Der cash Insider berichtet auch im Insider Briefing jeweils vorbörslich von brandaktuellen Beobachtungen rund um das Schweizer Marktgeschehen und ist unter @cashInsider auch auf X/Twitter aktiv.
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Die Kurse wollen auch bei uns am Schweizer Aktienmarkt nach oben. Mit einem Stand von etwas mehr als 12'400 Punkten ist der Swiss Market Index (SMI) auf den höchsten Stand seit Mitte Mai geklettert. Und den breit gefassten Swiss Performance Index (SPI) trennen nicht mal mehr 200 Punkte vom Rekordhoch vom März bei 17'387 Zählern.
Mit Blick über die Landesgrenze hinaus fällt mir jedoch auf, dass sich grössere Aktienplatzierungen in Europa seit Tagen häufen. Alleine gestern Donnerstag trennte sich die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung von gut 22 Millionen Aktien der Bank of Cyprus, die Peter Möhrle Holding von einem Zehn-Prozent-Paket an den Jost Werken und Invexans von einer Fünf-Prozent-Beteiligung an Nexans. Ausserdem brachten TigerLuxOne rund 12,5 Millionen Teamviewer-Aktien und die beiden Bioarctic-Grossaktionäre Lars Lannfeld und Pär Gellefors rund 2 Millionen Aktien bei Institutionellen unter. Wie immer, wenn sich Grossinvestoren im Zuge von Aktienplatzierungen durch die Hintertür verabschieden, mahnt dies zur Vorsicht. Ich bin jedenfalls jetzt schon neugierig, ob wir kommende Woche Nachahmer sehen werden und ob dieses Phänomen auch auf den Schweizer Aktienmarkt übergreift.
Kommen wir an dieser Stelle nun aber wieder auf das hiesige Börsengeschehen zu sprechen. Nur vorübergehend wertvolle Indexpunkte kostete das Schwergewicht Nestlé. Die Nachricht, dass Laurent Freixe den Chefsessel nach gerade einmal einem Jahr wieder räumen muss, liess die Kurse am Dienstagmorgen kurz nach Börseneröffnung um fast vier Prozent einbrechen. Zeitweise kosteten die Aktien des Nahrungsmittelmultis aus Vevey an diesem Tag keine 73 Franken mehr. Im weiteren Sitzungsverlauf konnten die Verluste dann aber eingegrenzt werden.
Aus den Büroräumen des Global Wealth Managements der UBS erreicht mich nun ein Kommentar mit einer taktischen Kaufempfehlung. Etwas salopp gesagt glauben die Autoren, dass die Aktien von Nestlé «eine schnelle Wette» wert sind.
Mit Philipp Navratil sei ein Nachfolger aus den eigenen Reihen mit einem überzeugenden Leistungsausweis gefunden worden. Nicht zuletzt auch deshalb stelle der Wechsel an der Unternehmensspitze weder die Turnaround-Pläne, noch die strategische Ausrichtung in Frage, wie es weiter heisst.
Die Nestlé-Aktien vollzogen in den letzten Tagen eine wahre Achterbahnfahrt (Quelle: www.cash.ch)
Die Kaufempfehlung überrascht, ist der Londoner Analyst der UBS, Guillaume Delmas, doch deutlich zurückhaltender. Seines Erachtens trägt der überraschende Rücktritt Freixes nicht gerade dazu bei, die Turnaround-Pläne glaubwürdiger erscheinen zu lassen. Er stuft die Aktien deshalb, wie bis anhin, nur mit «Neutral» und einem Zwölf-Monats-Kursziel von 80 Franken ein.
Ich begegnete dem Rücktritt Freixes mit folgenden Worten:
Mit dem erst 49 Jahre jungen Nespresso-Chef Philipp Navratil rückt ein weiteres «Eigengewächs» nach. Sein Leistungsausweis bei Nespresso kann sich sehen lassen. Dennoch hat der Verwaltungsrat von Nestlé eine weitere Gelegenheit verstreichen lassen, jemanden von Ausserhalb zum Chef zu machen. Langjährige Leserinnen und Leser meiner Kolumne wissen, dass ich mir schon zum Zeitpunkt der letzten Rochade an der Unternehmensspitze einen externen Kandidaten erhofft hatte.
...und weiter:
Die Finanzchefin Anna Manz weist dies entschieden zurück. Sie will verstanden wissen, dass die Nachfolgepläne schon standen und man diese eigentlich nur noch aus der Pultschublade hätte nehmen müssen. Philipp Navratil lässt übrigens nichts anbrennen. Wie mir berichtet wird, nahm er am Mittwoch – und damit keine 48 Stunden nach seiner Ernennung zum Firmenchef – in seiner neuen Funktion an der Barclays Consumer Staples Conference teil.
Die Nestlé-Aktien mögen den Rücksetzer vom Dienstagmorgen zwar wieder wettgemacht haben. Allerdings steht ihr Kurs – selbst den Dividendenabgang aufgerechnet – nur unwesentlich über dem Stand von Anfang Januar. Damit findet sich der Nahrungsmittelmulti aus Vevey auf der diesjährigen SMI-Rangliste auch weiterhin im untersten Drittel wieder.
Die Waadtländer sind in diesen Tagen nicht die einzigen mit einem überraschenden Chefwechsel. Auch die Genfer Bankensoftware-Schmiede Temenos stellt ihren Chef Jean-Pierre Brulard nach weniger als eineinhalb Jahren auf die Strasse. Der Verwaltungsrat will zwar verstanden wissen, dass keinen «aggressiven Bruch» mit Brulard gebe. Dass noch kein Nachfolger in den Startlöchern steht und Finanzchef «Takis» Spiliopoulos kurzfristig einspringen muss, lässt allerdings viel Raum für Spekulationen.
Dass die Temenos-Aktien heute Freitag zeitweise mit prozentual zweistelligen Kursverlusten abgestraft werden, überrascht mich deshalb nicht. Bekanntlich scheut die Börse nichts so sehr wie die Ungewissheit.
Klare Worte findet die für die Basler Kantonalbank tätige Analystin Corina Hennig. Sie zeigt sich sehr überrascht in Bezug auf die Neuigkeiten. Auch die «vagen» Begründungen scheinen Hennig sichtlich zu irritieren. Denn schliesslich sei Brulard bei Temenos ja angetreten, um nach turbulenten Jahren aufzuräumen, die Organisation schlanker und effizienter aufzustellen sowie um den amerikanischen Markt zu erobern. Sie zögert nicht lange und stuft die Temenos-Aktien von «Übergewichten» auf «Marktgewichten» herunter. Am 71 Franken lautenden Kursziel hält die Analystin indes fest. Noch einen Schritt weiter gehen ihre Berufskollegen bei der französischen Investmentbank Oddo. Sie verleihen ihrer Verkaufsempfehlung mit einer Kurszielreduktion auf 56 (zuvor 59) Franken Nachdruck.
Ein ungewohntes Bild zeigt sich den erfolgsverwöhnten Aktionärinnen und Aktionäre von Cicor Technologies. Mit einem Minus von gut zehn Prozent seit vergangenem Freitagabend zählen die Aktien des Herstellers von Leiterplatten aus dem neuenburgischen Boudry zu den Verlierern der Woche.
Höhenflug der Aktien von Cicor Technologies seit Januar (Quelle: www.cash.ch)
Die jüngsten Kursverluste sind weniger ein Ergebnis firmenspezifischer Gegebenheiten, als vielmehr einer allgemeinen Schwäche bei Valoren aus der Rüstungsindustrie geschuldet. Auslöser waren – so wird mir zumindest erzählt – mahnende Worte des Salzgitter-Chefs Gunnar Gröbler. Gröbler warnte diese Woche an einer Investorenkonferenz vor übertrieben hohen Absatzerwartungen an das Geschäft mit Sicherheitsstahl für die Rüstungsindustrie. In Börsenkreisen folgert man deshalb, dass die Aktienkurse bei den Rüstungsunternehmen und ihren Zulieferern etwas übers Ziel hinausgeschossen sein könnten.
Beklagen dürfen sich die Aktionärinnen und Aktionäre von Cicor Technologies trotzdem nicht. Denn schliesslich haben sich die Valoren seit Januar noch immer fast im Kurs verdreifacht. Damit finden sie sich weit oben auf der Liste der diesjährigen Börsengewinner wieder. Das gilt übrigens auch für andere Zulieferer der Rüstungsindustrie wie etwa für Montana Aerospace (+87 Prozent) oder Huber+Suhner (+69 Prozent).
Kürzlich sorgten die Analysten der Basler Kantonalbank in hiesigen Börsenkreisen mit rekordhohen Aktienkurszielen für UBS, Sandoz und Zurich Insurance für Gesprächsstoff. Was die Berufskollegen in Basel können, können wir auch, dürfte man sich da in Zürich wohl gedacht haben. Denn auch die Berufskollegen bei der Zürcher Kantonalbank scheinen ein Faible für abenteuerlich hohe Kursziele entwickelt zu haben.
So stuft Analyst Florian Sager etwa die ABB-Aktien von «Marktgewichten» auf «Übergewichten» herauf. Um seiner neu gewonnenen Zuversicht den nötigen Nachdruck zu verleihen, kommt er auf einen rechnerischen fairen Wert von 65 (zuvor 47) Franken. Sager schliesst nicht aus, dass das schweizerisch-schwedische Industrieurgestein den diesjährigen Investorentag vom November zum Anlass nimmt, um die Mittelfristziele zu erhöhen.
Sein Abteilungskollege Walter Bamert preist neuerdings die Aktien von Interroll mit «Übergewichten» nach zuvor «Markgewichten» an. Er unterlegt die Heraufstufung mit einem überarbeiteten fairen Wert von 3184 (zuvor 2410) Franken. Beides begründet Bamert einerseits mit der soliden Marktstellung des Anbieters von Logistiklösungen, andererseits aber auch mit den guten Aussichten im E-Commerce-Geschäft.
Interessant erscheint mir, dass die Gewinnschätzungserhöhungen bei beiden Aktien in einem völligen Missverhältnis zu den neuen Kurszielen stehen. Bei ABB führen bis zu neun Prozent höhere Schätzungen zu einem um knapp 40 Prozent höheren Kursziel, bei Interroll sogar nur um bis zu fünf Prozent höhere Schätzungen für ein um immerhin gut 30 Prozent höheren Kursziel. Lange Rede, kurzer Sinn: Da wurde bei den Bewertungsmodellen auch sonst noch an der einen oder anderen «technischen Schraube» kräftig gedreht.
Nicht weniger interessant ist übrigens, dass die ZKB-Fondstochter Swisscanto bei Interroll erst vor wenigen Wochen mit einem Stimmenanteil von etwas mehr als drei Prozent in den Olymp der bedeutenden Aktionäre aufgestiegen ist. Womöglich haben die Fondsmanager die zahlenbedingte Kursschwäche von Ende Juli zum Zukauf von Aktien genutzt.
Mal schauen, ob nächste Woche weitere aufsehenerregende Kurszielerhöhungen aus der Analystengemeinde eintreffen – und fast noch wichtiger: In welchem Umfang diesen Anpassungen auch höhere Gewinnerwartungen zugrundeliegen. Mehr dazu kommenden Freitag, wenn es wieder heisst: Die Börsenwoche im Schnelldurchlauf.
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1 Kommentar
TEMN ist einiges nicht nachvollziehbar. Warum stellt man einen CEO mit 5 Jahresvertrag, der doch Verbesserungen erreicht hat, von einem Tag auf den Andern auf die Strasse, ohne einen Nachfolger bereit zu haben. Die Ausführungen des VRP stinken zu Himmel, und sind noch schlimmer als der Rauswurf des CEO. Glaubt der VRP so wirklich Vertrauen, bei den Anlegern zu schaffen? Die Börse hat hier bereits geantwortet !