Das Schweizer Vorsorgesystem steht vor enormen Herausforderungen. Kaum hatte sich die Geldpolitik aus dem Niedrigzinsumfeld ein wenig befreit, ist sie in den letzten Monaten wieder dort zurückgekehrt. Es drohen sogar Negativzinsen. Wenngleich die Hürden für diese laut Martin Schlegel, Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB), gestiegen sind, können sie nicht ausgeschlossen werden (mehr hier). 

Der Druck, in risikoreichere Anlagen zu investieren, steigt damit erneut. Auf der Suche nach einer positiven Rendite müssen Pensionskassen zwangsläufig risikoarme Anlagen reduzieren. Kann dies aufgrund der Risikofähigkeit der Versicherten nur bedingt umgesetzt werden, dürfte es zu einer weiteren Senkung des Umwandlungssatzes und der Verzinsung der Altersguthaben führen. Die Vermögenseinbussen für die Arbeitnehmenden sind enorm.

Als wäre dies nicht genug: Eine Studie der Hochschule Luzern (HSLU) hat kürzlich festgestellt, dass nicht nur die Finanzbildung in der Schweiz gering ist, sondern insbesondere das Unwissen über bestehende Wissenslücken ein ernsthaftes Problem für die Altersvorsorge darstellt. Einerseits erschwert dies verantwortungsvolle politische Entscheide als Stimmbürger, andererseits führt es bei der Vorsorgeplanung durch Fehlentscheide zu erheblichen finanziellen Einbussen.

Die Zeche zahlen

Laut dem jüngsten Risiko-Checkup des Finanzdienstleisters Complementa hat sich der Umwandlungssatz für die Auszahlung der Renten auf einem niedrigen Niveau (5,22 Prozent) eingependelt, und die Verzinsung der Altersguthaben (im 2024 bei 3,9 Prozent) lag jüngst sogar über dem längerfristigen Durchschnitt. Gemäss dem Beratungsunternehmen PPCMetrics betrug die jährliche Verzinsung zwischen 2008 und 2023 mit wenigen Ausnahmen etwa 2 Prozent. 

Diese Phase vermeintlicher Stabilität folgt jedoch auf eine lange Zeit sinkender Verzinsungen der Sparkapitalien und fallender Umwandlungssätze. Vor 25 Jahren betrug die Verzinsung bei allen aufgeführten Pensionskassen ausnahmslos 4 oder mehr Prozent, so der WH&P Pensionskassenvergleich aus dem Jahr 2009. Damals lag der Umwandlungssatz noch bei 7,2 Prozent.

Grund für die heute tieferen Sätze ist unter anderem das Niedrigzinsumfeld. Eine erste solche Phase, wenn auch nur kurz, erlebte die Schweiz nach dem Platzen der Dotcom-Blase von 2001 bis 2004. Damals senkte die SNB die Zinsen von 3,5 auf 0,5 Prozent. Die zweite Phase reichte von 2009 bis 2023, darunter sieben Jahre im negativen Bereich. Nun beginnt das dritte Niedrigzinsumfeld.

Die Kosten tragen die Altersvorsorge und die angehenden Rentner. Zwar gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Pensionskassen und deren Leistungen (mehr hier), doch der allgemeine negative Effekt niedriger Zinsen ist bei allen Vorsorgeeinrichtungen spürbar.

Die Auswirkungen sind enorm: Die Renditedifferenz von 2 Prozent (also die Verzinsung des Vorsorgevermögens im Jahr 2000 im Vergleich zu 2025) führt über eine Dauer von 30 Jahren zu einem rund 30 Prozent tieferen Kapital bei der Pensionierung. Rechnet ein Arbeitnehmer heute mit einem Vorsorgevermögen von etwa 500’000 Franken, waren es vor 25 Jahren bei gleich hohen Beiträgen über 700’000 Franken. Je höher das Zinsniveau, desto grösser der Effekt des Zinsunterschieds.

Dasselbe gilt für den Umwandlungssatz: Während Pensionierte im Jahr 2000 auf ein Vorsorgevermögen von 500’000 Franken eine Rente von 36’000 Franken pro Jahr erhielten, sind es heute noch 26’100 Franken. Auf eine durchschnittliche Restlebenszeit nach der Pensionierung von 22,8 Jahren bei Frauen und 20,3 Jahren bei Männern macht diese Kürzung schnell 200’000 Franken aus.

Selbsteinschätzung vs. tatsächliches Wissen

Die Resultate einer neuen Studie der Hochschule Luzern lassen aufhorchen. Zusätzlich zu den ohnehin niedrigeren Vorsorgeleistungen dürfte sich das grundsätzlich geringe Finanz- und Vorsorgewissen in der Schweiz negativ auf das verfügbare Rentenkapital auswirken. Denn aufgrund der genannten Kürzungen steigt die Eigenverantwortung, Vorsorgelücken frühzeitig zu erkennen und zu schliessen.

Zwar sind sich die meisten dieser Problematik bewusst: Laut Studie bekunden über 70 Prozent der befragten Personen, dass die berufliche Altersvorsorge ein wichtiges Thema sei. Doch zwischen der Selbsteinschätzung und dem tatsächlichen Finanz- respektive Vorsorgewissen wurden erhebliche Lücken festgestellt.

Ein Drittel der Befragten schätzt sein Finanzwissen als hoch oder sehr hoch ein - vergleichbare Werte wurden beim Vorsorgewissen gemessen. Aber: Weniger als 20 Prozent der befragten Personen konnten alle Finanzfragen richtig beantworten. Die Beantwortung der Vorsorgefragen fiel noch schlechter aus.

Beachtlich war auch der Anteil jener Personen, die überzeugt waren, die richtige Antwort zu wissen. Je nach Frage betrug der Anteil der Falschantworten bis zu 50 Prozent. Probanden hätten im Fragebogen einfach die Frage «weiss nicht» ankreuzen können. Solche Personen sind sich der eigenen Wissenslücke gar nicht bewusst - mit der Folge, dass Fehlentscheide getroffen werden.

Und diese Fehlentscheide können weitreichende Folgen haben. Die Wahl zwischen Kapital- oder Rentenbezug prägt nicht nur die eigene Lebenssituation, sondern auch jene der Nachkommen.

Mit dem Anstieg der Eigenverantwortung steigt auch die Bedeutung der selbständigen Vorsorge. Ob bereits im Kindesalter, nach dem Beginn der beruflichen Laufbahn oder später damit gestartet wird, spielt keine entscheidende Rolle. Zwar gilt «Je früher, desto besser». Wichtiger ist jedoch, überhaupt damit zu beginnen

Beratungsbedürfnis und Eigenverantwortung

Einen Hoffnungsschimmer lieferten die Umfrageresultate der HSLU-Studie zum Beratungsbedürfnis. Rund 88 Prozent der befragten Personen schätzen eine Vorsorgeberatung als wichtig oder sehr wichtig ein. Unterschiede zwischen den Altersklassen wurden keine festgestellt. Dabei ist die Frage zur Bezugsform und zum gestaffelten Renteneintritt von besonderem Interesse. 

Für die erhöhte Sensibilisierung der Gesellschaft ist dies eine gute Ausgangslage: Trotz lückenhaftem Wissensstand ist die Mehrheit der Bevölkerung offen, sich beraten zu lassen oder sich darüber auszutauschen. Leider zeigt sich auch hier eine Diskrepanz.

Zwischen dem Bedürfnis und der tatsächlichen Inanspruchnahme einer Beratung klafft eine grosse Lücke: Obwohl nur 12 Prozent die Beratung als unwichtig empfinden, entscheiden sich rund ein Viertel für keine Beratung oder eine nur informelle Beratung durch Freunde oder Familie (also ohne Fachperson). 

Gerade diese Personengruppen neigen am stärksten zum reinen Kapitalbezug, so die Studie. Häufig sind es zudem Personen, die ihr Wissen als hoch einschätzen. Der reine Kapitalbezug ist jedoch die risikoreichste Bezugsform.

Werden Faktoren wie Sollrendite, Restlebenszeit, verfügbares oder benötigtes Einkommen und Vermögen, oder die langfristige tatsächliche Inflation unterschätzt, schwindet das Vermögen schneller als einem lieb ist. Besonders für Menschen, die sehr alt werden, dürfte das Langleberisiko ein fast unüberwindbares Risiko sein.

Um eine solche Situation im Alter zu vermeiden, ist es laut den Autoren der HSLU-Studie unabdingbar, die Öffentlichkeit für die verschiedenen Themen der Altersvorsorge zu sensibilisieren und ihr ein frühzeitiges Handeln nahezulegen. Denn so kann die Vorsorgesituation am besten positiv beeinflusst werden. 

Zum Zeitpunkt der Pensionierung können zudem fundierte Entscheide getroffen werden - denn man beginnt nicht erst dann, sich mit der Thematik zu befassen. Die Inanspruchnahme einer guten, unabhängigen Beratung dürfte die finanzielle Sicherheit und Unabhängigkeit im Alter zusätzlich stärken. Denn es gibt keine allgemein gültigen Blaupausen, die für jedermann oder jede Frau passen. Die Ausgangslagen unterscheiden sich zu stark.

Luca_Niederkofler
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