleiben gut: Der globale Marktanteil von Partners Group ist noch immer im tiefen einstelligen Bereich, da ist also weiteres Potenzial vorhanden. Dazu gehört der Ausbau des Geschäftes in den USA. Partners Group hat in den letzten Jahren ein grosses Center in Denver aufgebaut mit Hunderten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Zudem drängen immer mehr Privatkunden in den Private-Equity-Bereich.

Dagegen haben Sie ein 'Reduce'-Rating bei der Banque Cantonale Vaudoise, kurz: BCV. Dabei sagen viele Investoren: Wenn schon in eine kotierte Kantonalbank investieren, dann wegen der Marktliquidität in die BCV.

Das Argument der Marktliquidität verstehe ich natürlich. Das 'Reduce'-Rating habe ich seit dem letzten Juni. Die Aktie stand damals ziemlich genau auf dem heutigen Niveau. Der Grund ist einfach. Die Aktie handelt mit 2,3 mal des Buchwertes bei einer Eigenkapitalrendite von 9 bis 10 Prozent.

Das heisst, sie ist überbewertet.

Ja, vor allem verglichen mit den anderen kotierten Kantonal- und Retailbanken in der Schweiz, die im Durchschnitt mit 0,9 mal Buchwert bewertet werden bei einer Eigenkapitalrendite von etwa 6 Prozent. Investoren kaufen BCV vor allem wegen der sicheren Dividendenrendite, wobei diese im Vergleich auch nicht mehr klar höher ist als bei anderen Retailbankaktien.