Ordentlich unter Druck sind an den weltweiten Börsen Aktien, bei denen hohes zukünftiges Wachstum eingepreist ist. Die angekündigten Zinserhöhungen durch die US-Notenbank Fed und die steigenden Anleiherenditen treiben die Sektorrotation weg von Tech- und Wachstumswerten hin zu Substanzaktien (auch Value genannt) und Zyklikern voran. 

Das Marktumfeld wird wohl auch in den nächsten Monaten für Anlegerinnen und Anleger anspruchsvoll bleiben. Morgan Stanley rechnet 2022 für die USA mit vier Zinsschritten à 25 Basispunkten und einem Ansteigen der Renditen der zehnjährigen US-Staatsanleihen auf 2,3 Prozent – aktuell notieren sie bei 1,8 Prozent. Bei den US-Realzinsen rechnet die Grossbank Ende Jahr mit einem Niveau bei minus 0,1 Prozent.

Wie Morgan Stanley in einem kürzlich erschienenen Bericht schreibt, bleibt die Ausgangslage für europäische Aktien trotz Omikron, hoher Inflation und einer restriktiveren US-Notenbank Fed positiv. Angesichts steigender Anleiherenditen, niedriger Bewertungen, attraktiver Kapitalrenditen und sehr anspruchslosen Gewinnerwartungen findet die Grossbank insbesondere europäische Bankentitel interessant. 

Im Stoxx Europe 600 Index sind Bankwerte mit einem Plus von 10 Prozent bislang die beste Branche 2022. Sie legten zu Beginn des Jahres neun Handelstage in Folge zu, bevor sie am Freitag erstmals nachgaben. Das ist die längste Gewinnsträhne seit 2018 und der bisher beste Januar-Start in der Geschichte.

Value-Sektoren als Profiteure

Magdalena Stoklosa, die das Researchteam von Morgan Stanley für europäische Banken leitet, argumentiert, dass der grösste strukturelle Katalysator für europäische Bankentitel die Europäische Zentralbank EZB wäre - wenn diese nämlich die Zinsen tatsächlich erhöhte. Denn im Gegensatz zum Anleihemarkt sei bei Aktien noch nichts an Zinserhöhungen eingepreist.

Zusätzlich zu den Top-Picks aus der Eurozone - Unicredit, Société Générale und Erste Group - empfiehlt das Team um Magdalena Stoklosa auch Commerzbank und Caixabank. Dies, wegen deren hohen Sensitivität gegenüber Zinsveränderungen. Auch mit einem "Overweight"-Rating versehen wird die niederländische Bank ABN Amro. Die Sektorrotation in Substanzaktien werde dank dem Ansteigen der Anleiherenditen und der Realzinsen weiter anhalten.

Morgan Stanley setzt auch auf den anderen grossen Value-Sektor - Energie. Die Grossbank geht davon aus, dass der Erdölpreis im zweiten Halbjahr auf 90 Dollar pro Barrel anziehen wird. Steigende Ausschüttungen und Kapitalrenditen, sinkende Schulden, ein guter Cashflow und attraktive Bewertungen prägen bereits jetzt die Branche. Zudem gewinne die Wahrnehmung an Bedeutung, dass ein effizienter traditioneller Energiesektor im Übergang zu erneuerbaren Energien wichtig sei. Zu den Top-Picks von Morgan Stanley gehören Shell und Eni.

Der Pandemie-Ausblick stimmt positiv

Treiber hinter dem jüngsten Anstieg der Anleiherenditen ist für Morgan Stanley auch der verbesserte Pandemie-Ausblick. Die verringerte Schwere von Ansteckungen durch die Virus-Variante Omikorn wecke Hoffnung: So hat der Analyst Jamie Rollo seine Haltung gegenüber der Freizeitbranche und Hotellerie von "vorsichtig" auf "marktgerecht" erhöht. Seine Top-Picks sind Whitbread, Entain, Compass, Edenred und Evolution. Bei den kleinkapitalisierten Unternehmen streicht der Analyst SSP, Mitchells & Butlers und Basic-Fit heraus.

Für die Unterhaltungsbranche sieht Morgan Stanley jedoch ein weiter schwieriges Jahr voraus. Denn das Wachstum werde sich weiter normalisieren. Doch neue Applikationen auf der Blockchain könne bei der Musik- und Gameindustrie neues Wachstum generieren. Die Analysten von Morgan Stanley mögen Universal Music und S4 Capital. Auch Ubisoft und NENT seien interessant. WPP, Publicis und CD Projekt stossen hingegen auf wenig Gegenliebe.

Und auch für den europäischen Internetsektor sieht die Analystin Miriam Adisa wegen der steigenden Zinsen keine Beruhigung. Im ersten Halbjahr werde es für viele Titel schwierig, mit den Quartalszahlen im Jahresvergleich gut dazustehen. Vor diesem Hintergrund bevorzugt die Analystin Unternehmen mit einer robusten Konsumentennachfrage, positiver Gewinndynamik oder mit M&A-Aktivitäten zur Stützung des Umsatzes. Die Top-Picks sind Adevinta, Ocado, Yandex und Just Eat Takeaway

Licht und Schatten im Pharmasektor

Obwohl Morgan Stanley in diesem Jahr von etwas volatileren Märkten ausgeht, hat die Grossbank noch keine defensive Verschiebung in ihren Empfehlungen vorgenommen. Denn steigende Renditen, ein gutes Wachstum und das Potenzial für ein Post-Omikron-Aufschwung prägen den Ausblick. Das Pharma-Team von Morgan Stanley versieht den Sektor daher mit der Bewertung "marktgerecht".

Innerhalb des Pharmasektors sieht das Team um Mark Purcell Titel mit einem hohen Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) unter Verkaufsdruck - dazu gehören Novo Nordisk (30), Merck KGaA (31), Lonza (70) und Genmab (51). Das ausgemachte Hauptproblem: Es fehlen die Katalysatoren, um die hohe Bewertung zu stützen.

Trotzdem sei das Umfeld für Pharmawert nicht schlecht. Sowohl in den USA als auch global sehen die Analysten keinen wirklichen politischen Gegenwind bei der Preisgestaltung. Insbesondere Unternehmen, die innovativ sind und einen positiven Newsflow generieren, bleiben auch in der Sektorrotation interessant. 

Das Team um Mark Purcell bevorzugt bei den Large Caps AstraZeneca, Sanofi und Bayer. Bei AstraZeneca ist Morgan Stanley betreffend der Pipeline optimistisch. Bei Sanofi ist das Dermatitis-Medikament ein Pluspunkt. Bei den Mid Caps werden Almirall und Polypeptide bevorzugt. Beides Titel mit potenziellen Kurskatalysatoren - Daten und Pipeline – in diesem Jahr.

ManuelBoeck
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