Swiss Marketplace Group (SMG) ging am 19. September an die Börse. Mit einem Unternehmenswert von rund 4,5 Milliarden Franken war es in diesem Jahr der grösste Börsengang Europas. Mit der Platzierung von 20 Prozent der Aktien können Publikumsaktionäre nun am wirtschaftlichen Erfolg der Betreiberin von Onlineplattformen wie Homegate, Immoscout24 oder Ricardo teilhaben.
Beim Kauf einer Aktie eines Unternehmens mit einem geringen «Free Float» (das ist die Anzahl der frei gehandelten Aktien, die also nicht im Besitz eines strategischen Aktionärs oder des Unternehmens sind) gehen Investoren gegenüber Anlagen in Werte mit einem hohen Free Float jedoch zusätzliche Risiken ein. In einigen Fällen werden sie dafür entlöhnt, in anderen nicht. Insbesondere bei einem negativen Geschäftsgang dürfte sich das zusätzliche Risiko in einer spürbar schlechteren Kursentwicklung zeigen.
Aufgrund der Eigentümerstruktur sind Publikumsaktionäre im ungünstigen Fall meist wehrlos dem Mehrheitsaktionär ausgeliefert, wobei die Interessen der beiden Gruppen nicht zwingend gleichgerichtet sind. Können Anleger nicht hinter den Unternehmensentscheidungen stehen, bleibt ihnen meist nur der Verkauf der Papiere - oft mit Verlust. Eine Investition ohne volles Mitspracherecht sollte deshalb besonders gut überlegt sein.
Teilhabe am Geschäftserfolg
«One share, one vote», heisst es bei eigentlich allen Firmen mit Unternehmensanteilen - ob an der Börse oder privat gehalten. Wer 51 Prozent des Kapitals respektive der Stimmrechte besitzt, darf bestimmen.
Es gibt jedoch viele Unternehmen, die durch die Schaffung von unterschiedlichen Aktienklassen, komplexen Kapitalstrukturen oder der Platzierung einer Minderheitsbeteiligung an der Börse zwar Kapital aufnehmen möchten, die Kontrolle durch die bisherigen Eigentümer aber nicht abgeben wollen. Besonders in der Schweiz trifft es auf viele Aktien zu. Von den rund 200 Titeln im Swiss Performance Index (SPI) haben 66 Konzerne eine Kapitalstruktur, in der Publikumsaktionäre weniger als 50 Prozent der Stimmen beherrschen. In vielen dieser Fälle stellen sie dennoch den Grossteil des Kapitals bereit.
An sich ist dies kein Problem und nichts Falsches daran. Doch Unternehmen mit nur einer Aktienklasse und einem Free Float von nahezu 100 Prozent gehören hingegen zu den demokratischsten existierenden Gefässen - Beispiele sind Nestlé, Novartis oder auch die UBS. Diese Unternehmen werden von einer Vielzahl von Investoren gehalten, wobei kein Einzelner einen entscheidenden Anteil hält.
Bei Novartis besitzt beispielsweise der grösste Minderheitsaktionär, der nicht zu den grossen internationalen Anlagegiganten wie Vanguard oder Blackrock gehört, gerade mal 0,8 Prozent des Kapitals. Der gleiche aktivistische Anleger, nämlich Artisan, kommt bei der UBS auf etwa 1,5 Prozent. Entscheidungen werden an der Generalversammlung somit demokratisch gefällt, und das Management sowie der Verwaltungsrat müssen einer unabhängigen Instanz Rechenschaft ablegen.
Bestes Beispiel dafür sind die jüngsten Chefwechsel bei Nestlé: Im ersten Fall (CEO Mark Schneider) entsprach die Leistung nicht den Vorstellungen des Verwaltungsrates und der Aktionäre, im nächsten Fall (CEO Laurent Freixe) wurde eine interne Regelung gebrochen, und im letzten Fall (Paul Bulcke) wurde die fachliche Kompetenz der Festsetzung einer geeigneten Geschäftsführung in Frage gestellt. Wäre Nestlé in den Händen eines einzelnen Mehrheitsaktionärs, der mitunter auch operative Rollen wie Verwaltungsratspräsident oder CEO wahrnimmt, wäre wohl alles anders gekommen - das heisst: es wäre nichts passiert.
Langfristig führt eine solche Rechenschaftspflicht und der konstante Leistungsdruck zu einem höheren Aktionärsmehrwert. Performancevergleiche zwischen Anlagen mit einem hohen ESG-Wert (Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsaspekte) im Vergleich zu traditionellen Indexanlagen belegen dies.
Chancenlose Minderheitsaktionäre
Das bedeutet nicht, dass es für einen Eigentümer nicht legitim sei, bei einem Börsengang die künftige Kapitalstruktur seiner Firma zu seinen Gunsten zu gestalten. Vor einem Investitionsentscheid müssen sich Anleger lediglich bewusst sein: Bei einem geringen Free Float stellen sie Kapital bereit, ohne dabei den dazugehörigen Stimmeneinfluss zu erwerben.
Für ein solches Machtungleichgewicht sollten Investoren am Markt einen Risikoprämienzuschlag verlangen. Denn diese zusätzlichen Risiken können erheblich sein - je nach Geschäftsverlauf. Ein Beispiel sind die beiden Uhrenkonzerne Swatch und Richemont. Während bei Swatch der Hayek-Pool rund 45 Prozent der Stimmrechte besitzt, halten die Ruperts bei Richemont 50 Prozent. Der Aktienanteil der beiden Familien ist deutlich geringer.
Auf der einen Seite geriet Swatch jüngst wegen des schlechten Aktienkursverlaufs und dem eigensinnigen Führungsstil von CEO Nick Hayek in die Schlagzeilen. Viele Analysten erhoffen sich eine Verbesserung des operativen Geschäfts durch einen Managementwechsel. Bei Richemont war wiederum die Abstimmung der Jahresboni 2024 das Thema. Der Stimmrechtsberater ISS empfahl den Aktionären, diesen abzulehnen, da der Uhrenkonzern keine transparenten Messkriterien offenlegt. Bei beiden Unternehmen sind die Publikumsaktionäre jedoch chancenlos, ihre Forderungen durchzusetzen.
Bei einem positiven Kursverlauf fällt dieses Machtungleichgewicht kaum auf. Denn keine operativen oder personellen Anpassungen sind zwingend erforderlich. So notieren beispielsweise die Papiere von Richemont im Langzeitvergleich rund 153 Prozent über der Kursentwicklung des SMI. Die intransparenten Boni-Zahlungen sind hier Nebensache.
Der Wert der Swatch-Aktie hingegen hat sich während denselben 15 Jahren deutlich schlechter entwickelt als jener des SMI. Der Schweizer Leitindex stieg 43 Prozent, während Swatch rund 55 Prozent verloren. Bei einem Unternehmen mit hohem Free Float ohne Mehrheitsaktionär wären die Geschäftsleitung und der Verwaltungsrat längst ausgewechselt worden. In Unternehmen mit komplexen Kapitalstrukturen werden Fehlentscheide jedoch nicht zwingend durch personelle Neubesetzung korrigiert und können sich so längerfristig negativ auf die Aktionärswertschöpfung auswirken.
Wo sich die Risiken ausbezahlt haben - und wo nicht
Es überrascht deshalb wenig, dass sich bei der Hälfte der zuvor erwähnten 66 SPI-Unternehmen mit geringem Free Float der Aktienkurs unterdurchschnittlich entwickelt hat. Nur 21 Aktien konnten den SMI in dieser Zeit schlagen. Die restlichen zwölf Konzerne existierten vor 15 Jahren noch nicht.
Zwar werden nicht alle dieser Unternehmen vom Eigentümer direkt oder indirekt geführt oder beherrscht, und Schlussfolgerungen zur Trägheit vom Management finden nicht zwingend Anwendung. Der geringe Stimmeneinfluss der Publikumsaktionäre trifft in den meisten Fällen dennoch zu.
Dottikon ES, BKW, Also, Mikron, Ypsomed oder VZ Holding gehören zur Gruppe, die den SMI seit 2010 deutlich geschlagen hat. Publikumsaktionäre sind durch den positiven Geschäftsverlauf für das zusätzliche Anlagerisiko abgegolten worden. Die Aktien dieser Firmen erzielten Überrenditen von 130 bis 1500 Prozent. Der Free Float liegt zwischen 28 und 46 Prozent.
Unternehmen | Kursentwicklung | Free Float |
Dottikon ES | 1562% | 29% |
BKW | 376% | 37% |
Also | 300% | 46% |
Mikron | 222% | 36% |
Ypsomed | 206% | 28% |
VZ Holding | 172% | 37% |
Liechtensteinische Landesbank | 123% | 37% |
Schindler | 92% | 30% |
SFS | 69% | 42% |
Emmi | 65% | 40% |
SMI | 43% |
Quelle: LSEG
Ebenfalls besser als der Vergleichsindex haben sich Aevis Victoria, Zueblin, Ems Chemie oder die St.Galler Kantonalbank entwickelt. Teilweise verzeichneten auch diese Unternehmen eine spürbare Verbesserung des operativen Geschäfts. Mit Überrenditen von 1 bis 7 Prozent gegenüber dem SMI wurden Publikumsaktionäre jedoch nur geringfügig für das zusätzliche Risiko abgegolten. Bei diesen Unternehmen liegt der Free Float zwischen 12 und 45 Prozent.
Unternehmen | Kursentwicklung | Free Float |
Aevis Victoria | 50% | 12% |
Zueblin | 49% | 21% |
Ems | 48% | 29% |
St.Galler Kantonalbank | 44% | 46% |
SMI | 43% |
Quelle: LSEG
Die am schlechtesten abschneidenden Unternehmen in dieser Periode sind neben Swatch viele Kantonalbanken sowie GAM oder Leonteq, Industriekonzerne wie Feintool, Schlatter, Autoneum, Bell, Meier Tobler, Lem, oder Swisscom, Kühne + Nagel und SMI-Schwergewicht Roche. Trotz der unterschiedlichsten Gründe für den Kursverfall dieser diversen Gruppe bleibt die Frage der Kapitalstruktur bei mehreren dieser Unternehmen dauernder Diskussionspunkt: Denn viele der demokratischeren Branchenpeers haben einen besseren Aktienkurs vorzuweisen.