Der Plan ist klar: Mit einem Börsengang will sich ein Unternehmen frisches Kapital beschaffen. Man will neue Aktionäre vom Geschäftsmodell überzeugen und hofft, dass nach dem auf englisch Initial Public Offering, kurz IPO, genannten Schritt an die Börse ein steigender Kurs den Unternehmenswert erhöht. Geglückt ist dies in den vergangenen zehn Jahren am besten der VAT Group, Weltmarktführerin in der Herstellung von Vakuumventilen mit Sitz in Haag, Kanton St. Gallen. 

Die Aktie ist jetzt 244 Prozent mehr wert als beim Börsengang vor knapp viereinhalb Jahren. VAT hat sich in der Coronakrise als nahezu unverwundbar erwiesen. Profitabel und solide finanziert, dürfte die Industriegruppe weiter aus der Digitalisierung und dem Trend hin zum Internet of Things, 5G-Technologie und autonomen System wie etwa (teilweise) selbstfahrenden Autos Nutzen ziehen. Die Analysten sind allerdings vorsichtig: In den letzten Rating-Revisionen vom August wurde zum Untergewichten geraten. 

Die zehn grössten Kurssteigerungen nach einem Schweizer IPO seit 2010

UnternehmenDatum des
Börsengangs
Performance
seit
Börsengang
VAT4. April 2016+244 Prozent
Cembra30. Oktober 2013+98 Prozent
Glarner KB
(GLKB)
24. Juni 2014+73 Prozent
Galenica7. April 2017+66 Prozent
Orior22. April 2010+54 Prozent
Investis30. Juni 2016+51 Prozent
Zur Rose6. Juli 2017+50 Prozent
Thurgauer KB
(TKB, PS)
7. April 2014+44 Prozent
Leonteq19. Oktober 2012+44 Prozent
Cassiopea1. Juli 2015+44 Prozent

Tabellen/Daten: Zürcher Kantonalbank, cash.ch

VAT war 2013 von Partners Group und der Private-Equity-Gesellschaft Capvis übernommen worden. Partners Group war während der Kotierung noch Aktionär von VAT, veräusserte aber schliesslich im Januar 2018 alles VAT-Anteile.

Unter den Top-Performern nach einem IPO finden sich am Markt beliebte und überdurchschnittlich erfolgreiche Unternehmen wie die Kredit- und Kreditkartenbank Cembra (+98 Prozent seit dem IPO im Oktober 2013) oder die Apothekengruppe Galenica (+66 Prozent seit April 2017). Diese Unternehmen haben an der Börse von langfristigen Trends, einen attraktiven Geschäftsmodell sowie einer soliden Unternehmenspolitik profitiert.

Dies sind alles klassische Treiber eines Aktienkurses, die auch für ein relativ solides Anlegervertrauen gegenüber den Kantonalbanken von Glarus (+73 Prozent) und des Thurgaus (+44 Prozent) sorgen. Wer etwas heraussticht, ist die Immobiliengesellschaft Investis (+51 Prozent). Das Unternehmen, das vor allem Wohnliegenschaften am Genfersee unterhält, wird von Analysten derzeit sehr positiv eingeschätzt. Wohnhäuser erweisen sich auch in der Coronakrise als stabil. Der Höchstkurs im Februar lag bei 91 Franken, jetzt sind es schon wieder knapp 89 Franken. 

Es gibt aber auch andere Muster. Die Versandapotheke Zur Rose (+50 Prozent), die sich vor etwas mehr als drei Jahren aufs Parkett traute, wäre unter "normalen" Umständen nicht unter den Top Ten. Dass der Kurs im Vergleich zu Mitte 2017 um die Hälfte höher steht, liegt vor allem an der Coronakrise.

Durch den Lockdown ist der Online-Kauf von Medikamenten beliebter geworden. Anfang Februar war noch ein Kursrückgang von 14 Prozent gemessen am Datum des IPO zu messen. Und dass die Märkte bei Zur Rose noch nicht sorgenfrei sind, zeigt die Kurskorrektur von immerhin 28 Prozent seit Mitte Juli. Die heute zu 229 Franken gehandelte Aktie war kurzzeitig über 300 Franken wert. 

Auch Leonteqs (+44 Prozent) Höhenflug dauerte nicht ewig. Das Derivatehaus war gefeiert worden, als es mit seinem futuristischen Namen 2012 an die Börse kam. Vom IPO bis zum August 2015 liess eine Kurssteigerung um 850 Prozent viele Fantasien erblühen, dann liessen Firmenkrisen den Kurs wieder dramatisch einbrechen. Vom damaligen Höchstkurs sind inzwischen 85 Prozent Börsenwert wieder vernichtet worden. 

Die fünf Aktien mit den grössen Kursrückgängen in Folge des IPO

UnternehmenDatum des
Börsengangs
Kursrückgang
seit
Börsengang
Polyphor15. Mai 2018-82 Prozent
Klingelnberg20. Juni 2018-69 Prozent
Lastminute.com14. April 2014-53 Prozent
Molecular Partners5. November 2014-27 Prozent
Medartis23. März 2018-21 Prozent

Bei den Verlierer-Aktien zeigt sich wiederum ein Muster. Drei von fünf gehören zur Gesundheitsbranche. Polyphor (-82 Prozent) forscht an Antibiotika, Molecular Partners (-27 Prozent) entwickelt künstliche Proteine und Medartis (-21 Prozent) ist ein Medtech-Unternehmen für gesichts- und kieferchirurgisch eingesetzte Implantate. 

Biotech- und kleine Medizinaltechniker haben es an der Börse stets nicht leicht, denn ihre Kurse werden von Einzelereignissen oder starken Erwartungshaltungen hin- und hergetrieben. Polyphor musste Mai 2019 eine Patientenrekrutierung für den Produktkandidaten Murepavadin einstellen - der Aktienkurs halbierte sich. Gegenbeispiel zu den "glücklosen" Biotechs ist Cassiopea (+44 Prozent). Der Kurs ist aber vor allem auch in den vergangenen Wochen dank des Anke-Mittels Winlevi angetrieben worden. 

Vielbeachtete IPOs performen bescheidener

Zu den meistbeachteten IPOs der vergangenen Jahre gehört sicherlich Stadler Rail: Einerseits, weil das Unternehmen der einzige grosse Bahntechnikkonzern der Schweiz ist, andererseits, weil Firmenpatron Peter Spuhler als Ex-SVP-Nationalrat und früher mutmasslicher Bundesratsanwärter eine landesweit bekannte Persönlichkeit ist.  

Die Kurs-Bilanz seit dem Stadler-IPO von knapp 9 Prozent plus gibt aber all jenen Recht, die der Aktie damals, im April 2019, keine allzugrossen Kursschancen vorausgesagt hatten. Auch DKSH, das einstige "Asienhandelshaus" und heutiger Marktexpansions-Begleiter, ist nur ein Fünftel mehr wert als bei Börsengang 2012 - der SPI hat seitdem um 123 Prozent zugelegt. Die erfolgreiche Tätigkeit im Fernen Osten hatte so manche Börsianer mehr erwarten lassen, als das Zürcher Traditionsunternehmens vor achteinhalb Jahren aufs Parkett ging.